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Alfred Hilsberg„Rodenkirchen is burning“ – Zum Tod des Erfinders der Neuen Deutschen Welle

3 min
Das Bild zeigt Alfred Hilsberg.

Alfred Hilsberg im Jahr 2006. (Archivbild)

Einst prägte er die NDW und förderte den Underground mit untrüglichem Gespür – nun ist „Underground-Papst“ Alfred Hilsberg gestorben.

„Lucy lüpft das Netzhemdchen, um auf Zehenspitzen und mit spitzem Mund den Welthit ‚Yes Sir, I Can Boogie‘ zu intonieren. Lucy singt bei der Punk-Band T.V. Eyes aus Köln. Mit ihrer schrill-schönen Persiflage auf Baccara handelt sie sich verdienten Beifall und eine Zugabe ein.

(Auszug aus 'Rodenkirchen is burning', Sounds 08/1978)

Alfred Hilsberg, damals Redakteur beim in Hamburg ansässigen Magazin „Sounds“, hatte sich auf den Weg ins Rheinland gemacht, um die dortige Punk-Szene einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. 1978 war das, den Zweiteiler nannte er „Rodenkirchen is burning“, ein Witz, denn damals war vor allem in Düsseldorf viel los.

Es gab etwas Neues zu entdecken: Punk/Avantgarde. Dessen kommerzielle Ausschlachtung unter dem Begriff Neue Deutsche Welle wenige Jahre später, betrieben von Künstlern wie Nena, Trio oder Marcus, versetzte dieser Musik aus dem deutschen Underground endgültig den Todesstoß. Auch den NDW-Begriff hatte Alfred Hilsberg erfunden.

Geboren in der Nachkriegszeit in Wolfsburg, machte Hilsberg als junger Erwachsener schnell nach Hamburg rüber. Er begann für das einst in Köln gegründete „Sounds“ zu schreiben, wie es auch die Maler Werner Büttner und Albert Oehlen, der Poptheoretiker Diederich Diederichsen, Fehlfarben-Sänger Peter Hein oder Andreas Dorau taten. Die „Sounds“ prägte den deutschen Musikjournalismus wie allenfalls die „Spex“ später - und Alfred Hilsberg war mittendrin.

Verträge auf Bierdeckeln

In Hamburg gründete er die Label „ZickZack“ und später „What's so funny about?“, veröffentlichte Musik der Einstürzende Neubauten, mit deren Sänger Blixa Bargeld er den Vertrag auf einem Bierdeckel aufgesetzt haben soll, von Palais Schaumburg, F.S.K., Abwärts oder Die Tödliche Doris. Mehr als 100 Platten entstanden in den ersten fünf Jahren. Sein Credo lautete: „Lieber zu viel, als zu wenig.“

Hilsberg hatte maßgeblichen Einfluss auf die „Geniale Dilletanten-Bewegung“ und die „Hamburger Schule“. Er galt als Netzwerker zwischen den Szenen in Hamburg, Berlin und Düsseldorf. Immer wieder entdeckte er Künstler, etwa Blumfeld, von denen er unter anderem deren Klassiker „Ich-Maschine“ herausbrachte. Die deutschsprachige Popmusik hätte sich ohne ihn anders entwickelt.

Mit dem Geld war das so eine Sache

Nur mit dem Geld war das so eine Sache. Kaum etwas kam bei den Veröffentlichungen herum, viele Bands äußerten sich später kritisch bis vorwurfsvoll über das Geschäftsgebaren des „Underground-Papstes“, wie man ihn nannte, überwarfen sich mit ihm, warfen ihm vor, ihn bei den Abrechnungen übers Ohr gehauen zu haben.

ZickZack war das beste Label der Welt, mit der schlechtesten Zahlungs-Moral der Welt.
Xaõ Seffcheque

2001 fand er Einzug in „Verschwende deine Jugend“, die wegweisende Oral History über die Punk/Avantgarde der späten 1970er und frühen 1980er Jahre von Jürgen Teipel. Auch Sven Regener ließ ihn in einen seiner Romane einfließen.Seine eigene Biografie, die er zusammen mit dem Soziologen und Journalisten Christof Meuler verfassen sollte, musste ohne ihn fertiggestellt werden – es kam zu Unstimmigkeiten, Hilsberg legte seine Co-Autorenschaft nieder. Meuler schrieb „Das ZickZack-Prinzip: Alfred Hilsberg – ein Leben für den Underground“ alleine und gab später dem „Tagesspiegel“ zu Protokoll, das ursprünglich geplante Buch hätte wegen Hilsbergs „Grandezza und Legendarität“ nicht fertiggestellt werden können.

Für sein Lebenswerk mit dem „Preis für Popkultur“ gewürdigt wurde er 2019, auch wenn ihm Preisverleihungen zuwider waren. Ex-Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer hielt die Laudatio, Sophie Hunger, Dendemann, Deichkind oder Joko & Klaas hießen damals die anderen Ausgezeichneten.

Umtriebig, streitbar, radikal

Hilsberg war radikal. Er war umtriebig, streitbar, unbequem, ein Visionär. Und immer umgab ihn auch ein Mysterium, woran man bei ihm war, wusste wohl niemand so recht.

Als Jonas Engelmann und ich vor drei Jahren an einem Buch über die Hamburger Schule gearbeitet haben, war Alfred Hilsberg schon nicht mehr zu erreichen. Zurückgezogen habe er sich, er sei gesundheitlich angeschlagen, hieß es. Jetzt ist Alfred Hilsberg im Alter von 77 Jahren in Hamburg gestorben.