Documenta fifteenRuangrupa, der BDS und die bittere Pointe des Lumbung-Prinzips

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Das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa

Köln – Am kommenden Samstag beginnt die 15. Documenta, und man könnte über vieles reden. Über die nach Kassel geladenen Teilnehmer der alle fünf Jahre stattfindenden Weltkunstausstellung etwa oder über das Lumbung-Prinzip, dem das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa seine Auswahl unterworfen hat. Im Reisspeicher der Documenta sollen Wissen, Ideen und Arbeitskraft zusammengetragen und mit der Welt geteilt werden. Ruangrupa stellen keine einzelnen künstlerischen „Positionen“ aus, sie suchen den großen Zusammenhang und den globalen Zusammenhalt.

Alle künstlerischen Fragen stehen im Schatten der Antisemitismus-Debatte

Geladen haben sie deswegen vornehmlich Gruppen, Netzwerke und Kollektive, die, wie sie selbst, nicht mehr strikt zwischen künstlerischer und politischer Arbeit unterscheiden. Man könnte also auch darüber reden, ob diese aktivistische Haltung zur Kunst ein Steckenpferd der Kuratoren ist – oder ein Zeichen unserer Zeit.

Stattdessen wird seit Monaten in Sachen Documenta fifteen nur noch über eines gesprochen und vor allem geschrieben: die Haltung von Ruangrupa zum „israelkritischen“, in Teilen offen antisemitischen Bündnis Boykott, Desinvestition und Sanktionen, kurz BDS. Gerade in deutschen Debatten ist das Verhältnis zum BDS, einer losen, internationalen Verbindung von Gruppierungen, die mit Hilfe von Boykotten und Sanktionen Einfluss auf die israelische Palästina-Politik nehmen will, zum moralischen Prüfstein geworden. Kritiker werfen ihm vor, das Existenzrecht des Staates Israel zu bestreiten, seine Verteidiger sehen im pauschalen Antisemitismus-Verdacht gegen den BDS den Versuch, jegliche Parteinahme für die Palästinenser und andere „anti-kolonialistische“ Bewegungen zu unterdrücken.

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Angestoßen wurde die Documenta-Debatte im vergangenen Januar durch einen anonymen Blogeintrag des Kasseler „Bündnis gegen Antisemitismus“, in dem wenig argumentiert wurde und der schlüssige Belege für seine Antisemitismus-Vorwürfe schuldig blieb. Einigen Documenta-Mitarbeitern wurde eine Nähe zur BDS-Kampagne nachgesagt und dem Künstlerkollektiv The Question of Funding vorgehalten, mit einem palästinensischen Kulturzentrum verbandelt zu sein, das den Namen des 1953 verstorbenen, angeblichen Hitler-Sympathisanten Khalil al-Sakakini trägt (mittlerweile wurde letzterer in der „Süddeutschen Zeitung“ zumindest teilweise rehabilitiert).

Auch bei der Künstlerliste blieb Ruangrupa stur

Trotz dieser dürftigen Basis griffen einige Medien die Vorwürfe geradezu begierig auf; in der „Zeit“ wurde sogar das Existenzrecht der Kasseler Ausstellung infrage gestellt. Seitdem hat die Debatte wenig von ihrem traurigen Schwung verloren. Die Documenta weist die Antisemitismus-Vorwürfe strikt zurück, ihre Kritiker suchen weiterhin Indizien für die BDS-Nähe von Ruangrupa - und finden diese etwa in angeblichen Äußerungen eines vor der Veröffentlichung zurückgezogenen Interviews und in der Gästeliste für ein Documenta-Podium zu den Themen Antisemitismus und Rassismus. Auf selbiger fehlte ein Abgesandter der Jüdischen Gemeinden in Deutschland; schließlich sagte die Documenta die Veranstaltung lieber ab, als sich vorschreiben zu lassen, mit wem und worüber sie diskutieren darf.

Eine ähnliche Beharrlichkeit (oder Sturheit) bewies Ruangrupa bei der Auswahl der Documenta-Künstler. Sie luden keinen jüdischen Künstler aus Israel ein, obwohl sie wissen konnten, dass dies exakt in die Erzählung passt, sie stünden dem BDS nahe. Gerade in der Kunstwelt sind Boykottandrohungen gegen Ausstellungen, zu denen israelische Künstler geladen wurden, keine Seltenheit; manche Veranstalter, heißt es, lüden daher lieber erst gar keine Israelis ein. Sollte dies auch bei der Documenta, der wichtigsten deutschen, vom Staat üppig finanzierten Kunstschau, der Fall gewesen sein, wäre dies ein Skandal. Aber die Tatsache allein, dass keine Künstler aus Israel vertreten sind, rechtfertigt eine entsprechende Schlussfolgerung noch nicht.

BDS funktioniert ebenfalls nach dem Lumbung-Prinzip

Eine seltsame Pointe der Debatte liegt darin, dass auch die BDS-Kampagne nach dem Lumbung-Prinzip organisiert ist. Sie besteht aus global verteilten Gruppierungen, die sich als Netzwerk verstehen, gemeinsam arbeiten und ihr „Wissen“ jedermann zur Verfügung stellen. Auch gute Ideen müssen eben nicht zwangsläufig zu guten Dingen führen.  

Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass eine Kunstszene, die sich weniger nach ästhetischen Maßstäben ausrichtet und stattdessen aktivistische sowie journalistische Formate adoptiert, an ihrer politischen Haltung gemessen wird. Aber das rechtfertigt kaum die aktuelle Tonlage der Debatte. Leider ist jetzt schon abzusehen, dass es auch nach ihrer Eröffnung weniger um die Kunst der Documenta als um ihre Gesinnung gehen wird. 

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