Buch des Kölner Autors Lutz DursthoffKann man Putin hassen, aber Russland lieben?

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Ein selbstgebastelter Wegweister vor der Datscha der Dursthoffs weist unter anderem sowohl nach Moskau als auch nach Köln.

Irgendwo zwischen Köln und Moskau liegt die Datscha der Dursthoffs.

Lutz Dursthoff und seine Frau haben sich in Russland eine zweite Heimat auf dem Land geschaffen. Doch durch den Krieg gegen die Ukraine hat ihre Aussteiger-Idylle Risse bekommen. 

Das Paradies von Lutz Dursthoff und seiner Frau Galina liegt in der tiefsten russischen Provinz. Weit weg von Moskau, nahe der weißrussischen Grenze. Dort steht ihre Datscha, ihr kreatives Endlos-Projekt, ihre zweite Heimat. Über diese Datscha wollte Lutz Dursthoff eigentlich nur eine unterhaltsame Geschichte schreiben. Jahrelang hatte er als Sachbuchlektor beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch andere Autoren betreut. Jetzt, als Rentner, hatte er Zeit für ein eigenes Buch. Und vor allem: Er hatte ein Thema. Denn immer, wenn er in Köln von seinen unglaublichen Abenteuern auf ihrer Datscha erzählte, hieß es: Schreib das doch auf!

Aussteiger-Anekdoten treffen auf Geschichten vom Krieg

Sehr unterhaltsam ist sein Buch tatsächlich geworden. Aber ganz anders als geplant. Denn mit dem Paradies ist das bekanntlich so eine Sache – eh man sich versieht, wird man schon wieder daraus vertrieben. Als Russland Ende Februar 2022 die Ukraine angriff, war klar, dass aus dem unbeschwerten Datscha-Buch nichts werden würde: „Ich konnte gar nicht weiterschreiben“, erzählt Lutz Dursthoff. „Und wer will auch sowas lesen in diesen Zeiten?!“

Nach einer Schreckenspause habe er dann eine Art „Kriegstagebuch“ geführt. Und schließlich beide Teile miteinander verwoben, zu einem „Nachruf aufs Paradies“: Die heiteren Aussteiger-Anekdoten und seine Gedanken und Beobachtungen zum Krieg in der Ukraine. So steht nun das Schöne neben dem Schrecklichen – im Buch wie im Leben. „Schizophrenie“ ist ein Wort, das häufig fällt, wenn Lutz Dursthoff über seine Liebe zur Datscha und über den Krieg spricht.

Denn die Datscha gibt es ja immer noch, die Blumen und die Kürbisse wachsen einfach weiter und die Ukraine ist mehrere hundert Kilometer entfernt - den Krieg spürt man dort nicht direkt. Am nächsten sei er ihnen gekommen, als die Ukraine im vergangenen Jahr mit einer Drohne eine Ölraffinerie angegriffen hat, die nur 50 Kilometer entfernt von ihrem Dorf ist. Aber ansonsten ist alles wie immer. Fast alles. Denn natürlich gibt es den Krieg, mit Toten, Bomben, Kriegsverbrechen. Aber es gibt eben auch noch die Land-Idylle.

Lutz Dursthoff und seine Frau beschönigen das nicht, sind weit entfernt davon „Putin-Versteher“ zu sein. Und als „Hobby-Geopolitiker“ wissen sie natürlich auch, dass die Lage schon vor 2022 schlimm war. Aber bis dahin fiel das Verdrängen irgendwie noch leichter. Und es zieht sie ja auch weiß Gott nicht zu Putin, sondern zu ihrer Datscha. Kann man das, darf man das trennen? Die Dursthoffs versuchen es irgendwie: „Jetzt sind wir tatsächlich wieder hier, Anfang Juli 2022. Trotz Krieg. Zwei Monate lang haben wir uns das nicht zugestanden: Ins Herz der Finsternis fahren?“, heißt es im Buch.

Zwei kleine blau/türkise Holzhütten in einem Blumengarten.

Die Datscha hat inzwischen Gesellschaft bekommen.

Die Sehnsucht nach der Land-Idylle ist einfach zu groß, vor allem bei Galina Dursthoff, die aus Russland kommt und in Köln als Agentin für russische Literatur arbeitet. Zusammen mit ihrem Mann hat sie sich in einer der ärmsten Regionen Russlands einen verwunschenen Ort geschaffen. „Wir haben die Datscha vor zehn Jahren übernommen, als meine Schwiegermutter gestorben ist. Das war ein altes Bauernhaus, nach dem Krieg gebaut aus den Backsteinen einer Kirche, die früher ganz in der Nähe des Waldfriedhofs stand und durch deutschen Beschuss zerstört wurde.“

Sie haben nicht nur das ziemlich runtergekommene Häuschen wieder aufgemöbelt und einen großen Garten samt Teich angelegt - es sind auch nach und nach immer mehr Gebäude dazu gekommen: Badehaus („Banja“), Töpferwerkstatt, Treibhaus, Sommerveranda... Eine Garage und ein chinesisches Teehaus (!) sind noch in Planung: „Die Datscha ist kein Zustand, sie ist ein Prozess“, pflegt Galina Dursthoff zu sagen, die gerne alles mit farbenfrohen Malereien verziert: „Besucher haben uns schon geraten, doch künftig Eintritt zu nehmen“, schreibt ihr Mann.

„Die meisten Menschen auf dem Dorf interessieren sich für ihre Ernte, für ihre Kinder, für die Familie, fürs Wohlergehen des Dorfes. Aber politisch blicken sie überhaupt nicht durch.“
Lutz Dursthoff

Doch jetzt hat der Aussteiger-Traum deutliche Risse bekommen. Zwar haben Flüsse und Seen immer noch diesen „ganz bestimmten Blauton“, von dem Lutz Dursthoff schwärmt. Und alles sieht immer noch aus, wie in einem Kinderbuch aus den Fünfzigerjahren. Aber mit den Nachbarn spricht man lieber nur noch über Unverfängliches wie Pilze sammeln. Denn ansonsten kann der Ton rauer werden: „Ihr werdet im Winter richtig frieren“, prophezeite zum Beispiel gehässig der Handwerker von nebenan, der ihnen immer so viel bei ihren Bau-Projekten geholfen hatte. Und dann wiederholt er „sämtliche Klassiker der TV-Propaganda“: Selenskyi sei drogensüchtig und das Massaker von Buschta von den Ukrainern inszeniert worden.

„Die meisten Menschen auf dem Dorf interessieren sich für ihre Ernte, für ihre Kinder, für die Familie, fürs Wohlergehen des Dorfes. Aber politisch blicken sie überhaupt nicht durch“, sagt Lutz Dursthoff. Und selbst Freunde aus Moskau verfielen zunehmend der Propaganda oder retteten sich in Gleichgültigkeit: „Ach ja, der Krieg, der ist schrecklich, aber da reden wir nicht drüber, das macht nur krank. Schlimm, schlimm, aber ich halte mich da raus. Das ist ein Regierungskrieg und nicht unserer.“

Lutz Dursthoff.

Lutz Dursthoff

Er halte eigentlich nichts davon, bestimmten Nationen Eigenschaften zuzuschreiben, sagt Lutz Dursthoff. Seine Frau sei da weniger zimperlich. Sie sage immer, dass die russische Herzlichkeit jederzeit in Niedertracht oder sogar Brutalität umschlagen könne. Was er tatsächlich auch schon erlebt habe. Trotz allem will er die Hoffnung nicht aufgeben. Da gibt es zum Beispiel die ältere Frau in dem russischen Dorf, die mit ihrem Mann nicht mehr über den Krieg spricht: Er ist dagegen, sie dafür. „Das gibt ja immerhin einen Hinweis darauf, dass die Haltung sogar auf dem Dorf nicht monolithisch pro Putin ist, sondern zerrissen.“ Und als die Dursthoffs 2022 in Russland waren, sei die Begeisterung für den Krieg noch viel größer gewesen als im vergangenen Jahr.

Als sie nach dem Angriff auf die Ukraine das erste Mal wieder nach Russland gefahren sind, haben die Dursthoffs gedacht: „Es ist doch kein Unterschied, ob wir die Kriegsnachrichten in Köln oder in unserem russischen Dorf verfolgen“. Doch nachdem sie dort waren, weiß Lutz Dursthoff: „Das war ein Unterschied. Und da ist ein Knacks entstanden.“ Ein Knacks im Paradies, der nicht zu reparieren ist. Auf den Weg dorthin machen sie sich trotzdem immer wieder. 


Lutz Dursthoff, geboren 1953, war nach dem Studium der Germanistik und Philosophie in Verlagen in Frankfurt am Main und Düsseldorf tätig, bevor er zu Kiepenheuer & Witsch in Köln kam, wo er zuletzt als Cheflektor Sachbuch gearbeitet hat. Bei KiWi, in langen Raucherpausen mit Kolleginnen, entstand die Idee für sein Buch „Nachruf aufs Paradies - Meine Frau, unsere russische Datscha und ich“ (Kiepenheuer&Witsch, 256 Seiten, 23 Euro).

Lutz Dursthoff: "Nachruf aufs Paradies"

Lutz Dursthoff: „Nachruf aufs Paradies“

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