Benefizkonzert mit Opern-Sänger Thomas HampsonMehr Musik für mehr Verständnis untereinander

Lesezeit 7 Minuten
Thomas Hampson steht auf einer Straße und breitet die Arme aus. Hinter ihm Autos, Ampeln und Wolkenkratzer.

Der Opernsänger Thomas Hampson lebt in New York und Wien.

Am 08.01. wird Thomas Hampson im Rahmen der Initiative "wir helfen" des Kölner Stadt-Anzeigers für benachteiligte Kinder und Jugendliche auf der Bühne der Kölner Philharmonie stehen. Der Opernsänger im Interview.

Herr Hampson, ich erreiche Sie gerade telefonisch in Wien. Sie leben ja abwechselnd dort und in New York. Sehr unterschiedliche Sphären! Wo sind Sie eigentlich mehr „zu Hause“?

Thomas Hampson: Offen gesagt: Wahrscheinlich eher in Europa. Generell: Ich bin immer noch ziemlich viel unterwegs, so dass die Frage nach meinem Zuhause schwer zu beantworten ist. Auf jeden Fall ist Wien meine musikalische Heimstatt – meine Frau und meine Stiefkinder sind Österreicher. Also: Es stimmt schon, Österreich ist meine zweite Heimat geworden.

Sie sind von Amerika nach Europa gewechselt, Kurt Weill ging den entgegengesetzten Weg. Er, dessen 1942 entstandene vier Lieder nach Gedichten von Walt Whitman Sie im Benefizkonzert singen, floh vor den Nazis aus Europa in die USA. Sind diese Lieder mehr „amerikanisch“ oder mehr „deutsch“?

Zunächst einmal sind die hundertprozentig Weill. Ich als Amerikaner habe seine Musik übrigens sehr früh kennen und schätzen gelernt und mich mit seiner amerikanischen Phase intensiv auseinandergesetzt. Dank seiner Nähe zum Broadway hat er vielen Amerikanern damals überhaupt erst zu einem eigenständigen kulturellen Bewusstsein verholfen. Zugleich hatte er stets einen wachen Sinn für soziale Fragen: für soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit gerade auch in den USA, dem Ursprungsland der modernen Demokratie. Daher auch sein Interesse an Whitman. Er hatte übrigens vor, ein amerikanisches Liederbuch zu schreiben – wozu es dann wegen seines frühen Todes nicht mehr kam.

Bertolt Brecht und Kurt Weill migrierten beide in die USA

Im Unterschied zu seinem deutschen Partner Bert Brecht funktionierte bei Weill die Akkulturation ziemlich problemlos...

Sehr richtig. Brecht wurde in den USA nie heimisch, Weill schon. Er nahm ja auch die amerikanische Staatsbürgerschaft an – was aber, wie gesagt, seinen kritischen Blick auf die sozialen Verhältnisse nicht blockierte.

Beim Anhören der Whitman-Gesänge laufen einem unweigerlich gute alte Bekannte über den Weg: Da ist Gershwin mit seinem schlendernden Broadway-Sound. Und da ist Mahler – zumal mit seinen Soldatenliedern, mit denen sich die Whitman-Texte samt ihren Anspielungen auf den amerikanischen Bürgerkrieg ja auch inhaltlich immer wieder berühren...

Ja, und da ist in der Harmonik auch viel vom jungen Alban Berg drin, vom „Wozzeck“. Aber noch einmal: Weill hat einen sehr individuellen Klang, ich erkenne ihn, wenn ich nur drei Takte höre. Er hat sich übrigens den Rhythmus von Whitmans Sprache kongenial anverwandelt, seine Semantik haargenau getroffen. Insofern sind das tatsächlich „amerikanische“ Lieder.

Mahler, Whitman und der Krieg

Noch einmal zum Thema Soldatenlied beim Mahler und Weill: Ein Lied wie Mahlers „Revelge“ ist an alptraumhafter Trostlosigkeit nicht zu überbieten, während Whitman und Weill den Krieg – man wagt es kaum zu sagen – irgendwie „optimistisch“ angehen...

Ja, das sind einfach zwei ganz verschiedene Geschichten – was auffällt, gerade weil es die thematische Nähe gibt. In „Revelge“ führt der Krieg als totale Aggression in die totale Vernichtung. Whitmans – und Weills – Kriegsbilder hingegen sind stark verbunden mit der Gestalt Abraham Lincolns, der Krieg geführt hat zur Abschaffung der Sklaverei, also für ein fundamentales Menschenrecht.

Eine weitere Parallele: Mahler wie Weill schrieben ihr Lieder zunächst als Klavierlieder, die später orchestriert wurden. Wie stehen Sie zu den jeweiligen Fassungen – die ja in Sachen Balance und Volumen sehr unterschiedliche Anforderungen an den Sänger stellen?

Tatsächlich sind es jeweils ganz andere Lieder je nachdem, ob sie mit Klavier oder Orchester erklingen. Sie haben eine andere Agogik, eine andere Dynamik, einen anderen Bezug zum Legato. Und sehr bedeutsam ist die Ikonografie des Gesprächs, die durch die Instrumentierung zustande kommt. Das alles muss der Interpret schon genau wahrnehmen und umsetzen. Ich persönlich kann mich nicht entscheiden, ich singe beide Fassungen wahnsinnig gern.

Kölner Philharmonie

Zuflucht - Benefizkonzert

Kölner Philharmonie

So oder so stellen die Weill-Lieder enorme Anforderungen – weil sie eine riesige gestische und stilistische Bandbreite verlangen: zwischen Hymne und dramatischer Konfrontation im fiktiven Gespräch, Parlando, Marsch und weitgespannter lyrischer Phrase. Ein schweres Programm...

Ja, das ist so – und das betrifft Whitman genauso wie Weill. Schwer bei Weill ist auch die Tonlage zwischen Tenor und Bariton, zumal angesichts der höheren Stimmung der modernen Orchester. Aber die größte Herausforderung ist in der Tat die verlangte Ausdrucksbreite. Ich nehme das auch nicht auf die leichte Schulter – was ich allerdings nie tue (lacht).

Die Antwort eines Künstlers auf die Krisenlage

Sie sind Amerikaner und sprechen hervorragend Deutsch, sind als Liedsänger sowieso in beiden Welten zuhause. Worin besteht eigentlich, aus sängerischer Perspektive, der Unterschied zwischen deutschen und englischen Texten?

Die gesungene deutsche Sprache liebt immer noch einen lyrischen, in der Resonanz weichen, glockenhaften Klang. Das gesungene Englisch – oder Amerikanisch – weicht ungern vom Gesprochenen ab, bezieht daraus eine gewisse Direktheit und Eckigkeit. Das können Sie daran hören, wie Konsonanten und Vokale funktionieren. Das ist übrigens schwierig für No-native-speaker.

Ein anderes Thema: Die Kultursphäre ist derzeit mit Problemen konfrontiert, die sie nicht verursacht hat, denen sie sich aber stellen muss. Klimakatastrophe, Corona-Krise, Ukraine-Krieg. Was macht das alles mit einem Künstler wie Ihnen?

Es ist eine rundum gefährliche Lage, die mich übrigens zunächst nicht als Künstler, sondern als Menschen betrifft. Als Künstler antworte ich mit der Aufforderung an mich selbst: mehr singen, mehr Musik machen und dadurch mehr Verständnis unter- und füreinander wecken. Was den Ukraine-Krieg anbelangt, so spüre ich auch eine starke mitleidende Frustration gegenüber der großartigen russischen Kultur. Was Putin derzeit macht, ist eher schon ein Genozid als ein Krieg. Ich konnte mir jedenfalls bis vor kurzem nicht vorstellen, dass so etwa in 2022 möglich sein könnte. Die Corona-Krise hat uns unsere fundamentale Verletzlichkeit gezeigt. Auch Kultur lebt vom menschlichen Austausch – und der war nicht möglich. Digitale Präsenz ist begrüßenswert, aber sie kann ein Konzerterlebnis nicht ersetzen. Gemeinsame Teilhabe an klassischer Musik ist der größte Beweis eines demokratischen Daseins, den wir uns vorstellen können. Die Behauptung, Klassik sei elitär, ist schlicht und einfach dumm.

Benefizkontert am 08.01. in der Kölner Philharmonie

Sie singen in Köln in einem Benefizkonzert zugunsten benachteiligter Kinder. Was bedeutet das für Sie?

Es bedeutet mir unfassbar viel – weshalb ich die Einladung auch sehr gerne angenommen habe. Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen haben durch die Pandemie besonders gelitten. Und bevor wir an Bildung denken, müssen wir sie nähren, kleiden und wärmen. Was wird aus den Generationen nach uns? Die Frage treibt mich um, und ich ergreife jede Gelegenheit, da als Künstler zu helfen. Dafür setze ich meinen Promistatus gerne ein.

Sie geben beim Gürzenich-Orchester jetzt Ihr Debüt, aber in Köln haben Sie ja schon oft gesungen...

Ja, und ich komme immer wieder gerne in die Region. Mein Karriere hat ja – in den 80er Jahren – mit einem Engagement an der Düsseldorfer Oper begonnen. Und ich war gut befreundet mit dem früheren – kürzlich verstorbenen – Kölner Opernintendanten Michael Hampe, habe in der Hampe-Zeit auch verschiedentlich an der Kölner Oper gesungen.

Welches Werk, welche Partie möchten Sie noch unbedingt singen? Trügt der Eindruck, dass Sie um Wagner eher einen Bogen machen?

Na ja, ich wurde schon mal sehr ernsthaft nach Hans Sachs gefragt. Aber dafür habe ich nicht die Kehle. Ich bin ein expressiver lyrischer Bariton, und ich habe deshalb Zweifel, ob ich mich in dieses Fach hätte hineinarbeiten können. Mit „Tannhäuser“ und „Parsifal“ war ich sehr glücklich. Der „Ring“? Schwierig, der Wanderer liegt mir zu tief. Mit meiner „positiv leuchtenden“ Höhe bin ich im italienischen oder französischen Fach besser situiert. Im deutschen Fach war ich mit dem Mandryka aus „Arabella“ sehr gern unterwegs. Was ich, wie ich glaube, immer noch sehr gut singen könnte, wäre der Falstaff.

Sie sind 66 Jahre alt. Wie viel Zeit geben Sie selbst noch Ihrer Karriere?

Ich singe so lange, wie ich kann. Ich möchte musizieren, bis ich einfach tot umfalle. Ich will allerdings auch nicht mein eigenes Vermächtnis verderben. Da habe ich aber einen engen Kreis von Vertrauten, die den Auftrag haben, mir ehrlich zu sagen: Thomas, es ist jetzt Zeit, weniger zu machen. Im Augenblick freue ich mich, wenn die Leute mir sagen: Die 66 hört man Ihnen aber nicht an.

Zuflucht - Benefizkonzert. Mit Opern-Sänger Thomas Hampson, dem Gürzenich-Orchester und dem Dirigenten Emmanuel Tjeknavorian. Sonntag, 08.01.2023 um 11 Uhr in der Kölner Philharmonie.

KStA abonnieren