Kölner Literaturfestival PoeticaAls Patti Smith von Bob Dylans Schlange träumte

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Patti Smith steht mit ausgestreckten Händen vor einem Mikrofonständer und trägt ein Gedicht vor.

Patti Smith auf der dem Kölner Literaturfestival Poetica

Die Dichterin und Punk-Ikone Patti Smith trat vor vollbesetztem Saal an der Kölner Uni auf. Und ließ den Moderator mittendrin allein auf der Bühne sitzen.

„Mein verstorbener Mann Fred „Sonic“ Smith“, erzählt Patti Smith in der Aula I im Hauptgebäude der Uni Köln, „hatte ein wahres revolutionäres Herz.“ Eines Tages, so Smith, spazierte er in die Küche und deklamierte: „People have the power, schreib das!“ Doch der New Yorker Punk-Legende stand gerade nicht der Sinn nach hehren Parolen. Sie war mit ihrer Tochter schwanger und schälte schlecht gelaunt Kartoffeln. „Also warf ich eine Kartoffel nach ihm. Er fing sie auf. Und ich schrieb den Song.“

Ihre Hymne an die Macht der Menge hatte Smith schon am Vorabend zur Eröffnung der Poetica vorgetragen, mit Unterstützung eines Chors. Das von der Kölner Universität veranstaltete Weltliteraturfestival widmet sich in seiner achten Ausgabe dem „chorischen Ich“, also Dichtern, die im Namen von Vielen sprechen. Als anmaßendes Rollenspiel, um für die Stimmlosen zu sprechen, oder weil man selbst in sich Scharen enthält.

Als Patti Smith von Bob Dylans klappernder Schlange träumte

Mit dem Walt-Whitman-Zitat „I contain multitudes“ ist denn auch der Abend mit Patti Smith überschrieben und natürlich macht die singende Dichterin den Moderator Christian Filips sofort darauf aufmerksam, dass es nun auch ein Bob-Dylan-Zitat sei, nachdem der nölende Barde damit einen seiner letzten Songs betitelt hat. „Aber wir klauen ja alle.“

Dann berichtet Smith, wie sie an einem Morgen des Jahres 1972 neben ihrem damaligen Boyfriend Sam Shepard im Hotel Chelsea aufwachte und sie beide im Schlaf von Bob Dylan heimgesucht worden waren. „Ich weiß ja nicht, wovon Sam geträumt hat“, scherzt Smith. Sie jedenfalls formte ihren Dylan-Traum zu einem kleinen, hübsch schmutzigen Gedicht, „Dog Dream“, in dem sie unter anderem von „Dylans Schlange“ fantasiert, „sie klappert wie ein Spielzeug“.

Weil es kommt, wie es kommen muss, schaut Bob Dylan just an dem Abend vorbei, als sie „Dog Dream“ zum ersten Mal öffentlich vortrug. Und begegnete ihr auch am nächsten Tag auf der Straße, mit einer Nachfrage zum gestrigen Abend.

Ode an Sam Shepard, mithilfe der Brüder Grimm

Ihr erstes Gedicht hatte sie über Shepard geschrieben, den autoverrückten Bad Boy: „Kotflügel, heiß wie Engel, loderten in mir.“ Er war ein böser Junge auf eine gute Art, erinnert sich Smith. Sie blieben Freunde bis zu seinem Tod. Dann freut sie sich, weil Filips in 50 Jahren der erste sei, der die Anspielung auf das Märchen „Von dem Machandelboom“ der Brüder Grimm im Gedicht erkannt hätte. „Ich liebe Märchen.“

Ihr geheimer Boyfriend aber sei immer Arthur Rimbaud gewesen. Sie hat sogar das Anwesen in den Ardennen gekauft, in dem der französische Dichter seinen berühmten Band „Une saison en enfer“ geschrieben hatte. Demnächst wolle sie es zu einer Schriftstellerwohnung ausbauen, um den Geist Rimbauds mit anderen Dichtern zu teilen.

„Warum schreiben wir?“, hatte Christian Filips eingangs Smith zitiert. Die Antwort: „Weil wir nicht einfach nur leben können.“ Immerzu müsse sie beobachten und ihre Beobachtungen notieren, sagt Smith. Das hebe einen leider immer von der Menge ab. Wie Picasso, der beim Essen seinen Fisch filetierte, die Gräte betrachtete, mit ihr in sein Studio geht und sie in feuchten Ton presst. „Als er wieder an den Tisch kam, war sein Essen kalt.“

76 Jahre alt, aber quirlig wie ein junges Mädchen

Aber vielleicht ist Dichtung ja Leben. Jedenfalls erscheint Patti Smith – 76 Jahre alt, aber quirlig wie ein junges Mädchen – an diesem Abend wie ein lebendes Gedicht. Wie sie mit dem Mikrofon kämpft und mit der ausgeliehenen Gitarre. Wie sie vom Sessel zum Standmikrofon huscht, das Publikum im vollbesetzten Vorlesungssaal mit Schalk in den Augen anfunkelt. Einmal lässt sie den armen Moderator allein auf der Bühne zurück. Es tue ihr ja leid, aber sie müsste jetzt mal dringend pinkeln.

Filips macht das Beste daraus, trägt eine eigene Übersetzung vor, bittet Brigitte Jakobeit, Smiths eigentliche Übersetzerin, aus dem Auditorium zum Kurzgespräch, bis die Dichterin verlegen lachend auf die Bühne zurückkehrt.

Zu Beginn hatte sie ihr frühes Werk „Piss Factory“ stehend vorgetragen und wirkte dabei, als durchrüttelte die Erinnerung an die Fließbandarbeit, zu der sie sich mit 16 verdingen musste, noch einmal ihren Körper. Die Sehnsucht, die sie vor den anderen Frauen verbergen musste, die sture Überzeugung: „Ich werde jemand sein, ich steig in den Zug nach New York/ Ich werds euch zeigen, ich werde ein Star, ich komm nie zurück/ Ich komm nie zurück in diese Pissfabrik.“

Damals, sagt Smith, war sie eben noch sehr jung, wollte anders sein als ihre perspektivlosen Kolleginnen. Heute könne sie sich noch gut an sie erinnern – eine trug den unwahrscheinlichen Namen Stella Dragon – und hätte mehr Mitgefühl mit ihnen.

Zum Ende steht sie wieder und singt gemeinsam mit dem Publikum ihren bekanntesten Song, den sie (zusammen mit Bruce Springsteen) für ihren späteren Ehemann geschrieben hatte: „Because the Night“. Die Nacht gehört, den Text kennen hier alle, der Liebe. Jetzt bildet die ganze Aula ein chorisches Ich. Patti Smith stehen Tränen in den Augen. „Vergesst es nicht“, lautet ihr letzter Rat, „gebraucht Eure Stimme.“

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