Anton Legner wird 95Wer Gottes Werk studiert, macht sich besser mit dem Teufel vertraut

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Anton Legner sitzt an seinem Schreibtisch.

Anton Legner während seiner Zeit als Direktor des Museums Schnütgen in Köln

Als Direktor des Museums Schnütgen lockte Anton Legner Hunderttausende nach Köln und änderte unser Bild des Mittelalters. Zu seinem 95. Geburtstag sind seine Lebenserinnerungen erschienen.

Als das Mittelalter für die meisten Menschen noch finster war, sprach Anton Legner lieber von einer strahlenden alten Zeit. Und er brachte Licht ins historische Dunkel, klärte mit Ausstellungen, die Hunderttausende nach Köln lockten, über ein Mittelalter auf, von dem man sich keine oder eine in Düsternis gefärbte Vorstellung gemacht hatte. Ausgerechnet in den politisierten 1970er Jahren feierte Legner als Direktor des Museums Schnütgen mit einem Mittelalterbild Erfolge, das es gegen die moderne Entzauberung der Welt zu verteidigen galt.

Anton Legners epochale Ausstellungen „Rhein und Maas“ oder zur Künstlerfamilie der Parler waren ein wissenschaftlich fundierter Abwehrzauber, dessen Wurzeln, so legen es jedenfalls seine im Greven Verlag erscheinenden Lebenserinnerungen nahe, nicht zuletzt im großmütterlichen Aberglauben zu suchen sind. An der Seite dieser ebenso gottes- wie teufelsfürchtigen Frau besuchte der junge Legner die Kirchen seiner Heimatstadt Prag und entdeckte eine hohe religiöse Kunst, die durch Legenden zusätzlich magisch aufgeladen war. Die Diebeshand, die beim Griff nach dem Geschmeide der Muttergottes verdorrte, hätte er sicherlich gerne nach Köln ausgeliehen. Stattdessen begnügte er sich mit dem Codex Gigas, der mit höllischer Hilfe verfassten und später aus Böhmen nach Schweden entführten Satansbibel. Wer Gottes Werk studiert, macht sich besser auch mit des Teufels Beitrag daran vertraut. 

Anton Legner war in den Museumswelt berühmt und in der Verwaltung berüchtigt

„Eigentlich wollte ich Zirkusdirektor werden“, schreibt der bald 95-jährige Legner in seinen anekdotischen, meistens heiteren und höchst vergnüglichen Memoiren. Als sich ein Schimpanse, den er offenbar nicht schnell genug mit frischen Bananen versorgte, an seinem Halsbinder vergriff, geriet dieser Berufswunsch jedoch ins Hintertreffen. Legner exilierte in die Gelehrtenrepublik, in der man aber, gerade in Köln, auch ein wenig als Zirkusdirektor zu gelten hat. Als der strenge Winter 1978/79 die Parler-Ausstellung zu sabotieren drohte, musste Kulturdezernent Kurt Hackenberg, so Legner, „bei den Verwaltungsbehörden um Milde bitten für einen Kunsthistoriker, der sich bei Finanzvorschriften nicht so recht auskannte“. Oft denke er an Hackenbergs Worte zurück: „Ich komm’ ins Zuchthaus, und Sie schick’ ich zum Amtsarzt.“

So weit kam es dann aber nicht. Stattdessen hatte der Winter ein Einsehen mit Legners teuren und mitunter hochpolitischen Leihgeschäften; für diese war der Schnütgen-Direktor in der Museumswelt berühmt und in der Kölner Verwaltung offenbar berüchtigt. Manchmal war höherer Beistand vonnöten („Ich zündete in der dortigen Kathedrale Notre Dame eine Kerze an und bat inständig so lange, bis wir eine Verlängerung der Leihfrist erreichten“), manchmal galt es Reisen hinter den eisernen Vorhang anzutreten. Als Legner im Dankeswort eines Katalogs versehentlich den „Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland“ kurzerhand zum „Botschafter“ beförderte, musste Hackenberg abermals für seinen Direktor um Milde bitten. „Der Titel Botschafter freute hingegen die Ständige Vertretung in Bonn, die mir zu Weihnachten Dresdner Stollen schicken ließ.“

Ich komm’ ins Zuchthaus, und Sie schick’ ich zum Amtsarzt
Kurt Hackenberg

Am 28. August feiert Anton Legner in Köln seinen 95. Geburtstag, da sieht man einige Dinge gelassener, um nicht zu sagen aus einer beinahe schelmischen Perspektive. So empfiehlt uns Legner etwa den Besuch eines Restaurants, dessen Wirt beim Lebewohl stets meinte: „Jetzt langt’s aba aa!“, und mit geradezu diebischer Freude erzählt er davon, wie er einer aufgebrachten Studentenschaft empfahl, sich „vom Kamm des heiligen Heribert ihre Gedanken ordnen zu lassen“. Unter Kollegen, schreibt Legner, galt er damals in den 1970er Jahren als „Relikt einer idealistischen Erlebnisästhetik“. Für ihn sind dies alte Kämpfe, die ihre Berechtigung hatten, aber vor der Aura sakraler Gegenstände verblassen.

Man könnte geradezu neidisch werden angesichts dieses erfüllten Gelehrtenlebens, das freilich auch düstere Seiten kannte. In knappen, eindringlichen Worten schildert Legner das Kriegsende, das er, im Alter von 16 Jahren, als Teil des „Volkssturms“ erlebte und dessen Wirren er aus höchster Not entkam. „Die Schlacht an der Saale war vorbei, ehe sie überhaupt begonnen hatte. Mir war befohlen worden, vom Berg ins Tal zu rufen ‚Panzer aus Frauenprießnitz‘, sobald diese erschienen. Als sie kamen, war die Schlacht schnell beendet, und ich legte meine Panzerfaust am Straßenrand ab, mit einem Zettel, auf den ich schrieb: Achtung, nicht entsichert!“ Auf dem Heimweg geriet Legner „in die Hände derer, die Rache üben wollten und an den Bäumen aufhängten, wen immer sie erwischen konnten. Auch mir hatten sie die Stiefel bereits ausgezogen, da entrissen mich amerikanische Panzersoldaten dem schon sicheren Tod“.

Kein Wunder, dass Legner nach diesen finsteren Zeiten das Mittelalter umso strahlender erschien. Sein Bildungsweg führte ihn über Freiburg, wo er promoviert wurde, und dem Frankfurter Liebighaus nach Köln, wo er von 1970 bis 1990 das Museum Schnütgen leitete. Im Ruhestand widmete er sich weiterhin der Rehabilitation des Mittelalters und widerlegte in Büchern wie „Artifex“ lieb gewonnene Irrtümer wie jene, die künstlerische Selbstdarstellung sei eine Erfindung der Renaissance. Seine Erinnerungen sind nun der abschließende Beweis dafür, dass über dem Mittelalter (und der Beschäftigung mit ihm) ein ferner, aber weiterhin mächtiger Zauber liegt.

Anton Legner: „Von Prag nach Köln. Bilderbuch der Erinnerungen“, 128 Seiten, 43 Abbildungen, Greven Verlag, 22 Euro.

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