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Die erste musikalische Weltsprache?Kölner Ensemble präsentiert Weihnachtliches aus Mexiko

3 min
Porträt von Matthias Baus

 Michael Alexander Willens leitet das Originalklang-Ensembles Kölner Akademie

Das Originalklang-Ensemble Kölner Akademie zeigt in einer neuen Weihnachts-CD die musikalische Vielfalt der Barockmusik - die sich auch in Mexiko großer Beliebtheit erfreute.

Über die verbrecherischen Aspekte der europäischen Kolonisation Lateinamerikas – bis hin zu ihren genozidalen Zügen – braucht hier nicht gehandelt zu werden. Was dazu zu sagen ist, wurde längst gesagt – und zwar schon kurz nach Beginn der Conquista, etwa von dem Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas. Tatsache ist jedenfalls, dass „Neuspanien“ – bis 1821 spanisches Vizekönigreich mit dem heutigen Mexiko als Zentrum – in ihrer Folge ein streng katholisches Land wurde. Im 18. Jahrhundert führte dies, wie anderswo auch, zu einer blühenden sakralen Kultur, von der noch heute die zahlreichen Barockkirchen und -klöster zeugen.

Auch in Mexikos Kirchen ertönte barocke Weihnachtsmusik

Und in diesen Sakralbauten erklang selbstredend auch Musik, Barockmusik, die entweder von gebürtigen Spaniern und Italienern komponiert war, die über den großen Teich gekommen, oder von einheimischen Musikern, die bei europäischen Meistern in die Lehre gegangen waren. Klar, dass sie, im Auftrag der Kirche, katholische Hochfeste wie Weihnachten besonders reichhaltig bedachten – mit einer Musik, die durch ihre Formen- und Ausdrucksvielfalt, aber auch ihre allein handwerkliche Solidität auch heute noch zu erfreuen vermag. Hochmut angesichts von künstlerischen Bemühungen, die sich ja ganz unstrittig abseits der etablierten Kulturmetropolen begaben, ist jedenfalls völlig unangebracht.

„Feliz Navidad! Mexikanische Barockmusik für Weihnachten“ heißt eine vom Label cpo veröffentlichte neue CD des Originalklang-Ensembles Kölner Akademie unter ihrem Leiter Michael Alexander Willens, der in der Erschließung von Gefilden jenseits des etablierten Repertoires immer wieder eine bemerkenswerte Findigkeit und Produktivität an den Tag legt. Zum Orchester tritt ein mit neun Stimmen besetzter Kammerchor, aus dem sich auch die Vokalsolisten herauslösen. Naheliegend ist Weihnachtsmusik nicht nur, aber vor allem Vokalmusik.

Latein und spanische Volkssprache

Ganz genau nehmen darf man den CD-Titel nicht: Nicht alle hier eingespielten Werke entstanden am Ort, wenngleich sie wohl hier aufgeführt wurden. Francisco Corselli und José de Nebra sind nie in Neuspanien gewesen, und die Stücke, mit denen sie hier erscheinen – ein „Dixit dominus“ und eine mit dichtem Kontrapunkt gesegnete mehrchörige Messe – haben auch keinen direkt christfestlichen Bezug. Das macht aber nichts, dafür sind beiden anderen Meister, Ignacio Jerusalem und Manuel de Sumaya, eindeutig für Weihnachten schreibende Mexiko-Spanier. Sumaya ist übrigens auch der erste in Amerika geborene Opernkomponist.

Auffallend an den vertonten Texten ist das Nebeneinander von Latein und spanischer Volkssprache. Die Wahl hat mit Genre und Funktion zu tun: Die lateinischen Texte sind die Basis für im engeren Sinn gottesdienstliche Musik, also für Messe und klösterliches Stundengebet. Bei Jerusalem und Sumaya hingegen dominiert die Gattung des volkstümlichen Weihnachtslieds, des Villancico. Hier dominieren relativ kleinteilige liedmäßige Refrain- und Strophenformen, Chor- und Vorsängerwechsel sowie unmittelbar eingängige Melodien. Die Instrumentalbegleitung hingegen wartet mit konzertierenden Violinen und je nachdem mit Hörnern, Trompeten und Oboen auf. Willens und Seinen bringen all diesen farbigen Reichtum mit vitaler Herzlichkeit, tänzerischer Verve und in einer sehr direkten Ansprache herüber.

Musik des 18. Jahrhunderts in Mexiko: Dieses Phänomen erinnert daran, dass der Barock trotz aller regionalen Unterschiede möglicherweise die erste musikalische Weltsprache etablierte. Das muss man sich mal vorstellen: Da bekommt man Quintfall-Sequenzen, Quartvorhalte und absteigende Tetrakkorde aus einer Gegend zu hören, die man gemeinhin eher mit Kakteen und Klapperschlangen assoziiert.