„Hart aber fair“Darauf kommt es nach dem Erdbeben an

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Louis Klamroth, neuer Moderator der ARD-Talkshow «Hart aber fair», steht nach der Sendung im Studio Berlin.

Der neue Moderator der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ Louis Klamroth

Bei „Hart aber fair“ wurde diskutiert, wie man den Betroffenen des Erdbebens in der Türkei und in Syrien am besten helfen kann.

Ein schweres Erdbeben hat in der Türkei und in Syrien tausenden Menschen das Leben gekostet. Die Bergung und Versorgung von Überlebenden gestaltet sich als herausfordernd. Bei „Hart aber fair“ wurde diskutiert, wie es den Menschen geht und wie ihnen am besten geholfen werden kann.

Die Gäste

  • Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist und Autor
  • Serap Güler, MdB (CDU), Mitglied im CDU-Bundesvorstand
  • Gerd Friedsam, Leiter des Technischen Hilfswerks, der beim Erdbeben in der Türkei 1999 Einsatzleiter war
  • Falah Elias, Reporter und Moderator beim WDR und der DW
  • Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Janine Wissler, Parteivorsitzende die LINKE, hat das Erdbeben vor Ort miterlebt

Viele Menschen mit Angehörigen in den betroffenen Gebieten

In dieser Sendung gibt es keine hitzigen Diskussionen. Hin und wieder wird analysiert, warum in der Türkei trotz guter Bauvorschriften solche Schäden entstanden sind, doch diese kurzen Passagen werden schnell erstickt durch etwas anderes: Solidarität, Mitgefühl und vor allem die Frage, was denn konkret getan werden kann, um den Menschen in ihrer Lage zu helfen.

Das hat sicher damit zu tun, dass die Gäste teilweise selbst Angehörige in den betroffenen Gebieten haben. Der Reporter Falah Elias erzählt von seiner Familie, die an der tükisch-syrischen Grenze lebt und von der er erst nach einer langen Funkstille ein Lebenszeichen bekommen habe. Besonders die Gebiete, die nicht von Assad kontrolliert werden, seien ein Niemandsland, das in syrischen Staatsmedien nicht erwähnt werde und keine Unterstützung bekomme.

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Janine Wissler war während des Erdbebens in der Türkei

Die Region sei bereits vom Krieg schwer beschädigt, zerstörte Straßen erschweren das Liefern von Hilfsgütern. Vor allem die Weißhelme würden vor Ort helfen, allerdings nur unter schweren Bedingungen. Im Verlauf der Sendung bemängelt der syrische Reporter, dass Syrien oft nur im Nachgang erwähnt werde und appelliert an die Bundesregierung, die Syrer nicht zu vergessen.

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„Hart aber fair“ am 06.02. Sendung zum Erdbeben in der Türkei und in Syrien

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Janine Wissler, die aus Ankara zugeschaltet wurde, war selbst vom Erdbeben überrascht worden. Sie sei zur Beobachtung eines Prozesses gegen 108 Oppositionelle in einer betroffenen Region gewesen, habe den Ort nach dem ersten Erdbeben aber verlassen können. Die Menschen hätten versucht mit bloßen Händen die Verschütteten zu retten. Sie habe in der kurdisch geprägten Gegend nur wenige Einsatzkräfte gesehen.

Cem Özdemir lobt schnelle Hilfe Griechenlands

Der ebenfalls zugeschaltete Bundesminister Cem Özdemir erinnert an Freunde türkischer oder kurdischer Herkunft, die vor Ort betroffen sind oder sich Sorgen um ihre Angehörigen machen. Er lobt, dass Griechenland und die Türkei zuletzt näher aneinandergerückt seien und Griechenland schnell Hilfe geschickt habe. Er bekräftigt, dass auch Hilfe aus Deutschland bereits koordiniert werde.

Nur kurz deutet er die Problematik der türkischen Baubranche und ihre Verpflechtungen mit der Regierung an. Doch darum ginge es im Moment nicht: „Jetzt ist der Moment der Hilfe.“ Auch die Bürgerinnen und Bürger könnten durch Spenden helfen. Die Frage des Moderators, ob das Erdbeben Erdogan für den Wahlkampf unter Druck setze, will er nicht beantworten. „Wir stehen an der Seite der Menschen in der Türkei, unabhängig von der Regierung dort. Die haben unsere Solidarität verdient, und wir helfen.“

Serap Güler bemängelt die korrupte Baubranche

Für emotionale Entlastung sorgt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Aus einer wissenschaftlichen Ebene betrachtet er das Geschehen, erklärt wie Erdbeben entstehen, erläutert den Unterschied der Zahlen bei der Erdbebenskala und weist im Verlauf des Abends auch auf neue Technologien hin, die in Zukunft Betroffene früher warnen können. Denn Erdbeben lange im Voraus kommen zu sehen, das sei im Moment noch nicht möglich. Er appelliert auch dafür, die ländlichen Regionen nicht zu vernachlässigen, in der Vergangenheit seien dort Schäden durch Erdbeben oft über Jahre nicht angegangen worden.

Serap Güler vertieft, was Özdemir nur andeutet, nämlich dass viele Orte in der Türkei zwar gut auf Erdbeben vorbereitet seien, auch wegen der Erfahrungen des schweren Erdbebens von 1999. Doch viele der Bauschriften, die seitdem gelten, würden nicht umgesetzt, die Baubranche sei sehr korrupt. „Wir haben Bilder aus der betroffenen Region gesehen, wo mehrere Hochhäuser nebeneinanderstehen und eins in der Mitter ist dem Erdboden gleich, während die anderen noch stehen. Da muss man die Frage stellen: Wie kann das passieren? Und da sind wir ganz schnell bei Baupfusch.“

Darauf kommt es in den nächsten Tagen an

Güler lobt die schnelle Zusage der EU und die Hilfe der Natopartner, allen voran Griechenland. Auch die USA habe Hilfe zugesagt. Wie man den Menschen konkret helfen könne, sei wegen der unübersichtlichen Lage schwer einzuschätzen. „Ich glaube es kommt in den nächsten Tagen vor allem darauf an, viele Zelte, Decken, Lebensmittel und Medikamente an den Mann zu bringen.“ Besonders die Kälte sei eine große Herausforderung für die Menschen, die über Nacht obdachlos geworden sind.

Dem stimmt auch Gerd Friedsam zu, der Leiter des Technischen Hilfswerks. Die türkische Regierung habe ein internationales Hilfegesuch gestellt, erst einmal ginge es um die Bergung der verschütteten Personen. Der zweite Schritt sei dann die Überlebenshilfe, etwa durch Lieferung von Hilfsgütern. Dann gehe es aber auch um das Weiterleben, um die Energieversorgung und die Trinkwasserversorgung. „All diese Dinge müssen jetzt vorbereitet werden.“

Wichtige Lehren aus dem Erdbeben 1999 in der Türkei gezogen

Gerd Friedsam war bereits beim Erdbeben 1999 in der Türkei Einsatzleiter und zieht immer wieder Vergleiche in die Vergangenheit. Damals hätten sie zwar andere Voraussetzungen gehabt, zum Beispiel weil das Beben im Sommer war, aber die Bilder der Zerstörung seien ähnlich. Die Türkei hätte sich aus den Erfahrungen mit 1999 gut gegen die Folgen des Erdbebens aufgestellt. Ein weiterer Vorteil: „Heute haben wir internationale Mechanismen, die greifen, um Hilfe, Rettung und Versorgung vor Ort zu bringen.“

Aktion Deutschland Hilft

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Aktion Deutschland Hilft - Bündnis deutscher Hilfsorganisationen

Trotzdem ist die Situation dramatisch. Bei dem Ausmaß der Zerstörung könne es Jahrzehnte dauern, bis wieder Normalität einkehrt. Entsprechend wichtig auch der Appell, den Ranga Yogeshwar zum Schluss der Sendung stellt: die Menschen nicht schnell wieder zu vergessen.

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