Kölner OpernpremiereDmitri Tcherniakov inszeniert spektakulär „Troubadour”

Endspiel in Kammerbesetzung: Scott Hendricks als Luna und Aurelia Florian als Leonore
Copyright: Bernd Uhlig
- Azucena lädt alle Beteiligten ein, die Traumata der Vergangenheit aufzuarbeiten – erst jetzt ereignet sich die finale Katastrophe.
- Die Regie reduziert die Bühnenhandlung zum Kammerspiel – was nicht ganz ohne Einbußen für die Bühnenwirksamkeit abgeht. ganz ohne
- Gesungen wird ausgezeichnet, nur der Sänger des Manrico musste zur zweiten Hälfte krankheitsbedingt ausgetauscht werden.
- Das Gürzenich-Orchester unter Will Humburg zeigt sich souverän im Verdi-Metier.
Köln – Die Psychoanalyse hatte – darauf wies ihr Begründer Sigmund Freud beharrlich hin – nie das Ziel, ihre Patienten auf der Couch in Richtung Frohsinn zu polen. Es geht ihr vielmehr herum, lebensgeschichtliches Leid aus den Tiefen seiner Verdrängung zu holen und dadurch bearbeitbar zu machen. Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov, dessen aus Brüssel übernommene „Troubadour“-Inszenierung jetzt an der Kölner Oper im Saal 2 des Deutzer Staatenhauses Premiere hatte, darf aus dieser Perspektive als perfekter Freudianer bezeichnet werden. Freilich als ein pessimistischer insofern, als er die von ihm angesetzte Psychoanalyse krachend scheitern lässt – Bewusstmachung führt halt längst nicht immer zur Katharsis.
Wie nun also? Tcherniakov lädt zu einer mehrtägigen gruppentherapeutischen Session – genauer: er lässt dazu Azucena, die weibliche Hauptfigur von Verdis Oper, die übrigen Beteiligten laden. Das Ambiente ist ein in düsterem Rotbraun gehaltener und mit Spiegeln (!) ausgestatteter Salon gehoben-antiquierter Ausstrahlung, während die Kostüme auf eine unbestimmte Gegenwart verweisen. Draußen herrscht – man merkt es, wenn die Tür sich mal öffnet – helles Sonnenlicht, das kontrastiv die gruftige Innenatmosphäre noch verstärkt. Indes ist die Tür auch meist abgeschlossen, die Beteiligten sollen sich in einem hermetischen Innenraum bewegen, den man zugleich als Gefangensein in ihrer je eigenen Psyche und Biografie interpretieren mag. Die Assoziation an Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“ liegt nahe.
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Azucena versucht nun mit ihren Gästen in von ihr mittels ausgegebenen Papers initiierten Rollenspielen die traumatische Vergangenheit – welche die Handlung der Oper ist – aufzuarbeiten. Handlung der Oper, wie bitte? Am Ende von Verdis Original sind Manrico und Leonora schließlich tot, während sie bei Tcherniakov leben – und zur Therapietruppe gehören.
Genau dieser Punkt aber führt auf den Clou der Inszenierung: Der Katastrophenschluss der Oper ist hier in die Gruppensitzung hinein verlegt. Das wird dadurch möglich, dass Azucenas Strategie der Aufarbeitung entgleist und entgleitet – wofür zumal Graf Luna verantwortlich ist, der alle anderen tyrannisiert, gleichsam in Geiselhaft nimmt. Pathologisch verwechselt er zusehends die beiden Ebenen – Vergangenheit und Gegenwart, die auch die der Regie sind. Mit dem Resultat, dass sie im zweiten Teil tatsächlich ineinanderfließen. Das Eifersuchtsdrama aus alten Tagen wird nicht analytisch aufgelöst, sondern wiederholt sich im Zeichen derangierenden Rotweinkonsums – und jetzt mit dem Ausgang, den die Oper vorsieht.
Eine so innovative wie intelligente Neudeutung
Das mag auf Anhieb verwirren, tatsächlich aber liefert Tcherniakov eine so innovative wie intelligente Neudeutung des sattbekannten Opernrenners. Sie kann zudem zwanglos an eines seiner zentralen Strukturmomente anknüpfen: die Übermacht des – in ausgedehnten Erzählungen heraufgeholten – Gewesenen, das seinen Bannstrahl auf die Gegenwart schickt. Hier ist Verdi seinem Antipoden Wagner einmal ganz nah.
Freilich ist auch der Preis, den Tcherniakov für seine brillante Idee in der theatralen Realisierung entrichten muss, nicht unerheblich (eine Besucherin bemerkte kritisch, man könne sich dann ja auch eine konzertante Produktion ansehen). Raubt zunächst die Indirektheit des Rollenspiels dem Geschehen Verdis Spontaneität des Hier und Jetzt, so stellt sich diese Spontaneität zwar nach der Pause wieder her.
Choreografisch ist diese Ausdörrung ein Problem
Dann aber ist es die Reduktion der von Haus aus vielpersonigen Oper auf das Kammerspiel der Fünf (bzw. Vier, Ferrando wird zeitig von Luna erschossen), die die Szene ausdörrt und zumal den vierten Akt „hängen“ lässt. Die Regie hat sämtliche Nebenpartien den Hauptakteuren übertragen, und auch der Chor singt konstant aus dem Off. Dramaturgisch mag das angehen, weil er keine handlungstragende Funktion hat. Choreografisch aber ist diese Ausdünnung ein Problem – es fehlt der Bühne dann einfach an Abwechslung und sinnlicher Fülle.
Leider hatte die Premiere mit einem Handicap zu kämpfen: Weil Arnold Rutkowski krankheitsbedingt zur Pause schlapp machte, musste zu seinem stummen Spiel der Tenor George Oniani von der Bonner Oper den Part übernehmen. Das war lobenswert, ließ aber ob des angestrengten Stentor-Gebrülls Rutkowskis Ausscheiden noch zusätzlich als schmerzlich empfinden. So mussten es bei den Herren ein überaus pointiert-präsenter, genau artikulierender und farbenreich intonierender Scott Hendricks als Luna und ein nobler Giovanni Furlanetto als Ferrando herausreißen.
Überzeugend, teils großartig die Frauen: Aurelia Florian als Leonora imponiert als farblich vielgestaltiger Sopran mit Mezzo-Neigung, die aus der Mitte in flutendem Angang schön zur Höhe hin aufmacht und über ein berückend-anrührendes Sotto voce verfügt. Marina Prudenskaya als Azucena ist ein Mezzo mit beträchtlichem dramatischem Appeal, mit leicht metallischer Höhenfärbung und üppigem Vibrato, welche Eigenschaften dem Rollenprofil aber entgegenkommen. Am Schluss verkörpert sie glaubhaft-beklemmend den düsteren Racheengel.
Herzlich-buhfreier Applaus für alle Beteiligten
Der Chor agiert mit guter Durchschlagskraft aus dem Off meist links von der Bühne, wo sich auch das Gürzenich-Orchester bewähren muss. Es macht unter dem italienbewährten Will Humburg das Beste draus, wenn die Situation selbstredend auch alles andere als beneidenswert ist. Aber Temporelationen, Spannungsaufbau und Gewichtung der Instrumentalfarben beweisen ein souveränes Verdi-Metier. Herzlich-buhfreier Beifall für alle Beteiligten.