Inspiration, Energie, Netzwerke: Warum es Jazz-Musikerinnen und Musiker aus Köln immer wieder nach New York zieht.
Kölner Jazz-Musiker in New YorkDie Musik steht immer im Vordergrund

Der 26-jährige Schlagzeuger Felix Ambach, geboren und aufgewachsen in Bensheim, lebt in New York und feilt dort an seiner Musiker-Karriere.
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New York ist die Welthauptstadt des Jazz. Zu allen Zeiten zogen Musikerinnen und Musiker von überall her in die Stadt, die niemals schläft, um ein Teil von ihr zu werden. Caterina Valente nahm ihre erste New-York-Session 1957 auf, Saxofonist Hans Koller promenierte 1968 mit dem Big-Band-Album „New York City“ durch die Stadtviertel, ein Jahr zuvor hatten Rolf und Joachim Kühn Produzent Bob Thiele von ihrer energetischen Musik überzeugt und spielten fürs legendäre Label Impulse! ihr Album „Impressions of New York“ ein.
Unter Trump wurden die Aufenthaltsvisa seltener und teurer, auch für Jazzer, die dank Stipendien immer noch gute Chancen haben. Auch aus ihrer Homebase Köln zieht es viele nach New York, zum Studium, aber auch, um sich inspirieren zu lassen, um Netzwerke zu knüpfen – und um so viel wie möglich. Dabei geht es darum, neue Wege zu beschreiten: In der Musikszene New Yorks ist man der Jazz-Tradition näher, zugleich findet man leichter zur eigenen Stilistik.
„In New York ist man nach einem Konzert extrem drauf“, sagte Angelika Niescier einmal. „Ein Spaziergang am Times Square ist fast die visuelle Überforderung. Man kommt aus der U-Bahn, muss nur ein Stück über den Time Square, und allein das schon ist der Overkill. Diese Farben, alles grell, das geht direkt ins Gehirn.“ Längst ist die Kölner Saxofonistin auch in den USA etabliert. Während sie im März eine Gastprofessur in Dartmouth (NH) hielt, gab sie Masterclasses „Jazz Gender Justice“ an der Berklee University in Boston, spielte dort, in Washington, Cleveland, Chicago und New York mit Tomeka Reid und Savannah Harris, im Monat darauf mit Schlagzeuger Tyshawn Sorey in der Zürcher Gallery, im Mai in Chicago im Hungry Brain, im Juni in Brooklyn, im Barbès mit Pianistin Marta Sanchéz sowie im Mayday Space mit Cellistin Rocio Sánchez, Bassist James Ilgenfritz und Schlagzeuger Gerry Hemingway.
Janning Trumann, Posaunist und Künstlerischer Leiter der Cologne Jazzweek, studierte von 2015 bis 2017 dank eines Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an der New York University NYU. „Das war eine spannende Zeit: Ich war 25, kam zur politischen Zeit von Barack Obama an und war am Ende unter der ersten Trump-Legislatur dort. Wichtiger war aber natürlich die Musik: Ich kam mit großen Erwartungen und großem Respekt, weil ich wusste, wie viele Musikerinnen und Musiker dort leben und arbeiten.“
Ich kam mit großen Erwartungen und großem Respekt nach New York.
Am meisten ist Trumann der Kontakt zu den Menschen in Erinnerung: „Alle waren nahbar, man belegte Kurse bei ihnen, spielte in Sessions mit Peter Evans, Anna Webber, Maria Schneider oder Marshall Gilkes, auch mit Drew Gress und Jochen Rueckert, die dann in mein Quartett kamen. Als Festivalmacher kann ich bis heute auf Kontakte zurückgreifen, erhalte die Informationen aus erster Hand. Das ist New York at it’s best.“ Und nachhaltig: Im Herbst 2024 erschien mit „Divide the Zero“ Trumanns drittes Album mit seinem New York Quartett, an dem neben Gress und Rueckert die in New York ansässige Saxofonistin Caroline Davis beteiligt ist.
Unlängst zogen Bassist Daniel Oetz Salcines und Schlagzeuger Mathieu Clement zum Master-Studium von Köln nach New York, wo sie ihren Freund und Mitspieler Wanja Rosenthal wiedertreffen können, den es bereits zuvor nach New York zog. Auch Phillip Dornbusch, Finn Wiest und Felix Ambach weilen bereits seit längerem dort. Bassist Florian Herzog entdeckte die Stadt 2016, als er Janning Trumann besuchte. „Mir war sofort klar: Hier muss ich hin, so verliebt war ich in die Stadt. Ein Jahr später zog ich um und wollte vor allem eines: spielen.“ Herzog studierte bei Mark Turner und Drew Gress an der NYU, wo er später selbst unterrichtete. Er spielte mit Jim Black, Theo Bleckmann, Elias Stemeseder und Mark Dresser. Aus der New Yorker Begegnung mit Janning Trumann, Fabian Willmann, Florian Herzog und Eva Klesse entstand das bis heute aktive Bandprojekt Trillmann.
Kein Schubladen-Denken
Nach seiner Rückkehr realisierte Herzog die Konzertreihe „CGNYC – Cologne meets New York“, zu der er regelmäßig New Yorker Musizierende nach Köln einlädt, darunter Caroline Davis, Sasha Berliner, Mariel Roberts, Kenny Waren, Doyeon Kim und Chris Williams. Nun kommt die Flötistin und Saxofonistin Anna Webber, eine wichtige Protagonistin der jungen, innovativen, Jazzszene New Yorks, nach Köln. Schlagzeugerin Lesley Mok war ebenfalls zu Gast, mit ihr spielte Herzog unlängst wieder in New York. „Für die Studioaufnahmen haben wir geprobt, und auf dem Hinweg in der U-Bahn sprang mich von hinten Felix Ambach an. Solche Zufälle gibt’s, man hat oft die gleichen Wege und lebt nah zusammen in einer noch bezahlbaren Gegend. Die Szene ist ein Dorf.“
Schlagzeuger Felix Ambach absolvierte von 2022 bis 2024 sein Master-Studium an der Manhattan School of Music, mit seinem Student Visa konnte er ein Jahr anhängen. Nun geht es für ihn weiter: „Gerade wurde mein Artist Visa bestätigt, das ist jetzt erstmal für die nächsten drei Jahre gültig.“ Auch für ihn war von Beginn an wichtig, möglichst viel zu Events, Konzerten und Jam-Sessions zu gehen, um Kontakte zu knüpfen. „Ein Studium in New York ist ein privilegierter Schritt, um nach New York zu kommen. Natürlich gibt es viel Konkurrenz um Studienplätze und Stipendien, aber wenn die Hürde geschafft ist, bietet das Studium viele Chancen.“ Etwas Besonderes ist für ihn, dass in New York jede denkbare Musikrichtung auf höchstem Level gespielt wird. „Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen den Musikrichtungen. Es wird nicht in Schubladen gedacht, und diese Offenheit ist inspirierend.“
Wenn sich der Kreis schließt
Ambach entwickelt sich derzeit in spannende, neue Richtungen. In Köln hat er seit fünf Jahren seine eigene Band mit dem Kölner Bassisten Roger Kintopf, dem Londoner Vibraphonisten Jonathan Mansfield und Julius Gawlik an Klarinette und Saxofon, der seit diesem Jahr ebenfalls in New York lebt. „In New York besteht meine Working Band aus einigen meiner aktuell engsten Musikfreunde, Sängerin Rissa Jones, Pianistin Bomin Kim, Gitarrist Emmanuel Michael und Bassist Noah Amick.“ Ihr gemeinsames Stück „time.trust“ ist eine sphärisch schillernde Klang-Crossover-Perle, ähnlich fern vom Jazz wie Ambachs neue EP mit der New Yorker Sängerin Nineesha Koshy: „Darauf bin ich hauptsächlich an Gitarren und Piano zu hören, stilistisch ist das mehr im Bereich Singer-Songwriter als im Jazz.“ Als Schlagzeuger in der Band des Sängers Adam Lytle entstand das Album „Altars“: „Wir haben im Studio PowerStation aufgenommen, wo unzählige Aufnahmen und Videos entstanden, die ich mir schon als Teenager angehört und angeschaut hatte. Jetzt dort selbst aufzunehmen, fühlte sich wie ein Full Circle Moment an.“
Ob New York die Erfüllung eines Wunschtraums sei, müsse jeder für sich selbst beantworten. Ambach: „Für mich fühlt es sich zurzeit hier sehr richtig an. Ähnliche Gefühle hatte ich aber auch schon in Köln, und natürlich muss man als Jazzmusiker nicht nach New York ziehen, um sich alle Träume erfüllen zu können.“ Zumal es für Musizierende finanziell hart sei, in New York zu leben: „Die Konkurrenz könnte kaum größer sein, und der Anteil an Musizierenden, die mit sehr wenig Geld auskommen und zugleich unfassbar viel arbeiten, ist hoch. Die meisten haben einen zusätzlichen Tagesjob, viele unterrichten, andere arbeiten im Büro. Erstaunlich, wie positiv die meisten damit umgehen. Tatsächlich fühlt es sich sehr gemeinschaftsbasiert an, die Musik steht immer im Vordergrund.“
„Die Stimmung ist spürbar anders, seit Trump wieder Präsident ist.
Dies bewährt sich auch angesichts des politischen Wandels. Ambach: „Die Stimmung ist spürbar anders, seit Trump wieder Präsident ist. Weniger bis gar nicht spürbar im alltäglichen Umgang mit Menschen hier in Brooklyn, New York ist auch politisch ein wenig eine Insel. Doch de facto wird es durch die vielen neuen Gesetze und die Normalisierung von Hetze und Rassismus für sehr viele immer gefährlicher, vor allem für BIPoC, die queere Community und Transpersonen.“ Auch Angelika Niescier spürt in jedem Konzert und jeder Begegnung die Veränderungen, zugleich aber eine hohe Gesprächs- und Diskursbereitschaft. „Viele können und wollen das alles überhaupt noch nicht glauben, doch in verschiedensten Facetten spürt man, dass die Kunst für sie so etwas wie Inseln des Widerstands bietet. Die Community unterstützt sich nicht zuletzt im gemeinsamen Erlebnis eines Konzerts, das gerade als Jazz und improvisierte Musik extrem kraftvoll ist.“
Florian Herzog erlebt, dass „die ganze Zeit darüber geredet wird“, viele aber schlicht und einfach Angst haben: „Bei Freunden, die seit acht Jahren eine Greencard haben, klopfte nachts um zwei Uhr die ICE an die Tür in Brooklyn. Bis dahin dachte ich, in New York sei es noch nicht so weit. In der Jazz-Bubble sind alle ständig damit beschäftigt, ihr Leben zu gestalten. Ich erlebte selbst, wie schnell die Tage dahingehen: Du stehst morgens auf, gehst aus dem Haus, kommst nachts wieder, fällst ins Bett, und am nächsten Tag geht’s weiter, weil du Proben und Auftritte wahrnehmen musst und zudem drei Stunden in der U-Bahn sitzt, denn die Distanzen sind enorm. Jeder denkt darüber nach, wie schlimm es noch wird, man fragt sich aber auch, ob man jetzt zum Protest geht oder doch besser ein Konzert spielt, weil man die Miete zahlen muss.“
Eines lässt sich aus allen Gesprächen heraushören: dass Jazz die Menschen in die Lage versetzt, wach und aufmerksam zu bleiben, sich mit den gegenwärtigen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Felix Ambach erinnert sich an ein Statement seines ebenfalls in New York lebenden Schlagzeug-Kollegen Finn Wiest. „Er ist seit unserem Studium in Köln ein enger Freund, und ich stimme ihm zu, wenn er sagt: ‚Man kommuniziert mit Menschen, das ist musikalische Demokratie. Man hört den anderen zu, muss im Moment sein. Da ist kein Platz für Egos. Man kreiert zusammen etwas. Es ist ganzheitlich, wie eine musikalische Utopie der Gesellschaft.‘“ Jazz bewahrt sich die Freude am Unverhofften, und Optimismus ist im gegenwärtigen New York wohl die radikalste Haltung.
CGNYC – „Cologne meets New York“: Anna Webber. 6.11. im Loft, Wißmannstraße 30, 50823 Köln.

