Jan Delay gibt ein Konzert auf dem Bonner Kunstrasen, bei dem nicht nur die markante Sonnenbrille an seine musikalischen Anfänge vor 26 Jahren erinnert. Unsere Kritik.
Jan Delay in BonnEr bringt die Reeperbahn an den Rhein

Jan Delay auf dem Bonner Kunstrasen
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Betont nonchalant tritt Jan Delay am Donnerstagabend vor das Publikum auf dem Bonner Kunstrasen. Weiße Sneaker, weißes Shirt und ein graues Sakko, das er bereits während des ersten Songs lässig auf den Bühnenboden wirft, dazu ein leger-federnder Gang. Die für Delay so markante Sonnenbrille und der Trilby-Hut spenden dem Musiker genug Privatsphäre, um zu kaschieren, dass auch an ihm die Zeit seit seinen Anfangstagen vor 26 Jahren nicht spurlos vorübergegangen ist.
So jugendlich Delays Auftreten in den ersten Sekunden seines Open-Air-Konzerts wirkt, so stark ist der Kontrast, den darauf sein Opener „Hallo!“ erzeugt. Der Song ist nämlich ebenfalls der erste Titel seines „Forever Jan“-Albums, das im vergangenen Mai anlässlich seiner 25-jährigen Karriere erschien. Das Lied nimmt sinnbildlich voraus, was die Zuschauer in den nächsten zwei Stunden erwartet: Anachronistisch erscheinender Hip-Hop, Funk und Soul – mal in Form einer genialen Überlieferung, mal eher überholt wirkend.
Hanseat statt Halbstarker
„Hallo, hallo, hallo, hallo/Alle da, alle ready, es geht los“, ruft Delay mit seiner unverkennbar-nasalen Stimme seinen 8000 Zuhörern gleich zu Beginn entgegen. Diese Hymne über Anfänge, geschrieben und gesungen von einem Musiker, der einen Großteil seines Karriereweges vermutlich bereits gegangen ist, performt er musikalisch tatsächlich mit funkiger Frische. Lyrisch hingegen wirkt der Song spätestens ab dem Vers „Kein Bock auf Schule“ mitunter bizarr. Schließlich hat der 48-Jährige seit gut drei Jahrzehnten keine Schulbank mehr gedrückt.

Jan Delay auf dem Bonner Kunstrasen
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Der untrennbar mit ihm verbundene Hamburger Hip-Hop wirkt da deutlich authentischer. Im Song „Klar“ rappt Delay nicht nur über „verdammt coole Hanseaten“ und seine Liebe zur Alster und Reeperbahn, er vertont auch musikalisch mit seinem Showbusiness-Pop allegorisch eine Nacht in St. Pauli mit bunten Lichterketten und lauten Bässen. Delay bringt die Reeperbahn an den Rhein.
Mit DJs und Bongos
Die Rolle als Repräsentant St. Paulis hat er ihm noch immer verinnerlicht, obwohl Delay mittlerweile wohl als (Zieh)vater des Raps in ganz Hamburg bezeichnet werden muss. Auf der Reeperbahn geben allerdings zweifelsohne andere den Ton an: etwa Bonez MC, GZUZ oder Maxwell. Dennoch hat Delay etwas zu bieten, was der gegenwärtige Sound nicht abdeckt. Sein soulig-, funkig-, mal auch fast jazziger Sound ist im Hip-Hop vielleicht nicht mehr aktuell, bedient aber ein noch immer Hörbedürfnisse der Zuschauer.
So wohnt Delays Sound das charmante Paradoxon einer analogen Synth-Show inne. Einerseits spielt die Band des Hamburgers, die Disko No. 1, allerlei organische Klänge ein, die im modernen Hip-Hop, insbesondere Rap, eine Rarität sind. Auch Delay selber trommelt lässig auf einer hüfthohen Bongo. Andererseits sampelt die Disko No. 1 - ihrem Namen gerecht werdend - einen Disco-Hit nach dem anderen.
Zurück in die 1990er-Jahre
Ob „Pump up the Jam“, „One more Time“ oder „Barbra Streisand“: Spätestens jetzt spielt Delay selber mit der Retro-Stimmung und versetzt die Zuhörer zurück in die 1990er-Jahre. Von Reeperbahn ist da nichts mehr zu hören.
Bevor er den nächsten Song anstimmt, sagt Delay noch immer mit dem Blick zurück: „Erinnerung ist ja immer nur das, was man selbst draus macht.“ Leider misslingt ihm darauf im folgenden, in Ansätzen dem Reggae nachempfundenen Sample von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, aus der Erinnerung etwas zu machen. Konventioneller Gesang ist eben nicht die Stärke des im Sprechgesang zu verortenden Delay.
Zwischen Blasphemie und Himmelsgeschenk
Auch ein Sample von „Still D.R.E.“ ist da nicht besser. Seine „Ahnma“-Lines „Alle sind happy, denn der Testsieger rappt wieder“ oder „Schreib' Gedichte, schreib' damit Geschichte/Jeder, der mich disste, ist bereits Geschichte“ auf den legendären Beat von Dr. Dre zu rappen ist Blasphemie. Nicht mehr, nicht weniger.
Ohne jedwede Diskussion funktioniert dafür „Oh Jonny“ – und wird das vermutlich auch bis in alle Ewigkeit. Perfekt zueinander passen die groovig-spielerische Melodie, Delays trotzig-provokantes Auftreten und Verse wie „Ey gib ′n Fick, Alder, mach Geld/Klau Ideen, piss im stehen, trag Pelz/Nenn meine Mudder eine miese Schlampe/Besitze keine Energiesparlampe“. Die Mischung aus Coolness und scharfsinniger Kritik an einem egozentrisch-narzisstischen Lebensstil ist und bleibt zeitlos.