Abo

Britischer Autor nach Sturz gelähmtWarum die ganze Welt Hanif Kureishis Tweets aus dem Krankenhaus liest

Lesezeit 3 Minuten
Rome: Literature Festival 2017 British novelist and screenwriter Hanif Kureishi during Photocall of the press conference of the sixth evening of Literature PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY MatteoxNardone

Der britische Schriftsteller und Drehbuchautor Hanif Kureishi im Jahr 2017

Der britische Autor Hanif Kureishi liegt seit einem Sturz gelähmt in einem römischen Krankenhaus. Seine diktierten Tweets bewegen die ganze Welt.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag, eben noch hat er Liverpools Stürmerstar Mo Salah ein Tor gegen Aston Villa schießen sehen, ereilt Hanif Kureishi auf einem Spaziergang durch Rom ein Schwindelanfall. Als er aus seiner Ohnmacht erwacht, findet sich der britische Schriftsteller und Drehbuchautor („Mein wunderbarer Waschsalon“, „Der Buddha aus der Vorstadt“) in einer Blutlache auf dem Bürgersteig liegend wieder, den Hals grotesk verdreht.

Als Erstes sieht er etwas, das er nur „als ein schaufelförmiges, halbkreisförmiges Objekt mit Krallen bezeichnen kann“ auf sich zukommen. „Mit dem Rest meines Verstandes erkannte ich, dass dies meine Hand war, ein unheimliches Objekt, über das ich keine Kontrolle hatte.“

Später, in einem Krankenbett des Gemelli Hospitals, erkennt der 68-Jährige, dass er weder seine Arme noch seine Beine bewegen kann. Er könne sich nicht an der Nase   kratzen, nicht telefonieren oder sich selbstständig ernähren, diktiert Kureishi seiner Frau und seinem Sohn. Am schlimmsten jedoch trifft ihn die Unfähigkeit, seinen geliebten Füller halten zu können.

Seine Kurzdiktate veröffentlicht der gelähmte Autor auf seinem Twitter-Account, der in den Tagen darauf und bis heute von sarkastischen Beobachtungen, liebevollen Erinnerungen und täglichen Krankenstandmeldungen geradezu übersprudelt. Mal wird ein   Katheter gelegt, mal über Proust und russische Romane sinniert, mal erzählt er, wie er bei einer Darmspiegelung mit Salman Rushdie verwechselt wurde. Der Frust über die Verständigungsprobleme mit dem italienischen Krankenhauspersonal erinnert ihn daran, dass er als Kind in einem britisch-indischen Haushalt von vielen Sprachen umgeben war, die er nicht verstand: „Urdu, oder Pandschabi, gemischt mit Cockney-Englisch.“

Voller Verzweiflung stellt Kureishi fest, dass er sich von nun an für immer fremd bleiben wird. Ein paar Tage später, der erste Hoffnungsschimmer: Zum ersten Mal kann er sich aufrecht hinsetzen, zum ersten Mal wird er zur Physiotherapie gebracht, es sei überhaupt das erste Mal, merkt er mokant an, dass er ein Fitnessstudio betrete. „Seit ich zum Gemüse wurde, bin ich beschäftigter denn je“, stellt der Autor mit grimmiger Verwunderung fest.

Kureishis Kurznachrichten sind eine fesselnde Lektüre, der sich inzwischen etliche Leser hingeben. Auch wenn man sie mit den Schuldgefühlen des getriebenen Voyeurs verfolgt, so wie damals vor zehn Jahren, als der an einem unheilbaren Gehirntumor erkrankte Autor Wolfgang Herrndorf seine letzten Monate in einem Blog festhielt.

Immerhin kann man Kureishi auf Twitter antworten, ihn ermutigen und aufmuntern – Salman Rushdie, der nach einer Messerattacke im August auf einem Auge blind ist und eine Hand nicht mehr bewegen kann, tut das jeden Tag. Man kann Hanif Kureishi auch einfach nur seine Dankbarkeit aussprechen, für diesen kleinen, aber ungemein trostreichen Siegeszug des Geistes gegen körperliche Unbill.

KStA abonnieren