Benjamin von Stuckrad-BarreWie der Star-Autor zum Junkie wurde

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Vom Popstar zum Junkie zum Autor: Benjamin von Stuckrad-Barre

Köln – Wer in einer niedersächsischen Kleinstadt aufwächst, einen Alltag zwischen Pastorenelternhaus und musikalischer Früherziehung lebt, dem kann ein Exzentriker wie Udo Lindenberg wie die Rettung erscheinen. Benjamin von Stuckrad-Barre machte den Musiker in seiner Pubertät zu seinem Helden, er sollte es bleiben. „Udos Werk und Udos Auftritt empfand ich von Beginn an als Werbung für den Rausch als solchen, Rausch als Spaß und Selbstzweck, Rausch aber auch als Protest, als Haltung. Als Art, durchs Leben zu taumeln und nur sehr ausgewählt die permanenten Ernsthaftigkeitsangebote der Umwelt anzunehmen“, schreibt der heute 41-Jährige in seinem jetzt erschienenen Roman „Panikherz“, den er an diesem Mittwoch auf der lit.Cologne vorstellt.

Sehnsucht nach dem Rausch

Die Sehnsucht nach dem Rausch wurde für Stuckrad-Barre zum Lebensentwurf, die Bewunderung für Lindenberg – erst aus der Ferne, später als Freund – zum roten Faden einer Lebensgeschichte, die der Schriftsteller auf knapp 600 Seiten ausbreitet. Schon früh will das Jüngste von vier Kindern dem protestantischen Elternhaus, in dem die Mutter den Wunsch nach vielen Weihnachtsgeschenken als Materialschlacht ächtet, entfliehen. Denn er,  von Stuckrad-Barre, hält nichts von Mäßigung, im Gegenteil. Ihm soll das Leben gleich einen ganz Berg  Geschenke machen.

Und am Anfang läuft es für ihn besser, als er es sich hatte träumen lassen. Über die Mitarbeit an einem Stadtmagazin wird er Redakteur beim „Rolling Stone“, es folgen Stellen bei einer Plattenfirma und als Autor für die „Harald Schmidt Show“. Mit gerade mal 23 wird er dank seines Debütromans „Soloalbum“ schlagartig berühmt. Er ist jetzt ein angehimmelter Star der Popliteratur, der seine Bücher auch gleich passend benennt. „Soloalbum“, „Livealbum“, „Remix“. Er beobachtet scharf, formuliert treffend, verscherzt es sich mit vielen. Er will sein wie seine Helden, – wie Bret Easton Ellis, Charles Bukowski, Jörg Fauser. Und  natürlich wie Udo, der zu einer Art Ersatzvater wird.

Popstar statt bloß Autor

Er will ein Popstar sein, nicht bloß ein Autor. Und dem Bild, das er von einem solchen Leben hat, versucht er mit allen Mitteln zu entsprechen.  Er hungert sich in eine Essstörung, er nimmt Kokain und trinkt. Ausufernd schildert von Stuckrad-Barre dieses Leben im Rausch. Er kann nicht mehr arbeiten, er verdämmert Tage, Wochen, Jahre. Er geht in Kliniken und wird doch wieder rückfällig. Denn für ihn, den Überempfindlichen, ist die Sucht wie ein Freund. „Das ist das Befreiende an einer Sucht: Man hat Ruhe von sich selbst, Urlaub vom Ich, von der Selbstbewertungsmaschinerie, man hat zu tun, die Sucht gibt Befehle aus, und die schuftet man dann weg. Es ist das Leben in einer Diktatur, ganz der Sucht und ihren herrischen Gesetzen unterworfen.“ Doch er muss erkennen, dass er das Leben, das er nie leben wollte, nun doch lebt. Die Sucht hat ihn zum Spießer gemacht: „Wenn wir Spießertum definieren als eine totale, zwanghafte Regelmäßigkeit, die nichts so fürchtet wie Varianten und Abwechslung.“

Gerettet von der Familie

Irgendwann ist er pleite, körperlich am Ende, dem Tod näher als dem Leben – doch der Tiefpunkt ist erreicht, als sein einstiges Idol Harald Schmidt sich über ihn in einer Sendung lustig macht. Mit fast allen Freunden hat er es sich verscherzt. Da wirkt es fast wie  Ironie, dass ausgerechnet die Familie, der er einst entfliehen wollte, ihn rettet. Der ältere Bruder – solide, verheirateter Familienvater, Arzt – holt ihn nach Hause und hilft ihm beim Entzug. Der verlorene Sohn kehrt zurück.

Auf all das blickt Stuckrad-Barre aus dem legendären Hotel Château Marmont in Los Angeles zurück, in das er mit Udo Lindenberg geflogen ist. „Panikherz“ ist ein Buch wie sein Leben – atemlos, ohne rechtes Maß, ausufernd, eitel, egozentrisch. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Er ist ein aufmerksamer Beobachter, der oft sehr komisch Szenen beschreibt. Allein die Eröffnung am Flughafen von L.A. ist ein Höhepunkt. Aber er verliert sich auch ein Stück weit in seinem Erzähltalent, reiht dann Szene an Szene, Erlebnis an Erlebnis. Zurück bleibt ein atemloser Leser – aber genau das war wohl auch das Ziel.

Benjamin von Stuckrad-Barre (41) wurde durch sein Debüt „Soloalbum“ bekannt An diesem Mittwoch, 16. März, 21 Uhr, stellt er seinen Roman „Panikherz“ auf der lit.Cologne im Gespräch mit Journalist und Produzent Friedrich Küppersbusch vor.

„Panikherz“, Kiepenheuer & Witsch, 576 Seiten, 22,99 Euro.

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