Die Salzburger Festspiele eröffnen in der Opernsparte mit zwei betont düsteren Produktionen, die der Festspielgemeinde schwer im Magen liegen.
Lagerkoller im LuftschutzbunkerDie Salzburger Festspiele starten düster, quälend düster

Lucile Richardot (Cornelia, l-r), Federico Fiorio (Sesto), Yuriy Mynenko (Tolomeo) aus der Eröffnungs-Oper der Salzburger Festspiele, „Giulio Cesare in Egitto“ von Händel.
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Da sage noch mal einer, dass die Salzburger Festspiele bloß ein glamouröses Spektakel geldschwerer Eliten sind, die von den Problemen der Welt nichts wissen wollen. Das Gegenteil ist nun der Fall. Denn während Bayreuth sich mit seiner knallbunten „Meistersinger“- Produktion in einen fröhlichen Eskapismus stürzt, beginnt die Saison an der Salzach schwerblütig und gezeichnet von den aktuellen Konflikten.
Die Weltlage wird schon beim Festakt in der Felsenreitschule unfreiwillig mit einer schweren Sicherheitspanne spürbar, als es dort während der Rede von Vizekanzler Andreas Babler zu einer massiven Störaktion propalästinensischer Aktivisten kommt, die von den Arkaden Banner mit Slogans wie „Free Gaza now“ entrollen und den Festakt zur Unterbrechung zwingen.
Jeder Hoffnung auf Kulinarik erteilt Tcherniakov eine Absage
Am Abend folgt dann mit Händels „Giulio Cesare in Egitto“ die Eröffnungspremiere der Opernsparte im Haus für Mozart. Eine Premiere in mehrfacher Hinsicht, denn es ist die erste Barock-Oper zur Eröffnung der Festspiele, und auch für Regisseur Dmitri Tcherniakov ist es die erste Oper aus dieser ersten Blütezeit der Gattung. Jeder Hoffnung auf Kulinarik erteilt der Regisseur gleich mit dem ersten Bild eine gründliche Absage: Es wird nämlich dunkel im Saal, es ertönt Sirenenalarm und ein Spruchband verkündet einen strikten Evakuierungsbefehl. Im Saal bleibt es ruhig, aber der unbehagliche Ton des Abends ist gesetzt. Immer wieder kommen die Spruchbänder zum Einsatz, mehrfach detonieren Sprengsätze und das Licht flackert im grau betonierten Luftschutzkeller, dessen drei Räume die einzigen Spielorte bleiben werden.
Ein paar Stühle, Matratzen und Decken, Drahtgitter, eine Feldküche, Stahlspinde, Neonröhren und Kellerlampen: mehr gibt es nicht in diesem dystopischen Arrangement, das der Regisseur selbst entworfen hat. Den verworrenen Plot erzählt Tcherniakov in diesen klaustrophobisch engen Räumen als düsteres Kammerspiel der Eskalation unter der stets präsenten Gefahr eines Belagerungskriegs. Natürlich denkt man sofort an die Bilder aus der Ukraine, an Menschen, die monatelang in U-Bahnschächten oder Luftschutzkellern ausharren müssen.
Der Abend quält und nervt das Festspielpublikum
Beim dritten Alarm mit Spruchband-Befehl gibt es Buhrufe aus dem Publikum, der Abend quält das Festspielpublikum und nervt tatsächlich mit seiner Penetranz. Im Grunde gibt es nur zwei Situationen, die sich ständig überbietend wiederholen: Die trügerische Ruhe vor dem nächsten Konflikt, ausgekleidet mit Schmeicheleien oder Verhandlungen, und dann den schreienden Streit oder einsamen Ausraster. Wechselnde Spielorte und Situationen, von denen das Libretto erzählt, ignoriert Tcherniakov zugunsten dieser Spirale der Eskalation.
Das ist konsequent konzipiert und in Sachen Personenführung virtuos, wahrlich meisterhaft gemacht. Aber der Abend bleibt so gefangen im Konzept wie in den drei öden Bunkerräumen und verfehlt dabei das Thema. Denn Tcherniakov verkennt in seinem rigorosen Hyper-Realismus die eigentlichen Realitäten. Denn politisches Führungspersonal wie ein römischer Kaiser müssen im Gefahrenfall wohl kaum in solcher Öde mit fleckigen Matratzen ausharren.

Christophe Dumaux (Giulio Cesare, l-r) und Olga Kulchynska (Cleopatra)
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Und schon gar nicht heutige Oligarchenfamilien, wie die im hellen Trench über dem Designerkostüm hereinstürmende Cornelia (Lucile Richardot, mit tenoral gefärbtem Alt) über ihre Herkunft vermuten lässt. Cleopatra (Olga Kulchynska mit geschmeidigem, silbrig timbriertem Sopran) erscheint zunächst in pinkfarbener Langhaarperücke und Leder-Leggins, Cesare (Counter Christophe Dumaux mit hellem, gelenkigem Counter), trägt einen Anzug wie ein Verwaltungsbeamter, Tolomeo (Counter Yuriy Mynenko mit satter Mezzo-Färbung) eine seltsame asymmetrische Frisur, während Sesto (Federico Fiorio mit häufig detonierendem, sehr hellem Männer-Sopran) im Hoody und gelben Anorak mit seinen hysterischen Ausrastern nervt.
Die räumliche Ausweglosigkeit wird auch für Tcherniakov letztlich zum Problem, denn keiner der Akteure kann abtreten, alle sind immer da und wollen bewegt werden. So ergeben sich gezwungenermaßen Durchhänger und etliche Verlegenheitshandlungen. Wenn Cornelia etwa eine ganze da-capo-Arie lang den Mantel ausschüttelt und Wolldecken zusammenlegt, damit sie nicht nur singend an der Rampe steht. Das sind die Tücken der Barockoper.
Gespielt und gesungen wird an diesem langen Abend, der aufrütteln will, überwiegend famos: Emmanuelle Haïm dirigiert vom Cembalo aus das vorzügliche Ensemble Le Concert d’Astrée mit vitalem Schwung und viel Sinn für Effekte und Nuancen. Ihr Händel klingt frisch, angriffslustig und lebendig. Aus dem Solistenensemble ragen heraus die Titelrollen, der auch darstellerisch souveräne Christophe Dumaux mit lupenreinem Koloratur-Feuerwerk und Olga Kulchynskas elegante Cleopatra.
Auch bei Peter Sellars will es nicht hell werden
Am folgenden Abend will es auf der Riesenbühne der Felsenreitschule auch nicht wirklich hell werden: Festspiel-Dauer-Regisseur Peter Sellars verschweißt drei Meisterwerke des frühen 21. Jahrhunderts zu seinem Musiktheater „One Morning turns into an Eternity“, das in Wahrheit ein szenisches Konzert und mit knapp 68 Minuten Spieldauer eher eine Petitesse bleibt.
Neun metallene Riesen-Stelen hat sein Bühnenbildner George Tsypin auf die Bühne gestellt, sie sich drehend wie merkwürdige Fräsgeräte wirken. Zunächst sollen sie wohl einen Wald insinuieren, jenen Wald, in dem die Frau aus Schönbergs „Erwartung“ umherirrt auf der Suche nach ihrem Geliebten. Ausrine Stundyte gibt diese Paraderolle des Monodramas mit gewohnt hohem schauspielerischem Einsatz und großer Verzweiflungsgeste. Ihr ausladender Sopran scheint eine Spur zu groß für Schönbergs Sopranpartie, auch ist die Textverständlichkeit gering.
Pausenlos gleitet der Abend weiter zu Anton Weberns fünf Stücken für Orchester op.10, bevor die für Wiebke Lehmkuhl kurzfristig eingesprungene Altistin Fleur Barron sehr verinnerlicht Gustav Mahlers leise verebbendes Lied „Der Abschied“ aus „Das Lied von der Erde“ mit sparsamen Gesten zelebriert. Die Wiener Philharmoniker unter der Leitung und Esa-Pekka Salonen intonieren exquisit, klangschön und farbenreich und bieten einen luxuriösen Klangteppich für einen gediegenen Meditationsabend, dessen kunstgewerbliche Erhabenheit jedoch nicht lange nachhallt.