Berlinde De Bruyckere in RolandseckWarum sind Tierkadaver und gequälte Leiber Kunst?

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Berlinde De Bruyckere, Herbeumont

Rolandseck – Als ob Christus am Kreuz nicht schon genug gelitten hätte, erfand das christliche Mittelalter im neunten Jahrhundert auch noch die Geißelsäule. An diese wurde der Heiland angeblich in der Nacht vor seinem Tod gebunden und von Soldaten ausgiebig mit Peitschen und Stöcken geschlagen – aus reiner Bosheit oder um ihn in geschwächtem Zustand vor Pilatus führen zu können.

Eine modernisierte Geißelsäule steht nun im Arp Museum in Rolandseck. Sie gehört zu einer Skulptur der belgischen Künstlerin Berlinde De Bruyckere und ist eigentlich ein Eisenpfahl, wie man ihn früher gerne in Bahnhöfen verbaute. An seinem oberen Ende klammert sich eine gekrümmte menschliche Gestalt, eher ein Torso, kopflos, die Beine unter den hängenden Leib gezogen, mit Händen und Füßen verzweifelt um Halt bemüht, der langgestreckte Rücken zerfurcht und offen.

Berlinde De Bruyckere wurde mit lebensechten Pferdekadavern bekannt

Es ist ein typisches Werk für De Bruyckere, die mit ihren Darstellungen menschlichen und tierischen Leids berühmt und auch ein wenig berüchtigt wurde. Berühmt ist De Bruyckere, Tochter eines Metzgers, weil sie gequälte Körper so naturalistisch vor uns hinstellt wie in der Moderne niemand sonst. Unter der wächsernen Haut ihrer Figuren pulsiert noch etwas farbiges Leben, das sich mit dem Graublau von Totenflecken vermischt. Genau wegen dieser plastischen Lebensnähe sind ihre Arbeiten auch umstritten.

Am häufigsten entzündet sich die Kritik an den lebensgroßen Pferdeskulpturen, die De Bruyckere an echten Tierkadavern abformt und mit echter Pferdehaut überzieht. Es sind allerdings erstaunlich sanfte gefallene Körper, wie man nun im Arp Museum sehen kann, keine „Schockbilder“, zumal wenn man bedenkt, das De Bruyckere mit ihnen den massenhaften Tod von Pferden auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs beklagt. Auch hier geht es ihr um plastische Darstellungen universeller Qual, aber eben auch um eine Geste der Zärtlichkeit. Sie legt den fragmentierten Pferden die abgezogene Haut wie eine schützende Hülle auf den Leib.

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Überhaupt mildert De Bruyckere ihren morbiden Naturalismus an Vorbildern der Kunstgeschichte – die Hauptquellen ihrer Kunst sind die biblische Passionsgeschichte und die antiken Mythen aus Ovids „Metamorphosen“. So hüllt sie den gehäuteten Satyr Marsyas in Stofffetzen, schält den Körper aus einer nahezu abstrakten Form und lässt den von den Göttern Geschundenen auf den Zehenspitzen tänzeln. Auch der Jäger Aktaion hat einen Auftritt, nachdem er in einen Hirsch verwandelt und von den eigenen Hunden zerrissen wurde – allerdings nur als organische Andeutung in einem Tiergeweih.

In Rolandseck sind 16 Skulpturen De Bruyckeres zu sehen, die meisten „körpernah“, aber auch die abstrakten Arbeiten atmen den Geist klassischer Erzählungen. Eine Stoffcollage erinnert an das Turiner Leichentuch oder an eine Kreuzigung – nach einem Gang durch die Ausstellung stellen sich derlei Assoziationen wie von selbst ein. Jede Hülle ist eine Figur und jede Figur eine Hülle für die Sterblichkeit. Bei De Bruyckere wird aus dem Menschen eine geschundene Kreatur, mit der die Kunst, ein barmherziger Samariter, den eigenen Mantel teilt.

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Berlinde De Bruyckere

Ergänzt werden die Großformate durch 18 Grafiken, auf denen sich ebenfalls körperliche Figuren aufzulösen beginnen – oder abstrakte Formen eine nahezu menschliche Gestalt gewinnen. Mit einer Serie welkender Papiercollagen spielt Berlinde De Bruyckere auf den Entstehungsmythos der Lilien an, die nach Ovid aus dem mit Jünglingsblut getränkten Boden wuchsen. Schönheit und Tod gehören auch in ihrer spätbarocken Kunst wie selbstverständlich zusammen.

Am deutlichsten wird dies beim Anblick zweier totgeborener Fohlen, die, ausnahmsweise aus Stein geformt, über einen rauen Felsen gegossen wurden. Es sind Geschwister des berühmten Opferlamms des spanischen Malers Francisco de Zurbarán. Und zugleich sind es beseelte Körper, geschlagen aus dem Hier und Jetzt.

„Berlinde De Bruyckere. Pel – Becoming the Figure“, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen, bis 8. Januar. Der Katalog zur Ausstellung erscheint Ende August. 

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