Ein enges Rennen zwischen AfD und SPD gebe es in Köln, hieß es am Sonntag oftmals bei X. Mit der Realität hatte das nichts zu tun.
„In Köln Kopf an Kopf“Reichelt, Sellner und Co. nutzen Kölner Wahl für Fake News

Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner äußerte sich am Sonntag bei X zur Wahl in Köln – und löschte den Beitrag dann wieder. (Archivbild)
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Julian Reichelt, ehemaliger Chefredakteur der „Bild“-Zeitung und nunmehriger Chef des rechtspopulistischen Portals „Nius“, hatte am Wahlsonntag einen Erfolg auf der Plattform X. Mehr als 4.500 Nutzer vergaben bis zum Montagmorgen ein Like für einen Beitrag von Reichelt zur Oberbürgermeisterwahl in Köln. Kein Tweet war im Vergleich erfolgreicher als der des „Nius“-Machers. Das Problem: Es findet sich auch kaum ein Beitrag, der so falsch ist wie der von Reichelt.
Um 18.36 Uhr meldete sich Reichelt am Sonntag zu Wort – und verkündete: „SPD und AfD in Köln Kopf an Kopf. Irre“ Schnell verbreitete sich die vermeintliche Sensationsmeldung daraufhin im Netz. Was Reichelt jedoch auf einem Screenshot der Kölner Wahlergebnisse weggeschnitten hatte, war die Information darüber, wie viele Stimmen bereits ausgezählt worden waren. Zum Zeitpunkt seines X-Beitrags waren das noch sehr, sehr wenige.
Ex-„Bild“-Chef Reichelt verkündet „SPD und AfD in Köln Kopf an Kopf“
Eine seriöse Tendenz für das Endergebnis war nicht erkennbar, insbesondere da zunächst Stimmen aus Kölner Stadtteilen einliefen, in denen die AfD recht beliebt ist. Nur wenige Minuten später war das Bild, das Reichelt offenbar vermitteln wollte, dann auch schon Geschichte.

Ein Screenshot zeigt den X-Beitrag von Julian Reichelt. Der „Nius“-Chef nutzte eine Momentaufnahme der Auszählung, um einen AfD-Erfolg in Köln zu suggerieren.
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Die Prozentzahl von AfD-Kandidat Matthias Büschges sank fortan mit jedem weiteren Update. Von einem „Kopf-an-Kopf“-Rennen war keine Spur mehr. Am Ende das Wahlabends musste Büschges sich mit dem vierten Rang in Köln begnügen – und mit 8,4 Prozent der Stimmen.
Rechtsextremist Martin Sellner meldet sich ebenfalls mit Fake News zu Wort
Reichelts Beitrag ist unterdessen weiterhin online, bisher hat der „Nius“-Chef seine Follower bei X nicht darüber aufgeklärt, dass AfD-Kandidat Büschges schlussendlich weit von den 22,7 Prozent eingelaufen ist, die noch auf Reichelts Screenshot verzeichnet waren. Allein war der ehemalige „Bild“-Journalist mit seiner Desinformation am Sonntag allerdings nicht.
Neben dem rechtspopulistischen Kölner Influencer Ali Utlu, der zwischenzeitlich erklärte hatte „Grün ist vorbei“, meldete sich auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner in ähnlicher Weise zu Wort. So wie Utlu löschte der Chef der Identitäten Bewegung seinen Beitrag später jedoch wieder.
Desinformation bei X: Erst Fake News, dann Beiträge gelöscht
„Die AfD überholt im katholisch-konservativen Köln die Union und liegt Kopf an Kopf mit der SPD“, hatte Sellner in einem gelöschten Beitrag behauptet. „In diesem Land wird sich etwas ändern, und zwar drastisch“, frohlockte der Rechtsextremist. Am Montag findet sich davon keine Spur mehr auf seinem Account. Lediglich ein Beitrag zum starken AfD-Ergebnis bei der Ratswahl in Gelsenkirchen ist noch aufzufinden – hier geben die Zahlen den tatsächlichen Endstand wieder.

Ein Screenshot zeigt den später wieder gelöschten X-Beitrag von Martin Sellner.
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Und auch bei Utlu verschwanden die meisten Beiträge, stattdessen bekamen die Leser schließlich den Frust des Influencers zu lesen. „Köln wird grün und ich übergebe mich im Strahl“, verkündete Utlu.
Studie: „Rechtsradikaler Populismus ist das Hauptproblem“
Überraschend kommen die Desinformationsversuche aus der rechten Ecke derweil nicht, sondern entsprechen einem internationalen Trend. So ergab eine Studie von Forschern der Universität Amsterdam in diesem Sommer, dass radikale rechtspopulistische Politikerinnen und Politiker deutlich öfter fragwürdige Informationen verbreiten als solche anderer politischer Gesinnungen – und auch als Populisten anderer Strömungen.
„Nur in Kombination mit rechtsgerichteter Ideologie ist Populismus signifikant mit der Verbreitung von Fehlinformationen verbunden“, fassten die Forscher ihre Erkenntnisse zusammen, die bei der Untersuchung eines Datensatzes von 32 Millionen Tweets von Parlamentariern aus 26 Ländern gewonnen wurden.
„Kurz gesagt: Wenn es um Fehlinformationen geht, ist nicht der Populismus, sondern der rechtsradikale Populismus das Hauptproblem“, lautete das Fazit des Forscherteams um Petter Törnberg und Juliana Chueri. Die jüngsten Beiträge von Reichelt, Sellner und Utlu legen nun nahe, dass sich diese Erkenntnisse auch auf rechtspopulistische und rechtsextreme Meinungsmacher und Influencer ausdehnen lassen.