Die Kunstsammlung NRW untersucht den Beitrag schwul-lesbischer Künstler*innen zur Moderne.
Ausstellung „Queere Moderne“ in DüsseldorfEin schwuler Pinselstrich?

Lotte Laserstein bricht in dem intimen Bild „Ich und mein Modell“ (1929, Öl auf Leinwand) mit den traditionellen Machtverhältnissen dieses Sujets.
Copyright: Courtesy Agnews, London © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Das Bild war ihr zu traditionell und entsprach nicht ihrem Selbstbild. Die Tiermalerin Rosa Bonheur (1822-1899) war unzufrieden mit dem hübschen Künstlerinnenporträt, das der Maler Édouard Dubufe 1857 von ihr gemalt hatte und so stellte sie sich selbst einen Stier zur Seite. Bonheur lebte damals in einer erweiterten Familie mit ihrer Partnerin Nathalie Micas und einer Menagerie von Tieren zusammen. Also malte sie kurzerhand ein besonders prächtiges Familienmitglied mit aufs Bild. Seltsam und wunderlich? Ja klar.
Das englische Wort „queer“, abfällig verwendet für etwas, das sonderbar und verdächtig scheint, hat die schwul-lesbische Gemeinde irgendwann als positive Selbstbezeichnung übernommen. Aber was macht Kunst queer? Woran erkenne ich queere Kunst? Ist Kunst automatisch lesbisch, wenn die Künstlerin lesbisch ist? Hat Kunst überhaupt ein Geschlecht? Diese und ähnliche Fragen begleiten einen durch die gesamte Ausstellung, mit der die Kunstsammlung NRW den Beitrag schwul-lesbischer Künstler*innen zur Moderne untersucht: „Queere Moderne. 1900 bis 1950“.
Neue Lesarten und Sichtbarkeiten
„Wir möchten mit dieser Ausstellung daran arbeiten, unsere Perspektive zu erweitern und im Blick auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine alternative Geschichte der Moderne vorschlagen“, so die Kuratorinnen Isabell Malz, Isabelle Tondre, Anke Kempkes und Susanne Gaensheimer. Es soll um eine Revision und Ausweitung des Kanons gehen, um neue Lesarten und Sichtbarkeiten. Das Wissen um die jeweiligen Lebensumstände hilft da durchaus weiter. Das passt gut auch zu dem Bestreben, den Museumsbesuch insgesamt inklusiver zu gestalten.
Homosexualität ist ein intimes, aber nach wie vor (und lange schon) auch ein politisches Thema. Schwulenfeindlichkeit ist weitverbreitet und in vielen Ländern sind Diskriminierung und Ausgrenzung von nichtbinären Menschen gar gesetzlich festgeschrieben. Homosexualität wurde und wird kriminalisiert und tabuisiert, verschwiegen und versteckt. Viele Künstler*innen haben sich nie öffentlich bekannt, haben sich bedroht gefühlt und sind mehr oder weniger in ihren Communities geblieben, wollten nicht auffallen, sind Scheinehen eingegangen oder andere Zweckgemeinschaften. Manche aber haben ihre Sexualität auch geradeheraus zum Thema ihrer Kunst gemacht und die Öffentlichkeit nicht gescheut, zumindest eine Zeit lang. Und selbstverständlich gibt es auch alle denkbaren Zwischenstufen.
Künstlersalons werden zu Zentren queerer Netzwerke
Wir begegnen fantastischen Szenerien mit surreal-exzentrischem Personal etwa bei Niels Dardel (1888–1943): „Besuch bei einer exzentrischen Dame“ (1921) oder bei George Platt Lynes (1905–1955), der für das Foto „Der Tänzer“ 1937 Fred Daniel selbst als Collage hat posieren lassen. Einige, wie Gluck, Marcel Moore, Marlow Moss oder Claude Cahun haben genderneutrale Namen gewählt und offen mit ihrer geschlechtlichen Identität gespielt. Claude Cahun (1894 Nantes –1954 Saint Helier, Jersey), die sich zudem häufig auch maskiert, den Kopf rasiert und verkleidet hat, war sowieso ein bunter Hund. Mit ihrer Stiefschwester und Lebensgefährtin Suzanne Malherbe (1892 Nantes -1972 Jersey) unterhielt sie im Paris der 1920er und 1930er Jahre einen gut besuchten Künstlersalon. Dort und in anderen Metropolen bildeten sich in jenen Jahren Netzwerke queerer Subkulturen, die auch zahlreiche andere Künstler*innen anlockten.

Blick in die Ausstellung „Queere Moderne. 1900 bis 1950“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Copyright: Foto: Achim Kukulies
Der Salon von Gertrude Stein und Alice B. Toklas ist wohl nur der Bekannteste. Die Salons waren kulturelle Treffpunkte, aber ebenso waren sie Orte von Solidarität und Allianzen. Man kannte sich, tauschte sich aus, man lebte zusammen, teilte sich das Atelier, man zeichnete, malte und fotografierte sich gegenseitig, feierte zusammen. Die experimentellen neuen Lebensentwürfe spiegeln sich in neuen Bildsprachen und einer Ästhetik, in der die strenge Binarität aufgehoben ist und fluide Inhalte und Themen auch entsprechend neue Formen fordern. Wie zum Beispiel kann die Grenze von Figuration und Abstraktion neu gedacht werden in einer Welt, in der auch die strengen Geschlechtergrenzen nicht mehr gelten?
Negation der Eindeutigkeit
Anton Prinners (1902 Budapest – 1983 Paris) Objektbilder spielen mit futuristischem und konstruktivistischem Formvokabular, missachten dabei aber physikalische Korrektheit, Marlow Moss (1889 Kilburn, GB – 1958 Penzance, USA) scheint sich an Constantin Brâncuși und Piet Mondrian abzuarbeiten. Die Niederländerin Jacoba van Heemskerk (*1876 Den Haag –1923 Domburg), die Mondrian in Domburg getroffen und wie er eine Neigung zu Esoterik und Theosophie hatte, geht in ihren wild-abstrakten biomorphen Figurationen überaus verschwenderisch mit Farbe um. Als wolle auch sie ihm und der gesamten konstruktivistischen Avantgarde antworten, und zwar unüberhörbar. Die Berlinerin Jeanne Mammen (1890 – 1976) dekonstruierte farbreich den Kubismus und malte mit „Der Würgeengel“ und „Der Jäger (Sonntagsjäger)“ (beide 1939-1942) auch Kommentare zum Kriegsgeschehen in Europa. So wie das Selbstporträt-Foto von Claude Cahun, das sie mit einem Nazi-Abzeichen zwischen den Zähnen zeigt.
Denn, neben allem anderen, geht es ja immer auch um die Geschichten queeren Lebens in einer Zeit von Krieg, Verfolgung und Widerstand; um Repression und Anpassung, um Ausweichen. Beauford Delaney (1901–1979), der in den 1930er und 40er Jahren zur sogenannten Harlem Renaissance gehörte, dem damaligen Zentrum Schwarzen kulturellen Lebens, war auch Teil der schwulen, vornehmlich weißen Bohème in Greenwich Village, fühlte sich als Schwarzer schwuler Mann in einer homophoben Gesellschaft und umringt von den „macho abstract expressionists“ der New Yorker Kunstszene aber nie wirklich wohl mit seiner Sexualität und versuchte sie, wenn möglich zu verstecken, lebte zurückgezogen - bis er 1953 nach Paris ging und seine Kunst sich noch einmal veränderte, 1941 hatte er einen Akt seines Freundes James Baldwin gemalt.
Lotte Laserstein bricht mit traditionellem Thema
Ein besonders bemerkenswertes Gemälde ist wohl auch „Ich und mein Modell“ (1929/30) von Lotte Laserstein (*1898 Paslek, Polen – 1993 Kalmar, Schweden). Es erweitert das klassische Thema „Maler und Modell“ um ihre eigene emanzipierte Liebesbeziehung: Traditionellerweise ist der Maler (meist bekleidet, meist männlich) der aktive Part und Hauptprotagonist der Darstellung, das Modell (meist nackt, meist weiblich) ist das Objekt und wird betrachtet und gemalt. Bei Laserstein nun sind Malerin und Modell gleichberechtigt Handelnde, die Malerin Laserstein steht mit Pinsel an der Staffelei und blickt aus dem Bild auf die Betrachter*in. Traute Rose, ihre Partnerin und Modell, leichtbekleidet, steht eng bei ihr, eine Hand zärtlich auf der Schulter der Freundin und scheint das für uns unsichtbare Bild ihrer selbst anzuschauen. Sie sieht ihrer Partnerin beim Erschaffen und sich selbst gewissermaßen beim Werden zu. Ein intimes Bild, das in den Blicken und Blickachsen die vertrauliche Ebenbürtigkeit der beiden Frauen einfängt. Und kein Geheimnis daraus macht.
Was man ziemlich sicher in der Ausstellung lernen kann, ist: Es gibt mehr. Mehr als man sich vorstellt, mehr als man bisher gelernt hat, mehr als man kennt und immer wieder zu sehen bekommt. Und ja, man kann Verbündete auch in der Vergangenheit finden.
„Queere Moderne. 1900 bis 1950“, Kunstsammlung NRW, bis 15. Februar 2026, Di-So 11-18 Uhr & jeden 1. Mittwoch im Monat 11-22 Uhr. Mehr auf www.kunstsammlung.de.