Beatles-JubiläumDie irre Fahrt im grünen Minibus

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Die Beatles (v.l.): Paul McCartney, Ringo Starr, John Lennon und George Harrison

Die Beatles (v.l.): Paul McCartney, Ringo Starr, John Lennon und George Harrison

  • Vor genau 60 Jahren reisten fünf junge Männer in einem Austin-Kleintransporter aus Liverpool zur sündigsten Meile Europas.
  • Ihr erster Auftritt im Indra-Club auf der Reeperbahn ist zugleich ihr erstes Konzert unter dem Namen The Beatles.
  • Wie ein Trip unter haarsträubenden Bedingungen die Musikwelt veränderte. Eine Rekonstruktion.

Hamburg – Allan Williams, Café-Bar-Besitzer und Kleinveranstalter, hat alle Sitze aus seinem grünen Austin-Kleintransporter entfernt. Es gibt einfach zu viel unterzubringen auf der langen Reise von Liverpool nach Hamburg: Williams selbst, seine Frau Beryl und deren Bruder Barry, ein Calypso-Musiker namens Lord Woodbine und die fünf jungen Musiker – John, Paul, George, Stuart und Pete –, die gerade ihren Namen von The Silver Beetles zu The Beatles abgekürzt haben, wie es nun ein selbstgebasteltes Papierbanner an der Seite des Wagens stolz verkündet. Dazu Instrumente und Verstärker, auf denen die Wanderarbeiter notgedrungen Platz nehmen.

Nur Martha Sutcliffe, die Mutter von Stuart, dem mindertalentierten, aber sehr ansehnlichen Bassisten der Gruppe, ist gekommen, um dem abfahrenden Minibus weinend nachzuwinken. Es wird die wichtigste Reise der jüngeren Musikgeschichte. Was niemand ahnt.

In London stößt noch ein zehnter Passagier dazu, ein mysteriöser Österreicher namens Georg Sterner, der dort im „Heaven and Hell“-Café kellnert und in Hamburg als Dolmetscher zwischen der Band und ihrem deutschen Boss, der Kiezgröße Bruno Koschmider, fungiert. Die Fahrt geht weiter in die südöstliche Hafenstadt Harwich. Während der grüne Austin per Kran auf das Schiff nach Den Haag geladen wird, halten die Behörden seine Insassen fünf Stunden lang fest, bis es Allan Williams endlich gelingt, sie davon zu überzeugen, dass es sich bei ihrer Reisegesellschaft nur um einen harmlosen Studentenausflug handelt, weshalb auch keiner der Anwesenden eine Arbeitserlaubnis benötige.

Auf der Weiterfahrt durch die Niederlande nimmt Williams irgendwann eine falsche Abbiegung und sie landen in Arnheim. In der „Beatles Anthology“ findet man ein Foto der Rastenden vor dem „Oosterbeek War Cemetery“, wo vor allem britische Gefallene der Schlacht von Arnheim ruhen. Es ist August 1960, der Zweite Weltkrieg ist kaum 15 Jahre alt. Nur John Lennon fehlt auf dem Schnappschuss. Er hinterlässt eine Erinnerung anderer Art in der holländischen Stadt, als er in einer Musikalienhandlung eine Mundharmonika Marke „Hohner Marine Band“ mitgehen lässt. Später wird der Musikinstrumentenhersteller dieses Modell mit Lennons gezeichnetem Konterfei unter dem Namen „The Stolen One!“ anbieten.

„Wir werden niemals Hamburg erreichen“, erregt sich Williams: „Da sind sie zum ersten Mal im Ausland und ihnen fällt nichts Besseres ein, als in einem Laden zu klauen. Wir werden noch alle im Gefängnis landen!“ An der Grenze, erinnert sich Paul McCartney später, werden sie gefragt, ob sie Kaffee mit sich führen. „Drogen, Waffen, Alkohol, das hätte ich ja noch verstehen können – aber Kaffeeschmuggel?“ Als sie endlich in Hamburg ankommen, graut schon fast der Morgen. Sie fragen sich nach St. Pauli durch, bis zum Indra, einem Stripclub an der Großen Freiheit 64. Niemand ist da, um sie in Empfang zu nehmen. Sie wecken einen Mann in einem benachbarten Club auf, der wiederum ihren Kontaktmann aus dem Bett holt. Jetzt können sie sich auf den roten Ledersitzen in den Alkoven des Indra ausschlafen. Sie sind 17, 18, 19 Jahre alt. Sie haben zum ersten Mal ihr Heimatland verlassen, um in der sündigsten Meile des Kontinents zwischen Zuhältern und Matrosen um ihr Leben zu spielen.

Am Ende ihrer Wanderjahre werden die jungen Männer ihre erste Schallplatte veröffentlicht haben („My Bonnie“ mit Tony Sheridan, produziert von Bert Kaempfert), wird die Hamburger Fotografin Astrid Kirchherr ihre Elvis-Tollen in Pilzköpfe verwandelt haben, wird Stuart Sut-cliffe, der Beatle, den die Kirchherr liebte, mit nur 21 Jahren gestorben sein und Pete Best grollend seinen Lebensunterhalt im Liverpooler Arbeitsamt bestreiten müssen. Aber John, Paul und George werden Ringo gefunden haben – den Schlagzeuger der Band, die Allan Williams eigentlich im Minibus nach Hamburg mitnehmen wollte. Und sie werden die beste Band der Welt sein. Am Abend nach ihrer Ankunft geben die Beatles im Indra das erste Konzert unter ihrem neuen Namen. Es ist der 17. August 1960, heute vor 60 Jahren.

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