Museum SchnütgenIn Köln fand Sprayer Harald Naegeli den Tod

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Harald Naegeli neben eigener Sprayfigur, Köln, Enggasse, um 1983

Köln – Als der Street-Art-Künstler Banksy klein war, träumte er vielleicht davon, einmal so berüchtigt zu werden wie der Zürcher Sprayer Harald Naegeli. Im Schutze der Nacht hatte dieser die eidgenössischen Mauern mit weit über tausend Strichfiguren überzogen und die braven Bürger „mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit“ in ihrem Glauben an die allgemeine Rechtsordnung und die Unverletzlichkeit des Eigentums erschüttert. So urteilte 1981 ein Zürcher Richter, und vermutlich hätte kein noch so wohlwollender Kunstkritiker Naegeli eine größere Freude bereiten können. Kunst ist gefährlich, Kunst bringt das Kapital ins Wanken – wer hätte das gedacht?

In Köln ließ Harald Naegeli erstmals die Toten tanzen

Nachdem Naegeli in seiner Heimat aktenkundig geworden war, verlegte er seine umstürzlerische Verschönerung von Betonwänden ins Ausland. Über Umwege kam er nach Köln, wo ihn das reiche mittelalterliche Erbe (oder der morbide Charme der Stadt) dazu inspirierte, seine markanten Strichfiguren in Abbilder des Todes zu verwandeln. Mehrere Hundert illegale Knochenmänner tanzten Anfang der 1980er Jahren durch Köln, im Kunstverein würdigte man Naegelis „andere Malerei“ und Anton Legner, damaliger Direktor des Museum Schnütgen für mittelalterliche Kunst, ließ ein Tödlein an eine Wand von St. Cäcilien sprühen. Heimisch wurde Naegeli trotzdem nicht. Er zog nach Düsseldorf, und sein Reigen tanzender Todesfiguren wurde durch städtische Reinigungskommandos auf ein Trio zusammengeschrubbt.

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Aber die Verbindung zum Museum Schnütgen blieb erhalten. 2018 überließ Naegeli dem Haus 102 Zeichnungen und Radierungen, gleichsam als Abschiedsgeschenk – nach einer schweren Krankheit zog es den verurteilten Sprayer in seine Heimatstadt Zürich zurück. Eine Auswahl dieser Schenkung zeigt das Schnütgen jetzt inmitten seiner ständigen Sammlungspräsentation, neben kunstvollen Christusbildern und Heiligenfiguren, was die Kuratorinnen allerdings nicht in Argumentationsnöte stürzt. Naegelis Todesthema zieht sich selbstredend auch durch die mittelalterliche Kunst, und sein Handwerk verstand der Sprayer nicht weniger als die alten Meister.

„Harald Naegeli in Köln“ ist die erste Ausstellung des Schnütgen zur modernen Kunst seit 1997; damals würdigte das Haus einen anderen Unruhestifter, Joseph Beuys. Als Entree sind dokumentarische Aufnahmen von Naegelis illegalen Straßenwerken zu sehen und ein Video der Pressekonferenz im Kunstverein mit dem dadaistisch vermummten Künstler. Es folgen Zeichnungen und Radierungen, in den Naegeli mittelalterliche Sterblichkeitsmotive aufgreift (ein Christus am Kreuz, der Tod und das Mädchen) und schließlich, als Leihgaben des Künstlers, die großformatigen Werkgruppen „Apokalypse“ und „Urwolke“.

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Harald Naegeli, Blatt Nr. 9 aus der Bildserie Apokalypse, 2018–2020, 

Diese Zyklen sind der Kern der Ausstellung – und zwei Seiten einer Medaille. Die Bilder der „Urwolke“ bestehen aus kleinen Strichen, die sich wie Insektenschwärme in der Luft zusammenballen, ein endloses Ganzes bilden und zugleich das Vergehen der Zeit festhalten; auf der Rückseite hat Naegeli jeweils die Entstehungszeit notiert. Die zwischen 2018 und 2020 entstandene „Apokalypse“ bietet ein im Wortsinn heilloses Durcheinander, mit teuflischen Figuren, fiesen Krabbeltieren, Gerippen und Gebeinen und jenen Wolken als Hintergrund, die per Naegelis Definition kein Ende kennen. Sind wir also verdammt, auf ewig durch die Hölle auf Erden zu gehen? Wenn man Naegelis Totenfiguren als mittelalterliche Mahner nimmt, klingt das wie ein „Hättet ihr mal auf mich gehört!“.

Allerdings ist Harald Naegeli niemand, der gerne Menschen quält, und sei es durch Vanitas-Motive. Seine Knochenmänner schwingen nicht die Sichel, sondern das Tanzbein, sie drohen nicht mit Höllenqualen, sondern erinnern uns lustvoll daran, dass es keinen Sinn hat, sich hinter Betonmauern zu verschanzen. Am Ende findet der Tod uns doch. Halb so schlimm, sagen die Heiligen im Schnütgen. Es ist schließlich nicht das Leben, das die Ewigkeit verheißt.

„Harald Naegeli in Köln – Sprayer und Zeichner“, Museum Schnütgen, Cäcilienstr. 29-33, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, 9. März bis 12. Juni, Katalog: 18 Euro.

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