Eindrucksvolles Kölner MusiktheaterPietà mit Zombiehasen und Zigaretten

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Der Täbuling und da Carin im ORBIT Festival

Der Täbuling und da Carin im ORBIT Festival

Im Kölner Festival für aktuelles Musiktheater ORBIT gab es Performances und Konzerte mitten in der Stadt.

Eindrucksvolles Musiktheater erlebt man manchmal gerade dort, wo man es am wenigsten erwartet – und auch umgekehrt. Im Club 674FM am Ubierring kündigt zu später Stunde „Der Täubling“ unter zombiehafter Hasenmaske und heftigem Würgen sein Programm an: „Das nächste Lied… uarrgh … ist ein Liebeslied auf Jean-Baptiste“. Damit das, was von Herzen kommt, auch wirklich zu Herzen geht, tackert sich der Sänger und Keyborder eine zerrupfte Rose auf die nackte Brust. Dem Schmerzensmann assistiert die Pietà-Gestalt „Das Carin“ mit reichlich Zigaretten, Alkohol und leidverzerrtem Gesicht. Doch im nächsten Moment schleudert die bizarre Marienerscheinung Zitronen als Abendmahl ins Publikum und leckt lustvoll am entkleideten Mann.

Kölner Festival für aktuelles Musiktheater

2022 hatte die erste Ausgabe des Kölner Festivals für aktuelles Musiktheater SPARKS ausschließlich Uraufführungen präsentiert. Veranstaltet von ON Cologne mit Hilfe des Produktionsbüros littlebit bot die zweite Edition jetzt unter neuem Namen ORBIT acht Wiederaufführungen von Projekten, die bereits andernorts Premiere hatten. Die Leiterinnen Christina C. Messner und Sandra Reitmayer plädieren damit für Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb und hinterfragen die bestehende Förderpolitik, primär Uraufführungen zu finanzieren. Sie vernetzen Akteure und kooperieren mit dem Hamburger Festival Stimme X bei Workshops, Masterclasses, Vorträgen und dem Symposion „Hoch-Sub-Indie“. Vor allem aber möchte ORBIT das zeitgenössische Musiktheaterschaffen in verschiedenen Spielarten präsentieren: multimedial, interdisziplinär, ortsspezifisch sowie ästhetisch und gesellschaftspolitisch aktuell.

Die „home opera #1“ von Komponist Michael Maierhof und Installationskünstler Steffen Pohl führte bei fünf Aufführungen jeweils fünfzehn Besuchende in einen Hinterhof wie an einen Tatort mit Polizeiabsperrung und Forensikern. Daniel Gloger als Leiche erhebt sich jedoch, um während seiner letzten halben Stunde vor dem fiktiven Verbluten in eine mikrofonierte Pistole zu singen, keuchen, pusten.

ORBIT mit Konzert auf dem Ebertplatz

Dabei schminkt ihm eine Visagistin immer mehr Leichenblässe, Furchen und Augenringe ins Gesicht und beziehen Audio- und Videozuspielungen das Geschehen auf den Gangsterfilm „Cold Sweat“ (Kalter Schweiß). Mitten auf dem Ebertplatz hätte man ortsspezifisches Musiktheater erwartet, doch blieben Hannes Seidls „Songs in a Public Surrounding“ mit dem Ensemble MAM statisch und – von Kostümen abgesehen – rein konzertant. Lediglich theatrale Spurenelemente enthielt auch das Konzert des Ensembles ColLAB Cologne der Musikhochschule.

Umso packender performte Frauke Aulbert ihr ironisches „Voice Lab“ über internettypische Sprech- und Verhaltensweisen. Die Vokalistin tritt als sie selbst auf und zugleich in Jakob Baeckhs Szenerie „Musi Terror TV“ mit unterschiedlichen Outfits als Comedian und Influencerin. In Selfies und Tutorials demonstriert die Sängerin Lockerungsübungen und verschiedene Stimmtechniken: Knattern, Kreischen, Fiepen, Stottern, Jodeln, Obertongesang und das ewige Fishing for Clicks and Likes.

Auf ganz andere Art ebenso ausdrucksstark agierte die taube Schauspielerin Athena Lange bei „A Singthing“ des inklusiven Kollektivs „[in]operabilities“ im Staatenhaus. Die Kooperation mit der Oper Köln richtete sich mittels Gebärdensprache, Gesten, Erschütterungen und Vibrationen vornehmlich an blinde und taube Menschen, wurde aber auch für alle anderen zu einem physisch und emotional bewegenden Ereignis.

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