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Ballett am RheinRavels „Boléro“ wie in einem Flughafen-Terminal

Lesezeit 3 Minuten
Richard Siegals Boléro-Choreografie aus der „Soirée Ravel“ am Ballett am Rhein

Richard Siegals „Boléro“-Choreografie aus der „Soirée Ravel“ am Ballett am Rhein 

Richard Siegal begeistert mit seinen Beiträgen zur „Soirée Ravel“ beim Ballett am Rhein in Duisburg - mal wieder dumm gelaufen für Köln. 

Er wird immer besser. Wo andere Choreografinnen und Choreografen einmal in frühen Jahren ihre Duftmarke gesetzt haben und dann dieses Aroma nie wieder loswerden, gab es bei Richard Siegal nie wirklich den wiedererkennbaren Richard Siegal. Stattdessen saugt er wie ein Schwamm Trends in sich auf, probiert herum, verblüfft mit oft spleenigen Ideen. Beispiel: Ein Maurice-Ravel-Ballett auf einem vielleicht sieben Meter langen Laufband wie in einem Flughafen-Terminal.

Was für ein Mätzchen, mag man denken, aber nur die ersten Sekunden. Dann weiß man: So geht Ravel. So geht der durchgenudelste Ohrwurm der klassischen Musik, der „Bolero“. Aber Begeisterung für diese, wie es vornehm heißt: „Soirée Ravel“ kam schon ziemlich früh an diesem Abend auf, an dem sich zwei Ballett-Stars verabredet haben, um zur live von den Duisburger Philharmonikern gespielten Ravel-Selektion im Pingpong gleich vier Uraufführungen zu entwickeln. Den ersten Aufschlag macht: Direktorin Bridget Breiner mit dem „Konzert für die Linke Hand“.

Bridget Breiner zeigt sich wieder einmal als Virtuosin des Pas-de-Deux'

An der berührenden Entstehungsgeschichte dieses Klavierkonzerts kommt man als Choreografin nicht vorbei: Die Komposition ist eine Auftragsarbeit für den Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte. In Düsseldorf spielt nun Alina Bercu auf dem auf der Bühne platzierten Flügel energisch und souverän einhändig das schwere Stück, und auch Tänzer Marcio Mota verzichtet auffallend oft auf den Einsatz seines rechten Arms. Sacht klingt die Kriegsthematik an, mit seriellen Bewegungen bei den Männern und vors Gesicht gehaltenen Händen als wollte man das Grauen nicht sehen.

Dabei zeigt sich Breiner wieder einmal als Virtuosin des Pas-de-Deux'. Großartig, wie sie die zeitgenössische Spitzenschuh-Athletik mit Behutsamkeit kombiniert. Schade nur, dass Bridget Breiner hier wie auch in ihrer Interpretation von „Daphnis et Chloé“ die Form des episodischen Mythen-Balletts wählt - mit viel zu kompliziert verwickelten Handlungen. Gegen Breiners elegische Poesie setzt Richard Siegal dann Sarkasmus - und da war er schon immer am besten.

Zwei Tänzer tanzen.

Aus dem Ballett zum „Konzert für die Linke Hand“ von Bridget Breiner

Erst „La Valse“: Eine aberwitzig schnelle Parodie auf eine dekadente und von hasserfüllten Demagogen gelenkte Gesellschaft, mit unübersehbaren Referenzen auf das Antikriegsballett „Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss. Da walzer-taumelt sich eine Zeit in den Wahnsinn. Und wo in diesem Stück in der fantastischen Ausstattung von Jean-Marc Puissant eine Dreh-Tür im Wortsinne ‚durchdreht‘ und die Körper aggressiv auf die Bühne schleudert, ist es dann im Finale ein Laufband, das alle mitreißt - und das natürlich auch als spöttischer Kommentar auf den berühmten ‚Sog‘ von Ravels genialem Iterations-Terror funktioniert, der sich 169 Mal wiederholenden „Bolero“-Trommel.

Wer auf dem Laufband stehenbleibt, wird unerbittlich raus aus dem Rampenlicht ins Dunkel gezogen. Also kämpft man sich vorwärts-auf-der-Stelle-tretend wie in einem Albtraum. Mit hektisch-hüftschwingenden Catwalks und Standard-Tanz. Meist aber mit diversen Formen des Gehens. Für das hat Richard Siegal seit seiner Kölner Zeit offenbar eine kleine Obsession entwickelt. Ach, und übrigens Köln, das den Choreografen als Tanzchef hätte haben können, aber nicht wollte: „Nimm das, du Domstadt“ können Düsseldorf/Duisburg angesichts der beiden Meisterwerke für das Ballett am Rhein mal wieder sagen.


Nächste Vorstellungen am 15., 22., 28. Juni sowie im Juli im Theater Duisburg, ab September in der Oper Düsseldorf