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Das Opernprogram der Salzburger FestspieleIn Endzeitstimmung

5 min
Szene aus „Hotel Metamorphosis“

Szene aus „Hotel Metamorphosis“

Die zweite Hälfte des Opernprogramms der Salzburger Festspiele hinterlässt sehr unterschiedliche Eindrücke.

Die Sonne ist zurück: Nach wochenlangem Schnürlregen ist das Wetter nun hochsommerlich heiter, das Festspielleben findet wieder draußen statt. Doch das Programm bleibt ernst und sperrig, der Weltlage angemessen. Abgesehen von Barrie Koskys quirligem Vivaldi-Pasticcio, das allerdings eine Übernahme der von der ewig strahlenden Cecilia Bartoli programmierten Pfingstfestspiele ist.

Die zweite Hälfte des Opernreigens beginnt damit: „Hotel Metamorphosis“ ist das Vivaldi-Best-of übertitelt, für das der Regisseur die Figuren im kühlen Setting eines Hotels (Bühne: Michael Levine) durch mythische Wandlungen nach den „Metamorphosen“ des Ovid führt. Die interessantesten Arien und Instrumentalsätze Vivaldis sind verwoben mit Texten Ovids und Rilkes, die große Angela Winkler stiftet als Orpheus-Figur mit ihren Rezitationen die Zusammenhänge, ein All-Star-Ensemble um Cecilia Bartoli, unter anderem mit Philippe Jaroussky und Lea Desandre singt stilistisch herausragend und agiert mit Humor und Tempo. Choreograf Otto Pichler bringt dazu eine 12-köpfige Tanztruppe ordentlich auf Trab, Gianluca Capuano leitet Les Musciens du Prince – Monaco mit maximaler Stilkompetenz, alles höchst delikat serviert, vier Stunden barocker Wonne und sinnlicher Bilder, die aufatmen lassen.

Der Mann mit den Drehscheiben

Zurück zur ernsten Festspieldramaturgie führt Ulrich Rasches Inszenierung von Gaetano Donizettis „Maria Stuarda“. Rasche ist der Mann mit den Drehscheiben. Seine Schauspiel-Inszenierungen sind strenge Textrituale, bei denen das Personal gegen kreisende Drehbühnen anarbeiten muss. Nun geht er in Salzburg erst zum dritten Mal die Gattung Oper an, die seinem Rhythmisierungs-Drang eigentlich entgegensteht. Donizettis Tempi sind daher eine echte Herausforderung, das Personal muss nun im Donizetti-Rhythmus schreiten, Rasche erzeugt damit eine Art von nervöser Grundspannung.

Die Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses dominieren drei Scheiben, zwei in alle Richtungen bewegliche und fahrbare Drehbühnen, sowie eine bedrohliche Scheibe über der Szene, wie eine gigantische OP-Lampe, die mal als Licht- und Stimmungsquelle, mal als Projektionsfläche für Videos fungiert.

Die beiden Königinnen Elisabetta und Maria Stuarda agieren jede auf ihrer sich drehenden Scheibe, zwei Scheiben, zwei isolierte Welten. Beide Königinnen sind umgeben von einem schattenhaften Bewegungschor, der als dunkle Macht stets präsent ist und durch pure Gegenwart Druck und Macht ausübt. Als Elisabetta zögert, Marias Todesurteil zu unterschreiben, bedrängen sie ihre schwarzen Männer, ein Hinweis auf politische Machtkämpfe, die Rasche ansonsten ausblendet. Zumal er den Chor als Handlungsträger ins Off verbannt, was sich als musikalisches Problem entpuppt. Denn Antonello Manacorda am Pult der Wiener Philharmoniker gelingt es über die Distanz oft nicht, das Geschehen zusammenzuhalten.

Szene aus „Maria Stuarda“

Szene aus „Maria Stuarda“

Dabei beginnt die Ouvertüre verheißungsvoll, denn Manacorda setzt auf Feinschliff und Wohlklang, betörend singt ein Klarinettensolo, schlank klingen die Streicher, diszipliniert das Blech. Auch die Besetzung versucht nicht, den Belcanto mit falschem veristischem Aplomb aufzuladen: Lisette Oropesa führt ihren lyrisch timbrierten Koloratursopran virtuos, doch ganz ohne Triumphgeste. Auch Kate Lindsey in der Mezzo-Rolle der Elisabetta spart sich keifende Schärfen, gibt aber mehr Druck als Oropesa.

Es ist faszinierend, wie Rasche Donizettis Musik in kinetische Energie überführt, und mit den riesigen Scheiben – die bisweilen störend knarzen – immer wieder atemberaubende Bilder kreiert. Ein interessanter, trotz sängerischer Hochleistungen aber nicht wirklich mitreißender Abend.

Die letzte Opernpremiere dieser Saison ist ein großer Wurf: Evgeny Titov verlegt Peter Eötvös' „Drei Schwestern“ in der Felsenreitschule von der russischen Provinz mit Salon und Samowar in ein apokalyptisches Nirgendwo. Die Bühne (Rufus Didwiszus) zeigt eine Trümmerlandschaft mit einem geborstenen Schienenstrang, der aus einem Tunnel ragt und an einer Betonwand endet. An ihr wird Irina am Ende des Abends ein Tor aufpinseln, als gäbe es doch noch einen Ausweg aus der Apokalypse.

Peter Eötvös' Klassiker des zeitgenössischen Musiktheaters beginnt fast unhörbar: Ein durch Verstärkung verfremdeter Akkordeonklang tastet sich in den riesigen Raum, die Stimmen der drei Schwestern erheben sich im Prolog fast geisterhaft und singen von ihrem Unglück, das womöglich ein Glück für die kommenden Generationen vorbereitet. Bei Anton Tschechow steht diese Leidens-Formel am Schluss,

Peter Eötvös aber stellt sie an den Beginn seiner Oper, wie er überhaupt Tschechows Vorlage radikal dekonstruiert hat, denn er bricht die Chronologie auf in drei Sequenzen, in denen die Figuren den immer gleichen Handlungsausschnitt aus verschiedenen Perspektiven durchleben.

Szene aus „Drei Schwestern“

Szene aus „Drei Schwestern“

Ein Kunstgriff von Eötvös' Werk von 1998 wirkt visionär: Die Partien der Schwestern Mascha, Olga und Irina, sowie die der Natascha komponierte Eötvös nämlich für hohe Männerstimmen, was eine verfremdende Distanz und erhellende Künstlichkeit herstellt. Die Stimmen der drei Schwestern haben im Orchestergraben jeweils ein instrumentales Alter Ego, das als seelischer Spiegel fungiert, Irina etwa korrespondiert mit der Oboe und dem Englischhorn.

Titovs Personenregie überzeichnet die grotesken Momente, unfreiwillige Komik und Tragik des ausweglosen Unglücks liegen nah beieinander, die Personenführung ist gekonnt und präzise. Exemplarisch ist die musikalische Umsetzung von Eötvös' hoch komplexer Partitur: Im Graben sitzt das famose 18-köpfige Solistenensemble Klangforum Wien unter der souveränen Leitung von Maxime Pascal, erhöht hinter der Szene das 50-köpfige Klangforum Wien Orchestra unter der Stabführung von Alphonse Cemin.

Phänomenal ist das Gesangs-Ensemble besetzt, allen voran die grandiosen drei Schwestern, gesungen vom betörenden Sopran des Dennis Orellana als Irina, dem dunkel timbrierten Mezzo von Cameron Shahbazi als Mascha und dem sonoren Counter von Aryeh Nussbaum Cohen als Olga, sowie dem keifend überzeichnenden Counter Kangmin Justin Kim als Natascha im Witwe-Bolte-Outfit. Der Rest des riesigen Casts agiert auf gleich hohem sängerischen und darstellerischen Niveau. Eine Sternstunde des zeitgenössischen Musiktheaters, frenetisch gefeiert.