Ausstellung in Bergisch GladbachOskar Holweck nimmt uns mit zum Nullpunkt der Malerei

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Schwarze Tinte ist in Schwüngen und Spritzern über ein Blatt Papier verteilt.

Eine Tuscharbeit von Oskar Holweck aus dem Jahr 1956. Sie ist derzeit im Kunstmuseum Bergisch Gladbach zu sehen.

Bei der Wiederentdeckung der Zero-Kunst wurde Oskar Holweck vergessen. Diesen Fehler versucht das Kunstmuseum Villa Zanders zu korrigieren.

Es gehört zu den ewigen Rätseln der Kunstgeschichte, warum der Blitz des Neuen so gerne gleichzeitig an verschiedenen Orten einschlägt. Während die jungen Lehrer Heinz Mack und Otto Piene in Düsseldorf an ihrer gemeinsamen Stunde Null arbeiteten, brach in Saarbrücken der etwas ältere Oskar Holweck mit der religiösen Malerei und tuschte stattdessen Raster, Rhythmen und Strukturen aufs Papier. Es waren Zeichnungen, die alles Individuelle hinter sich ließen und am ehesten an die Aufzeichnungen technischer Geräte erinnerten.

An solchen anonymen Strukturen arbeiteten auch Mack und Piene, und so luden sie Holweck 1958 erstmals zu einer Ausstellung ihrer Zero-Gruppe ein. In den 1960er Jahren gehörte Holweck zu den ständigen Gästen der Zeros, wie Mack, dessen Werke den seinen mitunter unheimlich ähnlich sehen, suchte er in Licht und Bewegung den Kern der Malerei. Bei der 2006 beginnenden Wiederentdeckung der Zero-Gruppe wurde Holweck trotzdem mehr oder weniger vergessen. Dieses Rätsel lässt sich allerdings leicht auflösen: Schon früh wanderte Holwecks Kunst in eine andere Richtung und außerdem scheint er mit seiner saarländischen Heimat verwachsen gewesen zu sein.

Gleich zwei Mal lehnte Holweck eine Einladung zur Documenta ab

Gleich zwei Mal lehnte Holweck eine Einladung zur Documenta ab, mehrfach weigerte sich der Lehrer an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, einen Ruf an eine renommiertere Stelle zu erhören. Gegen die Ausstellung im Kunstmuseum Bergisch Gladbach konnte sich der 2007 verstorbene Holweck hingegen nicht mehr wehren. Petra Oelschlägel feiert ihn darin als „Meister der Reduktion“ und stellt vor allem seine späteren „konkreten“, durch Reißen, Knicken, Knüllen oder Durchlöchern geschaffenen Papierarbeiten vor.

Nach der Retrospektive in der Villa Zanders versteht man sofort, dass Holwecks Zero-Bilder nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer möglichst einfachen Kunst waren, die in dieser Einfachheit zugleich alle Möglichkeiten der Kunst enthalten sollte. Holweck schüttete Tusche aufs Papier (oder schoss sie aus einer Pipette), während er das Papier bewegte, und trieb diese Versuche wie unter Laborbedingungen voran. Schließlich schlug der Blitz ein zweites Mal ein. Holweck begriff, dass er auch die Farbe weglassen musste, wollte er zum Nullpunkt der Malerei gelangen.

Die Gattung der „Reißgrafik“ ist vermutlich Holwecks Erfindung

Danach arbeitete Holweck beinahe ausschließlich mit Papier, das er systematisch zerstörte. Die Gattungsbezeichnung „Reißgrafik“ ist vermutlich seine Erfindung, allerdings beließ er es nicht beim Reißen, sondern bearbeitete die Blätter auf jede erdenkliche Weise. Am schlichtesten sind seine Perforationen, also durchlöcherte Bögen, die durch kleine Schatten gemustert werden. Aber er schlitzte die Papiere auch, erprobte verschiedenen Reißmethoden und bohrte eigens für diesen Zweck hergestellte Blindbücher ohne Text zu wuchernden Skulpturen auf.

Ihrem Prinzip nach läuft Holwecks Kunst auf ein einsames Loch in der Mitte eines weißen Papiers hinaus. Doch war Holweck kein langweiliger Purist, ihn interessierte, was man aus einem „reinen“ Werkstoff wie Papier alles an künstlerisch wertvoller Unreinheit herausholen kann. Mit schöpferischer Zerstörungslust hatte das alles wohl nichts zu tun. Die „Reißgrafiken“ wirken so hauchzart, dass man selbst vor einer fertigen, gerahmten und hinter Glas gefassten Arbeit nachträglich mitzittert: Einmal falsch gerissen und das Blatt ist ruiniert.

Holweck bediente sich nicht nur verschiedener Reißwerkzeuge, sondern wählte auch seine Papiersorten nach besonderen Materialqualitäten aus. Transparentpapier gehörte zu seinen bevorzugten Arbeitsstoffen, dickere Blätter montierte er nach dem Zerreißen gerne zu Reliefs. Und auch die Tusche kam immer wieder zum Einsatz, um bestimmte Wirkungen zu erzielen oder Eigenschaften des Papiers zu betonen.

Hell und Dunkel und die Bewegung, die ihr Gegensatz erzeugt, blieben bis zuletzt die wichtigsten Zutaten seiner Kunst. Das ist einerseits denkbar abstrakt, aber auch so persönlich wie eine durch Handzeichnungen gezogene Lebenslinie. „Mein Arbeiten“, sagte Oskar Holweck, „sind seismografische Aufzeichnungen über Entstehungszeit, äußere Gegebenheiten und meine eigene Konstitution.“


„Oskar Holweck – Meister der Reduktion“, Kunstmuseum Villa Zanders, Konrad-Adenauer-Platz 8, Bergisch Gladbach, Di., Fr. 14-18, Mi., Sa. 10-18, Do. 14-20, So. 11-18 Uhr, bis 2. Juni 2014

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