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Emmy-AwardsStephen Colberts ernste Mahnung inmitten einer unpolitischen Gala

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14.09.2025, USA, Los Angeles: Stephen Colbert und sein Team von "The Late Show with Stephen Colbert" nehmen den Preis für die beste Talkshow während der 77. Primetime Emmy Awards in Los Angeles entgegen. Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Stephen Colbert und sein Team von „The Late Show with Stephen Colbert“ nehmen den Preis für die beste Talkshow während der 77. Primetime Emmy Awards in Los Angeles entgegen. 

Der Late-Night-Moderator musste erst Donald Trump zuliebe abgesetzt werden, um endlich bei den US-Fernsehpreisen zu gewinnen.

Den ersten Preis des Abends, „Bester Hauptdarsteller in einer Komödie“, präsentiert Stephen Colbert. Als er die Bühne des Peacock-Theaters in Los Angeles betritt, erhebt sich das Publikum in Rekordgeschwindigkeit. „Stephen, Stephen, Stephen“-Rufe hallen durch den Saal, die Elite des amerikanischen Fernsehschaffens – längst gehören auch Hollywood-Größen wie Harrison Ford, Cate Blanchett und Jake Gyllenhaal dazu – feiert den Late-Night-Moderator. Dem jungen „White Lotus“-Star Aimee Lou Wood laufen Tränen über das Gesicht. Willkommen zu den 77. Emmy Awards.

Colbert genießt den Applaus, dann fügt er trocken hinzu: „Wo ich gerade eure Aufmerksamkeit habe: Sucht jemand Mitarbeiter? Ich habe heute Abend 200 hoch qualifizierte Kräfte mitgebracht, die ab Juni zur Verfügung stehen.“ Vor zwei Monaten hatte CBS das Ende seiner traditionsreichen „Late Show“ verkündet. Angeblich, weil das Programm dem Sender Verluste von 40 Millionen Dollar im Jahr einbrachte.

Harrison Ford und Cate Blanchett erheben sich für Stephen Colbert

Tatsächlich dürfte die inzwischen vollzogene Fusion von CBS mit dem Medienunternehmen Skydance die größere Rolle gespielt haben. Die musste erst von der Medienaufsichtsbehörde der US-Regierung genehmigt werden, an deren Spitze hatte Donald Trump einen treuen Vasallen installiert.

Colbert war Trump schon lange ein Dorn im Auge, in seinen Eröffnungsmonologen nahm er die Lügen und Fragwürdigkeiten des Präsidenten schonungslos auseinander. Erkennbar ging es ihm dabei um mehr als nur den nächsten Lacher. Als er vor acht Jahren selbst die Emmys moderierte – Trump war erst seit einem dreiviertel Jahr im Amt – klagte Colbert die Mitglieder der Television Academy an: „Hättet ihr ihm nur einen Emmy für ‚Celebrity Apprentice‘ gegeben, er hätte niemals für das Präsidentenamt kandidiert. Und ich dachte, euch gefallen moralisch fragwürdige Antihelden.“

Der US-Schauspieler Noah Wyle nimmt am 14. September 2025 im Peacock Theatre im LA Live in Los Angeles bei der 77. Primetime Emmy Awards die Auszeichnung als „Herausragender Hauptdarsteller in einer Drama-Serie“ für „The Pitt“ entgegen.

Im sechsten Anlauf endlich gewonnen: Noah Wyle mit seinem Emmy für den Besten Hauptdarsteller in einer Drama-Serie.

Im Vorfeld der aktuellen Emmys war viel darüber spekuliert worden, wie politisch die Fernsehpreise diesmal ausfallen würden, inmitten des nicht mehr zu leugnenden Umbaus der USA in einen autokratischen Staat. Die Antwort lautete: so gut wie gar nicht. Moderator Nate Bargatze variierte seinen aus der Comedy-Show „Saturday Night Live“ bekannten George-Washington-Sketch. Diesmal erläuterte er als angeblicher Erfinder des Fernsehens verwunderten Mitarbeitern seine kühne Zukunftsvision. Harmlose Beobachtungen der aktuellen TV-Landschaft bilden die Pointen.

Immerhin waren unter den Nominierten einige Shows, die sich als Kommentar zur Lage der Nation lesen lassen: Tony Gilroys Serie „Andor“ (Disney+) etwa, die dem lahmenden „Star Wars“-Franchise mit Innenansichten des faschistischen Imperiums unvermutet neue Relevanz gegeben hatte. Oder die überragend gut gefilmte Science-Fiction-Groteske „Severance“ (AppleTV+), die das moderne Erwerbsleben als kafkaesken Albtraum gespaltener Persönlichkeiten zeigt. Beide konnten sich in mehreren Kategorien durchsetzen – doch die großen Gewinner des Abends waren drei andere: die Echtzeit-Krankenhausserie „The Pitt“ (HBO), Seth Rogens Hollywood-Satire „The Studio“ (AppleTV+) und Netflix' viel diskutiertes Jugenddrama „Adolescence“.

Ich habe mein Land niemals verzweifelter geliebt.
Stephen Colbert

Vornehme Zurückhaltung herrschte auch bei den Gewinnern. Moderator Nate Bargatze hatte angekündigt, am Ende der Sendung 100.000 Euro für den „Boys and Girls Club of America“ spenden zu wollen, abzüglich von 1000 Dollar für jede überzogene Sekunde der auf exakt 45 Sekunden beschränkten Dankesreden. Die fielen dementsprechend bescheiden aus. Einzig Schauspielerin Hannah Einbinder – als beste Comedy-Nebendarstellerin für „Hacks“ ausgezeichnet – überzog ihre Zeit mit dem Doppel-Schlachtruf „Scheiß’ auf ICE! Freiheit für Palästina!“ Ihr „fuck you“ an die US-Einwanderungspolizei wurde allerdings in der zeitverzögerten Live-Übertragung ausgeblendet.

Einbinder hatte am Sonntagabend nach mehreren Nominierungen für „Hacks“ zum ersten Mal gewonnen. Genau wie Stephen Colbert, der ein zweites Mal unter regem Zuspruch des Publikums auf die Bühne durfte, um den Emmy für die beste Talkshow entgegenzunehmen. In den vergangenen Jahren hatte er gegen Comedy Centrals „Daily Show“ und HBOs „Last Week Tonight with John Oliver“ verloren. Diesmal hatten Colberts Konkurrenten explizit dazu aufgefordert, für die „Late Show“ zu stimmen.

Vor zehn Jahren, bedankte sich Stephen Colbert, hatte er sich vorgenommen, eine Late-Night-Show zu produzieren, in der es um Liebe geht. „Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt – ihr könnt raten, welcher das war – wurde mir klar, dass wir eine Show über Verlust machen: Manchmal weiß man erst wirklich, wie sehr man etwas geliebt hat, wenn man das Gefühl hat, dass man es verlieren könnte.“ Dann fügte der 61-jährige Comedian noch ernster hinzu: „Ich habe mein Land niemals verzweifelter geliebt. Gott segne Amerika. Bleibt stark, seid mutig.“