Das Kölner Museum Ludwig zeigt in einer glänzenden Schau, wie aus Liebe und Freundschaft die moderne Nachkriegskunst entstand.
„Fünf Freunde“ in KölnAlles Schöne kommt aus dem Nichts

Lustig ist das Künstlerleben, hier unter anderem mit Merce Cunningham, John Cage, den Stockhausens und Robert Rauschenberg.
Copyright: Robert Rauschenberg Foundation Archives, New York
Als der junge James Rosenquist eine billige Bleibe in New York suchte, klopfte er auch bei zwei ähnlich mittellosen Künstlern an. Hinter der Tür malte Jasper Johns gerade an einer weißen US-Flagge, und Robert Rauschenberg trug eine Oma-Brille spazieren, woraus Rosenquist zunächst schloss, er wäre unter die Nazis gefallen. Später, als alle drei Maler reich und berühmt waren, haben sie vermutlich herzlich über das Missverständnis gelacht. Denn nichts lag Johns ferner, als das Sternenbanner mit der Farbe weißer Überlegenheit zu tünchen. Stattdessen wollte er zeigen, wie man ein nationales Heiligtum in Kunst verwandelt und so von allen außerkünstlerischen Bedeutungen reinigen kann. Der gewollte Selbstwiderspruch des Bildes lag darin, dass dieser Exorzismus mit Farbe statt Feuer in der Endphase der düsteren McCarthy-Ära selbst wieder eine politisch aufgeladene Handlung war.
Die Idee zur gemalten Flagge kam Johns angeblich in Traum. Sollte diese Mär jemand geglaubt haben, wird er jetzt in der Kölner Ausstellung „Fünf Freunde“ eines Besseren belehrt. Im Museum Ludwig hat das von Johns erstmals 1954 und danach in allen erdenklichen Varianten gemalte Motiv eine lange, buchstäblich aus dem Nichts kommende Vorgeschichte. Sie beginnt mit den Zen-Gedanken, die sich John Cage über die Stille in der Musik machte; seine „Lectures on Nothing“ inspirierten Rauschenberg dazu, ein weißes Gemälde zu malen (als „Landebahn für Licht, Schatten und Staub“), was wiederum Cage den Mut einflößte, sein ikonisches Stück „4’33“ zu komponieren, für das ein Pianist 4,33 Minuten lang mit ruhenden Händen den Geräuschen des Publikums lauscht. Von der Musik ohne Musik war die Flagge ohne Bedeutung nur noch ein Fiebertraum entfernt. Oder wie man im Ludwig sieht: eine Phalanx an Gemälden, die das Hintergrundrauschen der Welt in Nicht-Motive überträgt.
Drei der fünf Freunde flogen im Helikopter zum Drachenfels
Im ersten Ausstellungssaal hört man vom Band, wie John Cage mit den Tasten eines Klaviers „Töne in die Stille wirft“ und die Stille zwischen den Tönen hörbar macht. Dazu hängen Gemälde von Rauschenberg, Johns und (als vierter im Bunde) Cy Twombly an der Wand, in denen wenig mehr als Gekritzel auf weißem Stoff zu sehen ist. Die These der Ausstellung, nach der die titelgebenden „Fünf Freunde“ aus geteilter Liebe und Freundschaft die Nachkriegskunst neu erfanden (ohne „Flagge“ keine Pop-Art), wird hier buchstäblich einsichtig gemacht, auch wenn der Choreograf Merce Cunningham trotz eines Vorspiels im Foyer zunächst am Rande bleibt. Später sieht man ihn, die Stille zwischen den Tönen in angehaltene Bewegungen übersetzen und in Bühnenbildern tanzen, von denen eines als Rauschenbergs inoffizielles erstes Combine-Painting gilt.
Bei der Präsentation ihrer Ausstellung hoben Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior und Achim Hochdörfer vom Münchner Museum Brandhorst hervor, dass die Werke ihrer fünf Freunde für sich genommen jeweils eigene Kosmen sind und die dazu veröffentlichte Fachliteratur etliche Regalkilometer füllt (um von Museumssälen ganz zu schweigen). Sie zusammenzubringen liegt zwar einerseits nahe, weil Twombly und Rauschenberg, Rauschenberg und Johns sowie Cage und Cunningham langjährige oder lebenslange Liebespaare waren und in ihren prägenden Jahren außer ihre Betten auch gemeinsame Ideen teilten. Allerdings kursierten diese zwischen ihnen, ohne dass sie das Quintett zu einer Künstlergruppe zusammenschweißten. Es gibt kein gemeinsames Manifest, keine gemeinsamen Ausstellungen, und offenbar kein einziges Foto, für das sich alle Fünf vor einer Kamera versammelten. Als Trio gibt es sie zuhauf, wie die im Ludwig üppig ausgebreiteten Begleitmaterialien beweisen. Ein besonders schönes Motiv zeigt Cage, Cunningham und Rauschenberg auf Gruppenreise im Helikopter zum Drachenfels.

Jasper Johns „Target“ ist in der „Fünf Freunde“-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig zu sehen.
Copyright: Jasper Johns, VG Bild-Kunst, Bonn
Die „Fünf-Freunde“-Schau ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Wagnis: Kursierende Ideen lassen sich deutlich schlechter in Ausstellungen fassen als Bilder, die Manifeste illustrieren; Kosmen werden nicht gerne gemeinsam in kleine Säle gequetscht, selbst wenn sie einander freundlich gesonnen sind; bedeutende Leihgaben aus den USA sind teuer und schwer zu bekommen; und eine Ausstellung, die fünf Superstars in einem bietet, gerät leicht in den Verdacht, schamlos auf Kundenfang zu gehen. Aber schon auf den ersten Metern zerstreuen sich etwaige Sorgen. Alles rundet sich, die Engführung von Kunst, Privatleben und Politik überzeugt, und die in die Jahre gekommenen Klassiker Johns und Rauschenberg wirken, durch die Stille gesehen, wie ewig jung.
Geradezu genial ist der kuratorische Witz, die „Queerness“ der Künstler in einer Art begehbaren Kleiderschrank zu thematisieren: einem offenen Rondell, das mit Rauschenbergs „Bett“ (1955) die prominenteste Leihgabe der Schau enthält. Für sein „kombiniertes Gemälde“ klebte Rauschenberg sein eigenes Bett mitsamt Laken und Steppdecke auf eine Holzunterlage und besprenkelte und bekritzelte vornehmlich den Kopfteil mit Farbe und Grafit. Für Dziewior ist das Bett nicht nur eine zufällige Metapher des Lebens (und eine Parodie des abstrakten Expressionismus), sondern auch ein in Kunst konservierter Ort strafrechtlich verfolgter Liebe.
Viel expliziter ließ sich sexuelles Begehren nicht codieren
Der Frage, ob die „Fünf Freunde“ als Künstler ihr Begehren unterdrückten, geht Dziewior in einem Beitrag des lesenswerten Katalogs nach. In der Ausstellung kombiniert er das „Bett“ mit einem grau-abstrakten, nach dem homosexuellen Dichter Alfred Lord Tennyson benannten Diptychon von Johns (ein Doppelbett) und einer „Odalisk“-Skulptur, die Rauschenberg mit einem ausgestopften Hahn (engl. „cock“) bekrönte. Auch darin kann man eine Persiflage auf den Machismo eines Jackson Pollock sehen – oder einen Code, hinter dem sich das homosexuelle Begehren zu erkennen gibt. Vermutlich durfte Rauschenbergs berühmtes „Monogram“ nicht reisen. Sein „geiler“ Ziegenbock im Gummireifen gilt als Metapher für Analverkehr; viel expliziter ließ sich sexuelles Begehren (welcher Art auch immer) in den 1950er Jahren nicht codieren.
Während Rauschenberg seine Leinwände zu Fundgruben der Wegwerf-, Bilder- und Informationsgesellschaft machte, durchschritt Johns die Stille der Malerei, um zu zeigen, wie aus dem Beinahe-Nichts wieder Bedeutung entsteht. Seine „Target“-Bilder waren beinahe so glatt und banal wie später Andy Warhols Marilyns, aber offensichtlich von Hand gemalt und mutmaßlich eine (wieder tagesaktuelle) Metapher dafür, dass jeder Mensch zur Zielscheibe werden kann. Auch auf den Großformaten Cy Twomblys entdeckten die Kuratoren politische Botschaften: das „A“ auf „Vengeance of Achilles“ (1962), ein drei Meter hoher, gekritzelter Zuckerhut mit blutigem Kopf, deuten sie als Hinweis auf die Atombombe und verhängnisvolles Wettrüsten.
Stehen die drei Maler auch im Zentrum der chronologisch gehängten Ausstellung, so bilden Cage und Cunningham doch keineswegs nur das Spalier. Das Werk des Choreografen ist mit Videos, Kostümen und neo-dadaistischen Requisiten (ein auf den Rücken gebundener Stuhl) präsent, Cages Kompositionen begleiten einen durch die Säle und bilden, nachdem alles mit Cage begonnen hatte, ein stimmiges Finale. Im letzten Raum sieht man sein zeichnerische Zen-Alterswerk – nicht die besten Arbeiten. Aber es ist auch schön zu sehen, wie selbst unsterbliche Ideen verhallen.
„Fünf Freunde“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 3. Oktober 2025 bis 11. Januar 2026. Eröffnung: Donnerstag, 2. Oktober, 19 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung kostet im Museum 38 Euro.