Trump, Kinder, NationenWarum wir nicht verlieren können

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Beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ zu verlieren sollte eigentlich unproblematisch sein – denkt man.

Beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ zu verlieren sollte eigentlich unproblematisch sein – denkt man.

  • Offenbar glaubt US-Präsident Donald Trump, dass er die Wahlen außer durch Betrug gar nicht verlieren kann.
  • Mit dieser Persönlichkeitsstörung ist er freilich nicht allein. Man kennt die Unfähigkeit, Niederlagen zu akzeptieren, von Kindern, Sportlern oder sogar ganzen Nationen.
  • Unser Autor Markus Schwering blickt auf historische und persönliche Dolchstoßlegenden und sucht nach Wegen, wie man an Niederlagen wachsen kann.

Köln – Kleine Kinder, die beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ verlieren, ärgern sich zuweilen sehr wohl: Sie werfen die Spielpüppchen um und laufen schreiend aus dem Zimmer. Aber auch Staatslenker sind, wie das Beispiel des (noch) amtierenden US-Präsidenten zeigt, gegen einen Rückfall in infantile Reaktionsweisen nicht gefeit: Donald Trump hat vor und nach der Wahl angekündigt, ein für ihn negatives Ergebnis nicht zu akzeptieren. Weil er seiner Selbstauffassung zufolge gar nicht verlieren kann, muss es sich, wenn andere seine Niederlage feststellen, um Betrug handeln. Solchermaßen schafft sich das Selbstbild der Unbesiegbarkeit eine Scheinwelt, deren Bestandteile autoreferenziell-tautologisch aufeinander verweisen: Weil es ein eigenes Versagen nicht geben darf, existiert es eben auch nicht.

Selbstbild der Unbesiegbarkeit

Viele Biografen sind auf der Suche nach der internen Disposition des US-Präsidenten in dessen Kindheit und Jugend fündig geworden, in – Sigmund Freund lässt grüßen – der Überidentifikation mit einem streng-mitleidlosen Vater (dem New Yorker Immobilienmogul Fred C. Trump), der seinem Sohn beibrachte, ein „Killer“ zu sein und Niederlagen nie zu akzeptieren. Der absolute Negativbegriff in Trumps Werteskala ist bekanntlich der „Loser“.

Es fällt leicht, in solch einem Charakterbild eine psychische Deformation zu erkennen, es schlicht für pathologisch zu halten. Tatsächlich ist ja die Auffassung, der Präsident habe mehr als nur eine Schraube locker, jenseits der Zirkel seiner fanatischen Anhänger nicht ohne Grund weit verbreitet. So oder so lohnt sich eine genauere Untersuchung des Phänomens – eine Untersuchung, die dann auch ein Stück weit von Trump weggeht und fragt, was für einen Stellenwert, was für eine Bedeutung, was für einen „Sinn“ Niederlagen, Misserfolge, Versagungen haben können – im Leben eines Einzelnen wie in dem ganzer Gruppen, Kollektive, Nationen.

Leben heißt verlieren

Üblicherweise ist das Leben eines Menschen mit Niederlagen gespickt, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können, die auf eigenen Fehlern, auf Zufällen, aber auch auf den Fehlern anderer, also auf externen Fehleinschätzungen bis hin zu als solche identifizierbaren Ungleichbehandlungen, ja Ungerechtigkeiten beruhen können. Dass in diesem Sinne Niederlage nicht gleich Niederlage ist, wird an den folgenden Beispielen sofort deutlich. Das Verlieren beim Würfelspiel ist ein qualitativ anderes als dasjenige beim Schach: Jenes ist kontingent, dieses darauf zurückzuführen, dass der Gegner schlicht „besser“ war. Wer in der Mathematikarbeit eine Fünf kassiert oder durch ein Examen fällt, befindet sich in einer anderen Situation, als wer bei einer Bewerbung durchfällt, weil ein Vorgesetzter seinen langgehätschelten Favoriten ins Ziel bringen will.

In jedem Fall nötigt eine Versagung den Betroffenen, sich zu ihr in ein Verhältnis zu setzen. Der Modus einer gelingenden Aufarbeitung liegt auf der Hand: Umstände, Bedingungen der eigenen Niederlage werden sachadäquat analysiert und entsprechende Folgerungen gezogen. Wer sich mit Gründen ungerecht behandelt fühlt, kann dagegen protestieren – verweigerte Anerkennung, Diskriminierung ist ein legitimer Empörungsgrund. Die Niederlage beim Würfelspiel sollte für den „normalen“ Erwachsenen kein Problem sein. Was aber ist mit Misserfolgen, die es eigentlich nahelegen, den Grund bei sich selbst zu suchen? Die Antwort auf diese Frage wird zum Lackmustest für den Reifestatus einer personalen Identität: Wer ausweicht und den Grund für eigenes Scheitern bevorzugt bei anderem und anderen sucht, besteht diesen Test nicht – er muss sich im Zweifelsfall eine narzisstische Störung attestieren lassen, die auf die Kränkung, die dem eigenen Ego zugefügt wird, pathologisch reagiert.

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Im positiven Fall einer produktiven Verarbeitung wird die Niederlage zu einem realistischen Bild der eigenen Person führen und damit den Weg zu einer Versöhnung mit sich selbst ebnen. Nicht von ungefähr werden übrigens Menschen, die immer nur Erfolg hatten, schnell als unsympathisch empfunden – in den Augen anderer „fehlen“ ihnen wichtige grundständige Erfahrungen. Die Erfahrung des Scheiterns hingegen kann, wenn sie denn in eine angemessene Verlustbewältigung mündet, einen „bildenden“ Charakter haben. Wie sie umgekehrt freilich bereits jene Ich-Stärke voraussetzt, die es ermöglicht, eigene Fehler ungeschminkt und ohne Ausflüchte zur Kenntnis zu nehmen und in ein realistisch wahrgenommenes Ich zu integrieren.

Der Begriff „Bildung“ fällt hier nicht von ungefähr – mit ihm verbindet sich nicht zufällig große Philosophie und Literatur, gerade in Deutschland. Die gelingende (und zuweilen auch scheiternde) Verarbeitung von Kränkungs- und Versagungserfahrungen ist das große Thema des Bildungsromans, dessen Held vor der Aufgabe steht, in dialektischem Wechselspiel die Erwartungen an die Welt und sich selbst in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Möglichkeiten zu bringen. Goethes Wilhelm Meister wird am Ende seines Bildungswegs, auf dem er schmerzhaft von den spätpubertären Plänen einer Schauspielerkarriere Abstand nehmen muss, in einsichtiger Selbstbeschränkung Wundarzt, landet also auf einer eher bescheidenen beruflichen Position.

Auch von Kollektiven ist, wie gesagt, das Muster eines pathologischen Lernens, einer fehlschlagenden Verarbeitung von Misserfolgserfahrungen bekannt (der Germanist und Soziologe Wolfgang Schivelbusch arbeitet dies in seinem Buch „Die Kultur der Niederlage“ instruktiv auf): Die Niederlage der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg zeitigte dort die Entstehung des Ku-Klux-Klans, die der Franzosen im Krieg von 1870/71 beförderte – unter anderem – diejenige der frühfaschistischen Action française. Und der deutsche Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg führte zur Dolchstoßlegende sowie zur Bildung von rechts-terroristischen Geheimbünden wie der Organisation Consul und letztlich zu Hitlers Aufstieg.

Nationen sind auch nicht besser als Menschen

Auffällig ist, dass sich in diesen Dingen das „Großsubjekt“ namens Nation kaum anders verhält als der einzelne Mensch, der bei der Bearbeitung eines Misslingens aufs falsche Gleis gerät – weil er unter dem unabweisbaren inneren Druck steht, die Verantwortung auf alle Fälle von sich selbst abzuweisen. Im Fall einer Kollektivpathologie können die Folgen selbstredend ungleich katastrophaler sein. Womit wir wieder bei Donald Trump wären: Der beharrliche Niederlagen-Leugner ist eben kein privater Psycho-Fall, sondern eine öffentliche Figur, die mit ihrem Tun und Lassen zerstörerische Kräfte in Bewegung setzen kann. Sehr zu Recht wird er immer wieder als Symptom einer krisenhaft entgleisten US-Gesellschaft definiert. Eine individuelle und eine allgemeine Krankheit verschmelzen im Phänomen dieser Präsidentschaft zur Einheit.

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