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Kölner AusstellungWas August Sander mit Teenager-Angst verbindet

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Judith Joy Ross: Polizist / Policeman

Köln – Schleicht man an dieser ehrfurchtsgebietenden Wand mit August Sanders „Menschen des 20. Jahrhunderts“ vorbei, kommt man beinahe unweigerlich auf ketzerische Gedanken. Wie konnte, fragt man sich, aus dem besseren Hobby eines Kölner Fotoatelier-Betreibers bloß ein Meilenstein der modernen Kunstgeschichte werden? Sander nahm Hunderte Porträts von Menschen auf, immer in der gleichen Machart, um sie nach gesellschaftlichen Gruppen in Mappen zu sortieren und daraus ein „Antlitz der Zeit“ zu schaffen. Heute ist jede einzelne Aufnahme eine Ikone, auch wenn sie nur einen kahlen Dummkopf zeigt und Sander in seiner Typologie der modernen Gesellschaft ausgerechnet das wachsende Heer der Angestellten mehr oder weniger vergaß.

August Sander ist der Säulenheilige der Sammlung

Es versteht sich beinahe von selbst, dass man mit solchen Einwänden in der Photographischen Sammlung der Kölner Stiftung Kultur nicht sehr weit kommt. Hier hüten sie Sanders Erbe seit Jahrzehnten und mehren nach Kräften seinen Ruhm, und falls jemand glauben sollte, er kenne ihren Sander zur Genüge, dann zaubern sie halt ein Bauernpärchen aus dem Mappenhut, das man noch nicht gesehen hatte und nun wohl auch nicht mehr vergessen wird. Bei Sander sahen eben selbst rundliche Bäcker wie Würdenträger aus, einfach weil es Menschen waren, die ihr alltägliches Leben zu meistern schienen. Sie sind jeweils Stellvertreter ihrer Gruppe, aber zugleich auch von uns allen.

Aber das wäre nur die halbe Wahrheit über die Ausstellung, in der die Photographische Sammlung jetzt einen schmalen Streifen ihrer rund 40.000 Aufnahmen präsentiert. Vor 25 Jahren fing hier alles an, natürlich mit einer vergleichenden Sander-Ausstellung, an der damals auch schon Bernd und Hilla Becher, die anderen Säulenheiligen der sachlichen Fotografiegeschichte, beteiligt waren. Seitdem haben die Kuratorinnen mehr als genug Beispiele dafür gesammelt, dass die Lehren des alten Sander bis heute aufs Schönste weiterleben und florieren.

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In der ersten von zwei Sammlungspräsentationen geht es um mehr oder weniger klassische Sander-Themen: Porträt, Landschaft und Botanik. Den Löwenanteil beanspruchen die Porträts, bei denen es auch dann gehörig sandert, wenn sie in Farbe und von zeitgenössischen Fotografen sind. So posieren die Kinder, die Bernhard Fuchs auf Spielplätzen oder Sandwegen ablichtet, als hätten sie im „Antlitz der Zeit“ wie in einem Bilderbuch geblättert, und bei Antanas Sutkus scheinen drei Jugendliche den Fotografen damit foppen zu wollen, dass sie spielerisch die berühmten „Jungbauern“ nachstellen. Ohnehin gibt es viele Bauern in der Ausstellung, knorrige bei Francesco Neri oder aufgelockerte bei Martin Rosswog. Gleich daneben hängen Ursula Böhmers Kuhporträts aus ganz Europa – wer sagt denn, dass sachliche Reihenfotografien keine ungewohnten Nebenwirkungen haben können?

Den „Menschen des 20. Jahrhunderts“ gegenüber zeigen die Kuratorinnen Hans Eijkelbooms „Ode an August Sander“, wie zum Beweis dafür, dass man über Sander spotten, ihm aber nicht entgehen kann. Für seine Ode lud Eijkelboom Passanten ein, den Rest der Menschheit in vier Kategorien ihrer Wahl einzuteilen und anschließend mit ihm in Einkaufsstraßen auf Fotosafari nach passenden Exemplaren zu gehen. Die daraus resultierenden Fototableaus zeigen vor allem, wie subjektiv bis absurd die Suche nach menschlichen Typologien ist.

Trotzdem führt Sanders quasi-wissenschaftliche Methode, gesellschaftlich „verwandte“ Menschen in vergleichbaren Arrangements abzulichten, immer noch zu wunderbaren Feldstudien. Etwa bei Oliver Sieber, der in Tokio reihenweise erschöpfte Besucher von Musikkonzerten vor neutralem Hintergrund aufnahm, oder bei Jerry L. Thompson, der in einer Serie großformatiger Porträts die Verletzlichkeit hinter der Selbstinszenierung von Teenagern beschwört. Größere konzeptionelle Freiheiten gönnt sich dagegen Andreas Mader, schon weil er seine Langzeitbeobachtung von Pärchen und deren Kindern im eigenen Freundeskreis vornimmt. Aber auch hier läuft ein Spaziergang im Schnee scheinbar unweigerlich auf eine klassische Sander-Positur hinaus.

Landschaften und Botanik sind in der Ausstellung eher Zugaben, aber immerhin prominente. Insbesondere das weite Feld der Pflanzenfotografie wird von Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch und Simone Nieweg würdig vertreten, und selbst ein Stadtmensch wie Eugène Atget steuert einige Naturmotive bei. August Sander ging ebenfalls gern in die Rabatten. Gemessen an seinem Menschenwerk fiel die Ernte gleichwohl etwas dürftig aus.

„Photographische Konzepte und Kostbarkeiten. Sammlungspräsentation Teil 1: Porträt, Landschaft, Botanik“, Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln, täglich außer mittwochs 14-19 Uhr, 11. Februar bis 10. Juli.

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