Opernpremiere in KölnHeftige Wallungen und das drei Stunden lang

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Emily Hindrichs 

Köln – Das Schöne am Ausweichquartier der Oper Köln ist, dass das Staatenhaus immer wieder mit wechselnden Aufstellungen von Bühne und Orchester überrascht. Bei Johannes Eraths Neuinszenierung von Kaija Saariahos „Lʼamour de loin“ (Die Liebe aus der Ferne) im Bühnenbild von Bernhard Hammer drängt sich das Orchester als wogende Klangmasse zwischen zwei getrennte Bühnen.

Links befindet sich ein klaustrophobisch geschlossener Würfel, in dem der aquitanische Prinz Jaufré wie ein gefangener Panther rastlos umherläuft und der Enge und Leere seines Lebens durch Fantasien entflieht. Jenseits der vereinzelt aufglühenden, ansonsten jedoch überwiegend grauen Klangmasse, befindet sich die tunesische Gräfin Clémence auf einer von stilisierten Wüstendünen gewellten Rotationsbühne.

Zwischen dem französischen Troubadour und dem Frauenideal im fernen Tripolis wogt das Orchester unter Leitung von Constantin Trinks wie das Mittelmeer. Über langsam an- und abschwellenden Wellen kräuseln sich kleine Figuren, Triller, Arabesken. Der Klangkörper versinnlicht die Trennung der Liebenden und ist zugleich Projektionsfläche für die Sehnsüchte des Dichters sowie Seismograph seiner zunehmend wahnhaften Autosuggestionen.

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Für den Sänger funkelt das Meer wie die blitzenden Augen der ersehnten Frau, deren zarte Hände er als fließendes Wasser besingt und deren Lippen dem dürstenden Verliebten wie eine frische Quelle erscheinen. Richtungslos kreisende Pendelfiguren sowie manisch wiederkehrende Motive und einlullende Arpeggien verbreiten eine statuarische, überwiegend dunkle, lethargische, gar depressive Atmosphäre wie in den düsteren und unendlich langsamen Filmen von Andrei Tarkowski.

In Salzburg uraufgeführt

Die bei den Salzburger Festspielen 2000 uraufgeführte erste Oper Saariahos ist ein Kammerspiel mit nur drei Figuren. Holger Falk als Troubadour, Emily Hindrichs als Clémence und Adriana Bastidas-Gamboa als zwischen den Welten kreuzender Pilger sind großartig und wurden vom Premierenpublikum gebührend gefeiert.

Die karge Handlung beleuchtet verschiedene Funktionen von Kunst und Musik wahlweise als utopischer Gegenentwurf zur Wirklichkeit, als Spiegelbild des Lebens, als verbindende Kraft zwischen Menschen, oder als illusionäre Traumsphäre und Weltflucht. Das macht „Lʼamour de loin“ auch zu einer Allegorie des Selbstdarstellungs-, Kommunikations- und Wahrnehmungsverhaltens im Zeitalter digitaler und sozialer Medien.

Finnische Komponistin

Die Musik der 1952 geborenen finnischen Komponistin entfaltet maritime Weiten und Längen, so dass die Aufführung mit einer Pause fast drei Stunden dauert. Nur selten wird die Musik dramatisch und beredt. Als der Poet erstmalig den Namen der Geliebten vernimmt, steigen weiche Skalen immer höher in glockenhell verzückte Spitzenlagen. Als er erfährt, dass der Pilger der Angebeteten seine Lieder vorgesungen und von ihm erzählt habe, gerät das Orchester in heftige Wallungen. Zu Versen auf das ferne Minneideal erklingen Anleihen bei modalen Melodien des 12. Jahrhunderts sowie altertümliche Bordunquinten, lange Orgelpunkte oder mittelalterliche Tanzsätze.

Die Projektionskammer des Dichters füllt Bibi Abel mit faszinierenden Videos in melancholischem Schwarz-Weiß. Man sieht funkelnde Wasserflächen, ruhig an- und ablaufende Wellen, zu- und abnehmende Monde sowie die beiden Liebenden unter Wasser, als würden sie in ihren Traumvisionen ertrinken.

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Aus der lähmenden Hypnose reißen unvermutet massige Tutti-Blöcke, als bräche schockhaft die Wirklichkeit ein. Und inmitten der Fiktionen zucken plötzlich Lichtblitze durch den Zuschauerraum wie erhellende Zweifel. Während schwebende Chorgesänge und im Saal kreisende elektronische Zuspielungen Realität und Irrealität verschmelzen, künden unheilvoll pochende Paukenschläge von der drohenden Kollision von Dichtung und Wahrheit. Doch alles Wachrütteln ist zwecklos.

Das Geschehen eskaliert, als sich der Minnesänger nicht mehr mit Dichtung zufrieden gibt, sondern die besungene Geliebte wirklich aufsucht. Kunst soll Leben werden, Lyrik leibhaftige Leidenschaft. Das Überschreiten dieser Schwelle führt zur Katastrophe. Bevor Poesie und Wirklichkeit einander treffen, stirbt der Dichter. Die zurückbleibende Dame verstreut am Ende seine Asche in eben jenem wühlenden Traummeer, dem alle Fantasiegebilde entstiegen. Liebeslyrik erfüllt sich im Liebestod.

Immerhin konnte der Dichter seine letzten Worte noch der Geliebten in den Mund legen, so dass sie wie er zu sprechen beginnt. Zum Schluss spiegelt sich die rechte Bühne im linken Videobild. Die mediale Brücke verbindet beide Welten. Der autopoietische Kreislauf von Kunst und Leben hat sich geschlossen. Oder vielleicht geöffnet?

Weitere Aufführungen am 29. und 31. Oktober sowie am 6., 11. und 13. November

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