„Hart aber fair“„Bei wem wollen Sie die Grenze ziehen?“ – Spahn plädiert für Obergrenze für Geflüchtete

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Zu Gast bei Louis Klamroth sind:
 
 
 
 Jens Spahn, CDU, Stellv. Fraktionsvorsitzender, Präsidiumsmitglied
 

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Jens Spahn war zum Thema Flüchtlinge bei „hart aber fair“.

Am Montag diskutierten die Gäste der Talkshow „Hart aber fair“ darüber, ob Deutschland mit der Aufnahme von Geflüchteten an einer Belastungsgrenze angekommen ist. Jens Spahn plädiert daher für eine Obergrenze und erntet dafür viel Kritik.

Die Gäste bei „Hart aber fair“

  • Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende Bündnis90/Grüne
  • Jens Spahn, CDU Stellv. Fraktionsvorsitzender, Präsidiumsmitglied
  • Isabel Schayani, Moderatorin ARD „Weltspiegel“, Leiterin der Redaktion „WDRforyou“
  • Tareq Alaows, Flüchtlingspolitischer Sprecher der Organisation „Pro Asyl“
  • Tanja Schweiger, Freie Wähler, Landrätin des Landkreises Regensburg

Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine suchen immer mehr Menschen Schutz, auch in Deutschland. Der polemische Titel der Sendung („Über eine Million Menschen suchen Zuflucht: Deutschland an der Belastungsgrenze?“) wird bereits zu Beginn mit einem Beispiel der Stadt Lörrach gerechtfertigt. Dort haben die Anwohner einiger Gebäude einen Brief der Stadt erhalten, nach dem sie ihre Wohnung aufgeben müssen. Die Kommune will die Häuser zur Unterbringung von Geflüchteten nutzen, für die Betroffenen werde die Stadt neue Wohnungen finden. Mittlerweile habe sich die Stadt für die schlechte Kommunikation entschuldigt.

„Hart aber fair“: Deutschland an der Belastungsgrenze oder nur einzelne Gemeinden?

Die Gäste sind sich uneinig darüber, inwieweit der Fall stellvertretend für die Situation in Deutschland steht. Für Jens Spahn zeige Lörrach, wie sehr die Städte, Gemeinde und Landkreise am Limit seien. Kitas, Schulen, Sprachkurse, selbst der Arbeitsmarkt sei an der Belastungsgrenze. „Wir sind überall an der Grenze dessen, was wir noch leisten können. Das ist ein Befund, den man sehr ernst nehmen muss, in allen Regionen des Landes.“

Isabel Schavani hat selbst mit einigen Vertretern von Kommunen gesprochen und widerspricht Spahns Einschätzung. Sie findet es unverhältnismäßig, dass mit Lörrach als Ausgangspunkt ein Ausnahmefall herausgegriffen worden sei, wohingegen unzählige Kommunen gute Lösungen gefunden hätten. Mit so einem Beispiel anzufangen würde nicht angemessen widerspiegeln, was derzeit geleistet werde. „Das bestimmt natürlich auch die gesellschaftliche Temperatur, wenn wir hier in dieser Sendung darüber reden, dass Deutschland an der Belastungsgrenze ist. Das hängt auch davon ab, wie man die Geschichte erzählt.“

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In Regensburg wurde ein Schiff angemietet, um Flüchtlinge unterzubringen

Auch Tanja Schweiger beschreibt die Lage als angespannt. Die Landrätin des Landkreises Regensburg hat ein Schiff angemietet, um kurzfristige Unterkünfte für Geflüchtete zu stellen. Grundsätzlich werde die Debatte sachlich geführt und auch der Verteilungsschlüssel funktioniere. In ihrem Kreis sei die Situation aber angespannter als 2015/16. Damals hätten sie im Höchststand nur 2.000 Menschen aufgenommen, heute seien es 5.000.

Sie begrüßt Zusagen der Unterstützung des Bundes, die Britta Haßelmann im Verlauf der Sendung artikuliert, möchte es aber konkreter wissen. Bisher seien die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels lediglich die Bildung eines Arbeitskreises und weitere Gespräche an Ostern. „Fakt ist, dass sich seit Monaten keine Lösungen abzeichnen und es auch keine Lösung gibt, die innerhalb von drei Tagen gefunden werden kann. Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierungen mit Lösungen beginnt.“

Britta Haßelmann verweist bei „Hart aber fair“ auf sehr unterschiedliche Ausgangslagen in den Kommunen

Britta Haßelmann versucht auf die unterschiedlichen Realitäten in den Kommunen aufmerksam zu machen. Viele von ihnen kämen sehr gut zurecht. In Bielefeld etwa seien alte Gebäude übernommen worden, die bisher von der britischen Armee genutzt worden waren. Auch in Bonn und Hannover habe es gut funktioniert. „Es gibt eine sehr unterschiedliche Situation landauf, landab, was die Kapazitäten und die Engpässe angeht.“ Wiederholt signalisiert sie die Unterstützung des Bundes, kann dabei aber keinen konkreten Zeitplan nennen und verweist auf eine Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die im April stattfinden soll.

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Über eine Million Menschen suchen Zuflucht: Deutschland an der Belastungsgrenze?

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Tareq Alawos erinnert an die Aussage des Bürgermeisters von Bielefeld, laut dem die Lage in seiner Kommune besser sei als die Stimmung auf Bundesebene. In Weimar hätte man sich soweit vorbereitet, dass Schulplätze wieder weggestrichen worden seien, weil der Bedarf nicht groß genug gewesen sei. Nicht nur die Zahlen seien entscheidend, sondern die Handlungsbereitschaft.

Jens Spahn sieht die Lösung an der EU-Außengrenze

Spahn wiederum besteht auf konkrete Zahlen, beharrt auch auf eine Obergrenze für Geflüchtete. Selbst Bielefeld werde irgendwann den Punkt erreichen, an dem es nicht mehr gehe. „Überforderung verhindert Integration.“ Ein solcher „Kontrollverlust“ wie 2015 solle sich nicht wiederholen. „Das eine Thema ist das Integrationsthema. Das andere ist, dass wir diese Zahlen an der EU-Außengrenze runterbringen müssen und zwar in sehr großen Umfang runterbringen müssen.“

Tareq Alaows begegnet diesem Vorschlag mit seiner eigenen Geschichte. Er erzählt davon, wie er in seiner Flucht aus Syrien trotz Verletzungen 45 Tage lang zu Fuß nach Europa gewandert sei. Für seine Entscheidung habe er zwischen Tod in Syrien oder einen riskanten Fluchtweg wählen müssen. Dass man in Deutschland Flucht verhindern wolle, sei für ihn eine Beleidigung seiner Lebenserfahrung und die vieler Anderer. „Letztendlich sind über 90% der Menschen, die im letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind, aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und der Ukraine. Bei wem wollen Sie die Grenze ziehen? Bei dem verfolgtem Syrer, der vor einem Folterstaat flieht? Oder einem Iraner, der bei uns Schutz vor der Hinrichtung sucht? Oder einer ukrainischen Frau, die mit ihren Kindern vor Putin und Russlands Bomben flieht?“

Auch Angela Merkels Flüchtlingspolitik von 2015 wird unterschiedlich bewertet

Haßelmann kritisiert Spahn ebenfalls für seine Aussagen. „Ich würde in der Debatte einfach darum bitten, diese Diskussion mit großer Sensibilität zu führen. Und wenn ich sowas höre wie 2015/16, die Entscheidung von Merkel darf sich nicht wiederholen, dann blickt ein großer Teil der Welt und auch Europas anders darauf. Und ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Frau Merkel, weil es ein humanitäres Signal der Verantwortung war, was dieses Land geleistet hat.“

Ferner kritisiert sie, wenn ein Mensch wie Spahn, der in politischer Verantwortung steht, von Kontrollverlust redet. „Ich bitte um Differenziertheit in der Frage, die Situation ist sehr unterschiedlich. Manche Kommunen sind an der Kapazitätsgrenze. Andere sind es nicht. Trotzdem brauchen alle Unterstützung.“ Dafür hätten Bund und Länder Sorge zu tragen.

Die Frage nach Abschiebungen sei nicht entscheidend

Auch Abschiebungen werden in der Sendung zum Thema gemacht. Die Realität zeige, dass viele Menschen trotz fehlenden Bleiberechts nicht abgeschoben würden. Klamroth konfrontiert mehrfach Alaows mit Scholz Aussage, dass wer kein Bleiberecht erhält, Deutschland wieder verlassen müsse und fragt ihn als Sprecher von Pro Asyl, ob er der Aussage zustimme. Dieser beantwortet aber nicht die Frage, sondern führt aus, dass die Debatte um Abschiebungen zu kompliziert für eine pauschale Antwort sei.

Er erzählt vom Fall eines chronisch kranken Mannes, der nicht einmal laufen konnte und trotzdem abgeschoben wurde. Mehr über Abschiebungen zu sprechen würde nicht zu mehr Abschiebungen führen, sondern nur durch erhöhten Drück zu härterem Vorgehen bei diesen führen. Spahn wiederum betont trotz seiner Zustimmung für Scholz Aussage, dass die Debatte nicht über die Frage nach Abschiebungen gelöst werden könne, sondern nur über Verfahren an der EU-Außengrenze.

Unübersichtliche Diskussion nach Jens Spahns Aussage um Asylrecht

Die Diskussion wird unübersichtlich, als Spahn behauptet, wer aus einem sicheren Drittstatt komme, hätte kein Asylrecht und nach Genfer Konvention kein Recht in ein anderes Land weiterzuziehen. Als er von Schayani und Haßelmann zurückgewiesen wird, verweist Spahn auf einen Faktencheck, der laut Klamroth am Mittag des Folgetages kommen soll.

Spahn führt dann aus, die Genfer Konvention hätte ursprünglich nur für Europäer gegolten. Er bezweifelt, ob man sie heute nochmal genau so fassen würde und ob sie so noch funktioniere. Er fände es besser, klare Kontingente zu schaffen und gezielt aus Kriegsgebieten und schwierigen Situation eine vereinbarte Zahl aufnehmen.

„Hart aber fair“ verweist auf das neueste Bootsunglück vor der Küste Italiens

Den neu entflammten Streit darüber, was Spahn damit konkret meint, würgt Klamroth irgendwann ab, indem er sich zu Brigitte Büscher flüchtet. Erst im letzten Drittel der Sendung wird mehr über die Nöte der Geflüchteten gesprochen, etwa am Beispiel eines Flüchtlings aus Eritreia namens Samuel, der mit seiner Familie in Deutschland lebt. Da er sein Visum als Minderjähriger bekam, musste Samuel mit der Volljährigkeit einen Asylantrag stellen. Dieser wurde abgelehnt, obwohl sein Vater, seine Mutter und seine Geschwister hier anerkannt leben dürfen. Nur wegen einer Klage gegen die Ablehnung dürfe er zunächst weiter bleiben, das Ergebnis sei aber noch offen.

Als über die Schrecken der Toten auf dem Mittelmeer gesprochen wird – in einem neuerlichen Bootsunglück vor der Küste Italiens starben zahlreiche Menschen, darunter auch Kinder - rekurriert Spahn auf seine vielfach angesprochene Lösung an den Grenzen. Er verstehe zwar jeden, der ein besseres Leben sucht, das hätte aber auch damit zu tun, dass die EU das falsche Signal sende, nämlich dass Geflüchtete auch über illegale Wege letztlich bleiben dürften. Er plädiert dafür Geflüchtete, die über das Mittelmeer kommen, konsequent zurück an die nordafrikanische Grenze zu bringen.

Tote Flüchtlinge in Mittelmeer: Die beschämende Seite Europas

Diese Abschreckungstaktik beschreiben Klamroth und Alaows beide als pushback. Alaows kritisiert, dass Menschen ohne rechtstaatliches Verfahren zurückzubringen effektiv eine Abschaffung des Rechts auf Asyl wäre. Die Menschen würden dadurch nur noch gefährlichere Wege suchen; das habe man bereits bei Menschen in der Türkei gesehen, die wegen der Blockade dort den Weg über Lybien suchten. Man müsse vielmehr fragen, warum sich die Menschen überhaupt auf dem Weg machen, nämlich wegen menschenunwürdiger Bedingungen.

Angesichts der vielen Tote im Mittelmeer attestiert Haßelmann der EU in eine beschämende Seite. Sie seien bisher nicht in der Lage legale Wege zu schaffen, was Menschen in Gefahr bringe, und es gäbe auch keine staatliche Seenotrettung, was ein schmerzhafter Punkt für Europa sei. Das Schlusswort der Sendung hat Alaows. „Ich bin sehr erstaunt, wie selbstverständlich wir über Schutz von Grenzen sprechen, als hätten wir Grenzenrechte und keine Menschenrechte.“

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