„Corona-Diktatur“, „Totaler Krieg“Wie die politische Wortwahl entgleist

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Corona-Demo Drosten

Keine Gegner, sondern Feinde: Anti-Plakate auf einer Leipziger „Querdenken“-Demonstration   

Köln – Was haben die folgenden Tatbestände miteinander gemein? Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland spricht im Hinblick auf die Anti-Pandemie-Maßnahmen von Merkels „Corona-Diktatur“. Donald Trumps ältester Sohn fordert seinen Vater auf, angesichts der angeblichen Wahlfälschungen in den „totalen Krieg“ zu ziehen. Und auf der Leipziger „Querdenken“-Demonstration war ein Plakat mit dem Geständnis „Ich bin ein Covidjud“ zu sehen. Die Reihe könnte mit vielen ähnlich gelagerten Vorfällen fortgesetzt werden.

Die drohende Katastrophe soll die Aufrüstung legitimieren

Gemeinsam ist solchen Sprechakten die ihnen innewohnende Eskalationsdynamik in Wortwahl und Metaphorik: Die gewählten Begriffe appellieren an den Leser oder Zuhörer, in aktuellen Ereignissen und Entwicklungen sich wiederholende Parallelen zum – im kollektiven Bewusstsein in höchstem Maße negativ konnotierten – Komplex „Drittes Reich – Weltkrieg – Holocaust“ wahrzunehmen. Genauer: Sie sinnen eine solche Parallele suggestiv an – mitsamt der Schlussfolgerung, dass es sich, wenn solches wieder vor der Tür stehe, massiv und erbittert zu wehren gelte. Der Hinweis auf die geschichtliche, aber eben erneut drohende Katastrophe soll Aufrüstung legitimieren.

Dem historisch nur halbwegs Informierten fällt es leicht, die erwähnten Äußerungen samt ihres „Mitteilungsgehalts“ als unangemessen, abstrus und als in ihren „Vergleichsverharmlosungen“ unmoralisch zurückzuweisen: Weiß Gauland, wenn er die Corona-bedingten Einschränkungen mit der einschlägigen Begriffswahl bedenkt, eigentlich, was eine „Diktatur“ ist? Jedenfalls ist es eine Regierungsform, in der er für eine Kritik, wie er sie jetzt an der Bundesregierung äußert, mindestens im Gefängnis landete. Weiß der Trump-Sohn, dass der „totale Krieg“, den Joseph Goebbels einst nach der Vernichtung der sechsten Armee in Stalingrad im Berliner Sportpalast ausrief, die apokalyptische Endphase eines mörderischen Systems einleitete – und keinesfalls als Vorbild für eine Kampagne gegen vermeintliche Wahlfälschungen taugt? Weiß der Leipziger Plakatträger, welches Schicksal Juden im Nationalsozialismus bevorstand – und dass die Umstände derjenigen, die unter der Pandemie leiden müssen, damit beim schlechtesten Willen nichts zu tun haben?

Der zynische Chjarakter der Demagogie

Möglicherweise wissen es die Autoren besagter Statements sogar, aber auf die Triftigkeit und Legitimität der Einlassungen, auf ihren geschichtlichen Wahrheitsgehalt kommt es ihnen in den gespaltenen Gesellschaften des Westens gar nicht an. Es geht ihnen vielmehr darum, mit fragwürdigen Vergleichen beziehungsweise Gleichsetzungen bei einem dafür empfänglichen, bereits vorgeprägten (oder -geschädigten) und zu Differenzierungen nicht geneigten Publikum ein Höchstmaß an militanter Mobilisierung zu erreichen – emotionaler zunächst, womöglich aber auch physisch-tatbereiter.

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Der zynische Charakter solcher Demagogie wird an dem angewandten „Inversionstrick“ erkennbar: Populistische, extreme, tendenziell selbst autoritär-undemokratische Bewegungen okkupieren – so ihre Vertreter nicht, wie der Trump-Sohn, eindeutig faschistisches Vokabular für den eigenen Tageskampf benutzen – Standardformeln des antitotalitären Diskurses, um sie gegen ihre Gegner in Stellung zu bringen.

Nun begleiten problematische Nazi-Vergleiche und -Anspielungen das Nachleben der deutschen Diktatur seit ihrem Untergang. Dennoch konnte man eine Zeit lang den Eindruck haben, die Intensität und Frequenz solchen Streitmittel-Einsatzes nehme ab. Die Häufigkeit der Vorfälle, in denen in diesen Tagen die Sprache der politischen Auseinandersetzung entgleist, beschädigt wird, den Rahmen rechtfertigungsfähiger Polemik sprengt, ist geeignet, den Zeitgenossen eines Besseren zu belehren.

Die Mahnung zur Deeskalation ist wohlfeil

Besteht darob Anlass zur Sorge? Auf jeden Fall, denn der Bürgerkrieg, der an der Front der politischen Semantik und Metaphorik eröffnet wird, birgt allemal das Potenzial, irgendwann in den Bürgerkrieg auf der Straße umzuschlagen. In solchem Zusammenhang wird dann auch an dieser Stelle einmal ein historischer Vergleich fällig – dem (hoffentlich) nicht nachgesagt werden kann, er sei eine demagogische Instrumentalisierung: Wer sich die „politischen Sprachen“ der Weimarer Republik vergegenwärtigt, der wird feststellen, dass unter den Schlägen wechselseitiger innerstaatlicher Feinderklärungen die demokratische Lebensform ihre vitale Substanz bereits eingebüßt hatte, lange bevor die Nationalsozialisten die belagerte Civitas endgültig stürmten.

Die naheliegende Mahnung, man möge doch bitte schön terminologisch abrüsten und sprachlich deeskalieren, ist wohlfeil. Sie verkennt, dass es genügend Politiker und Propagandisten gibt, deren Geschäft gerade die Eskalation ist. Der Staatsrechtler Carl Schmitt, ein juristischer Totengräber Weimars, verkündete einst, der Inbegriff des Politischen sei die Unterscheidung von Freund und Feind. Vielleicht kommt auch die liberale Bürgergesellschaft einmal an den Punkt, da sie sich im eigenen Interesse dieses Diktums erinnern muss.

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