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Kölner Jazz-AlbenVirtuose Vielfalt an Klängen und Themen

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John Goldsby posiert mit seinem Bass.

Der Jazz-Musiker John Goldsby, langjähriges Mitglied der WDR Big Band 

Rechtzeitig zu Weihnachten: Die besten neuen Kölner Jazz-Alben von der Big Band des WDR bis zur Saxofonistin Luise Volkmann. 

Ein Jahr ist es nun her, dass sich vielerorts auch in der Jazzszene Widerstand gegen angedrohte Kürzungen der Kulturetats formierte. „Jazz ist Vielfalt!“, lautete die kämpferische Devise, wobei auch in Köln die Schlacht bis heute nicht geschlagen ist. So konnte zwar die Cologne Jazzweek 2025 erfolgreich stattfinden, fürs nächste Jahr aber ist sie angesichts der Haushaltssperre noch längst nicht gesichert.

Dabei strahlt der Jazzweek-Leuchttum auf eine vitale Szene, die ganzjährig mit herausragender Musik aufwartet. Die Vielfalt an Stilen und Spielarten ist bewundernswert, nicht zuletzt die Übergänge zwischen Jazz, improvisierter Musik und weiteren Klangformen sind aufregend innovativ. Nicht nur auf Konzertbühnen, auch auf CDs, Vinyl sowie digitalen Plattformen sind Monat für Monat Pretiosen zu entdecken.

Immer häufiger erscheint die Musik digital auf Internet-Portalen

Immer häufiger erscheint die Musik digital auf Internet-Portalen, den Websites von Jazzschaffenden direkt sowie beim Online-Dienst Bandcamp. Trompeter Pascal Klewer bietet auf seinem Label sts/sts records sowohl die eigene Musik als auch Werke von Weggefährten an, etwa das „Mendelssohn-Project“ von Annie Bloch und Emily Wittbrodt sowie das Album „We’re Big Fans“ des Jazz-Fusion Trios PKIII, bestehend aus Pianist Paul Kueppers, Bassistin Ursula Wienken und Schlagzeuger Joshua Knauber. Das eloquente E-Piano Spiel des Bandleaders harmoniert wunderbar mit Knaubers dynamischen Beats sowie Ursula Wienkens markant eloquentem E-Bass-Spiel im Stil eines Hugh Hopper. Zuvor hatte Wienkens auf sts/sts bereits ihr Album „Summit“ veröffentlicht: eine klangfarbenreiche Reise voller Referenzen und anregender Reflexionen über Daseinsängste, deren Überwindung sowie die Kraft der Selbstermächtigung.

Stefan Karl Schmids Album „Absent“ ist ein weiteres Highlight im Schaffen des vorzüglichen Saxofonisten. Den Köln-Aufenthalt des New Yorker Bassisten Chris Lightcap, der für ein Konzert des Subway Jazz Orchestra angereist war, nutzte er für ein Spontan-Quartett mit Lightcap, Pianist Felix Hauptmann und Schlagzeuger Fabian Arends, das Schmids Kompositionen live im Loft brillant improvisierend ausbaute. Seine Musik, so Schmid, changiere zwischen Klarheit und Geheimnis, Struktur und Freiheit, faszinierend ist der dramaturgische Bogen von spiritueller Hymne im Coltrane-Gestus bis zu Schmids sphärischer Island-Poetik.

Luise Volkmann posiert mit den Händen in den Taschen.

Luise Volkmann, mal ohne Saxofon

Ebenfalls im Loft spielte Fosterchild, das Band-Projekt von Fabian Arends und Bassist David Helm, ein Live-Album ein: „Order at Agan” ist die dritte Veröffentlichung des Ensembles, das am Ende einer Tournee im intensiven Workflow mit Sebastian Gille (Saxofon, Klarinette), Kasper Tranberg (Trompete) und Jacob Anderskov (Klavier) noch einmal alle Energien zu einer phänomenalen Teamleistung bündelt. Pianist Pablo Held wiederum hatte ein Konzert aus dem Jahr 2019 in der Alten Oper Frankfurt fast vergessen. Nun erschien es doch noch, und man staunt, wie traumwandlerisch sicher Held, Bassist Robert Landfermann und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel interagieren. Ihr Auftritt gleicht einem musikalischen Archaeopteryx: Stücke aus mehreren Entstehungsphasen entwickeln sich in einem Prozess, bei dem sich das Trio stets neu erfindet.

Erfunden hat sich Saxofonistin Luise Volkmann auch mit ihrem Großensemble Été Large, dem mit „The Stories We Tell“ ein stupendes Gesamtkunstwerk glückt. Hier erscheint alles möglich: Fragile Klangkomplexe schweben verträumt durch den Raum, gehen in kraftvolle Tongedichte und hinreißende Instrumentalpassagen über, bevor lyrische „New Folk Songs“ aufblühen, getragen von der australischen Sängerin Casey Moir und dem Opern-Tenor Laurin Oppermann. Ihr „verbales und nonverbales Storytelling“ vernäht Luise Volkmann mit ihrer Saxofon-Stimme, sodass sich tatsächlich ein Gefühl aus einer ihrer Textzeilen einstellt: „And the world changes…“

Andere Großensembles beschreiten ähnlich ambitionierte Wege. Nachdem Pianist Sebastian Sternal 2024 mit der hr-Bigband das brillante Album „Turning Point“ aufnahm, legt sein Freund und Kollege Frederik Köster mit der NDR Bigband nach. Mit der jazzsymphonischen Suite K. on the Shore“ paraphrasiert der literaturbegeisterte Trompeter Werke von Haruki Murakami, verbindet fein facettierte Orchesterpassagen mit starken Soloparts (darunter ein Duett mit Percy Pursglove) zum emotional tiefgründigen Soundtrack. Derweil beeindruckt die WDR Big Band mit zwei konträren Ensemble-Konzepten: „Big Band Bass“ widmet sich respekt- und liebevoll ihrem langjährigen Bassisten John Goldsby, der elegant überwiegend Eigenkompositionen (in Arrangements von Bob Mintzer, Michael Abene, Dave Horler, Vince Mendoza) vorträgt und zugleich solistische Lobpreisungen seiner bestens aufgelegten Mitspieler entgegennimmt. Völlig anders tritt die WDR Big Band mit der Mark Lettieri Group auf: als energiegeladene Power-Band, die dem Snarky-Puppy-Gitarristen als temperamentvoll rockende Rhythm Combination and Brass zur Seite steht.

Abschließend der Sprung zum neuen Vinyl-Album von Dietmar Bonnen: Die komplette B-Seite füllt eine tranceartige Meditation, zu der Bonnen vor einer elektronischen Hintergrundlinie des 2021 verstorbenen Klangkünstlers Peter Behrendsen Hölderlins Spätwerk „In lieblicher Bläue“ rezitiert – ein singuläres Hörerlebnis, für das, wie für alle anderen vorgestellten Musiken auch, die Hölderlin-Zeile zutrifft: „Die Fenster, daraus die Glocken tönen, sind wie Thore an Schönheit.“


PKIII: We’re Big Fans. sts/sts RecordsUrsula Wienken’s Summit. sts/sts RecordsStefan Karl Schmid: Absent (Live). stefankarlschmid.netFosterchild: Order at Agan LIVE. Boomslang Records/BandcampPablo Held Live at the Opera. Hopalit 008/BandcampLuise Volkmann & Été Large: The Stories We Tell. Boomslang Records/Bandcamp Sebastian Sternal & HR Big Band: Turning Point. Intuition RecordsFrederik Köster & NDR Big Band: K. on the Shore. TraumtonJohn Goldsby & WDR Big Band: Big Band Bass. Bass Lion/BandcampMark Lettieri Group & WDR Big Band: At Studio 4. Leopard RecordsDietmar Bonnen: haupt- +nebenstücke vol. 3. LP, Obst Music