Antisemitismus auf der DocumentaWarum die Debatte gründlich schief läuft

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Aufräumarbeiten auf der Documenta

Köln – Am Montag gab es auf der Documenta den Skandal, den viele seit Monaten vorhergesagt hatten. Ein Besucher der Kasseler Weltkunstschau twitterte Aufnahmen eines Wimmelbilds des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, auf dem auch zwei antisemitische Spottfiguren zu sehen waren. Am Dienstag beschloss die deutsche Documenta-Leitung, das haushohe Banner, das zuvor offenbar niemand aus dem Kuratorium gesehen hatte, abzubauen, entblödete sich allerdings nicht, die allgemeine Empörung um das Werk mit unterschiedlichen kulturellen Auffassungen zu erklären.

Sabine Schormann übt sich in Schadensbegrenzung

Seitdem übt sich die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, in Schadensbegrenzung. Sie kündigte an, dass sämtliche ausgestellte Arbeiten bei laufendem Betrieb auf antisemitische Inhalte überprüft werden sollen, was schon deswegen einigermaßen hilflos wirkt, weil es dabei um Kunstwerke geht, die als Volksverhetzung gegen geltendes deutsches Recht verstoßen würden. Einen Rücktritt lehnt Schormann bislang ab. Allerdings erscheint dieser unvermeidlich, sollte sie den skandalösen Erklärungsversuch von Taring Padi persönlich abgesegnet haben.

An der Grenze zum Skandal bewegt sich mittlerweile auch die Debatte über die Documenta. Auf „Spiegel Online“ taufte Sascha Lobo die Ausstellung zur „Antisemita“ um, die „Jüdische Allgemeine“ sprach von „zahlreichen Antisemitismusskandalen“ auf der Documenta und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlieh in seiner Eröffnungsrede am Samstag unbelegten Vorwürfen gegen die künstlerische Leitung höchste staatliche Weihen.

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Tatsächlich dominiert in der Debatte über das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa über Monate hinweg die Rhetorik des Generalverdachts. Es gibt bislang keine Beweise für dessen angebliche Nähe zur „israelkritischen“ BDS-Kampagne geschweige denn für eine antisemitische Gesinnung. Mitunter schien die Herkunft aus einem muslimischen Staat zu genügen, um einen Anfangsverdacht zu konstruieren.

Die Documenta hat sich zweifelsohne selbst beschädigt. Aber eine „Antisemita“ ist sie nach Stand der Dinge nicht. Wenn jetzt die Absage einer Podiumsveranstaltung oder die Nicht-Einladung israelischer Künstler zu Skandalen erhoben werden, wird trotzdem keine schlüssige Indizienkette daraus. Auch die umstrittene Bilderserie „Gaza Guernica“, in der das palästinensische Künstlerkollektiv The Question of Funding die Bombardierung des Gaza-Streifens durch die israelische Armee mit dem deutschen Angriff auf die spanische Stadt Guernica gleichsetzt, taugt nicht, um Ruangrupa zu überführen. Der Vergleich ist historisch falsch und das Werk in seiner gesamten Machart anti-israelische Propaganda. Aber es ist nicht antisemitisch, ein Bombardement, das weit über Tausend Menschen das Leben kostete, als Kriegsverbrechen anzuklagen.

Spät meldete sich Ruangrupa zu Wort

Am Donnerstag meldete sich Ruangrupa zu Wort. „Wir haben als Kollektiv darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken“, heißt es auf der Documenta-Webseite zu Taring Padis Arbeit. „Wir bitten um Entschuldigung für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben.“ Auch sonst spricht das Statement eine deutliche Sprache. Nichts deutet darauf hin, dass Ruangrupa antisemitische Positionen teilt oder auch nur zu verteidigen bereit wäre. Man hätte sich nur gewünscht, diese Erklärung wäre früher und anstelle der ersten veröffentlicht worden.

In ihrem Statement verwahrt sich Ruangrupa auch gegen seiner Meinung nach unfaire Unterstellungen und eine teilweise unlautere Diskussion. „Wir hoffen, dass all unsere Arbeit nicht umsonst war. Documenta fünfzehn bedeutet so viel mehr.“ So viel mehr, muss man ergänzen, als eine Antisemitismus-Debatte und ein skandalöses Werk.

Mitten in die Debatte über den BDS und Postkoloniale Theorien geraten

In der öffentlichen Wahrnehmung der Documenta geht es freilich um nichts anderes mehr. Das liegt auch daran, dass sie mitten hinein in die deutschen Debatten über den BDS und die postkolonialistische Theorie geraten ist – jeweils Felder, auf denen auf beiden Seiten mit harten Bandagen und gelegentlich unlauteren Mitteln gekämpft wird. Zu diesen Mitteln gehört leider auch, den Debattengegner mit strategischen Antisemitismus-Vorwürfen zu überziehen.

Ruangrupa war angetreten, die Documenta zu einem Forum des „globalen Südens“ zu machen, das wichtigste Kunstfestival der Welt sollte Menschen aus den ehemaligen europäischen Kolonien eine Stimme geben und ihre Anliegen gegen den „globalen Norden“ vertreten. Man darf vermuten, dass nicht alle Teilnehmer der aktuellen Debatte eine Interesse daran haben, diese Anliegen anzuhören.

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