Saisonstart der Kölner Oper begeistert"Die tote Stadt": Düster und faszinierend

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Düstere Bilder in der Kölner Oper 

Düstere Bilder in der Kölner Oper 

Köln – Die Kreisstruktur dieser Oper hypnotisiert wie eine beharrlich rotierende Spirale. Nach und nach wird man in Bann gezogen und kann schließlich Anfang und Ende nicht mehr auseinanderhalten. Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Wirklichkeit überschreiben sich wechselseitig.

Hat sich wirklich alles gerade so ereignet? Oder wiederholt sich das Geschehen bloß auf fatale Weise? War vielleicht alles nur eben jene Erinnerung, die phantomhaft das Bewusstsein gefangen hält und obsessiv zur Wiederholung zwingt?

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Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ wurde 1920 in Köln und Hamburg uraufgeführt. Zum hundertsten Jubiläum des damals gefeierten und vielerorts nachgespielten Jugendwerks des Wiener Komponisten präsentierte die Oper Köln 2020 eine Neuproduktion, die jedoch wegen Corona nur online gezeigt werden konnte.

Eine fesselnde Erfahrung

Zur Eröffnung der aktuellen Spielzeit ließen sich die hervorragenden Sängerinnen und Sänger sowie das mit Richard Strauss’scher Überfülle besetzte Gürzenich-Orchester unter Leitung von Gabriel Feltz nun endlich wieder in lebendiger Körper- und Räumlichkeit erleben. Eine in jeglicher Hinsicht fesselnde Erfahrung!

Die Verstrickung in verklärter Vergangenheit findet in Tatjana Gürbacas Inszenierung und Stefan Heynes Bühnenbild ein treffendes Sinnbild. Ähnlich Edward Hoppers berühmtem Bild „Nighthawks“ sitzen einsame Gestalten auf Hockern einer kreisrunden Bar. Äußerlich stumm vor sich hin starrend, hängen sie ihren inneren Fantasien, Gedanken, Erinnerungen, Gefühlen nach.

Auf der durch den Tresen eingefassten Zentralbühne ist es der Witwer Paul, der sich in seiner Wohnung gegen die Außenwelt hinter schwarzen Vorhängen abschottet, die zugleich wie bei historischen Panoramen als Projektionsfläche für Erinnerungen an seine verstorbene Frau dienen. Sein psychotischer Totenkult und Fetischismus schließt sich zu einer „Kirche des Gewesenen“ zusammen, die nur um sich selbst kreist.

Anstelle der ekstatisch beschworenen toten Marie erscheint dann plötzlich jedoch Marietta, eine Tänzerin von sprühender Lebenslust. Der Einbruch der erotisch reizvollen Gegenwart bringt Risse in die morbide Weltflucht. In das ausgestorbene Brügge kehrt unversehens Leben. Eine Truppe von Schauspielern lässt die Tragödie zur Komödie umschlagen. Das gespielte „echte Leben“ hält Pauls krankhafter Morbidezza den Spiegel vor.

Traumhaft dunkle Atmosphäre

Korngolds schillernde Musik illustriert die Ausgelassenheit mit operettenhaft zündenden Nummern. Und den blasphemisch provozierenden Übermut der Gaukler gestaltet er in der Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen, es träumt sich zurück“ als doppelbödige Wagner-Parodie. Ansonsten sorgt das Orchester mit zwei Harfen, Celesta, Harmonium und Orgel für traumhaft dunkle Atmosphären und irreale Stimmungen.

Durchglüht wird diese Spätestromantik vom melancholischen Wissen um den Verlust der Tonsprache des 19. Jahrhunderts. Schließlich war die Musikwelt durch den Ersten Weltkrieg und die Revolutionen von Schönberg und Strawinsky längst erschüttert. Und wie damals Millionen Tote zu beklagen waren und die Hauptfigur Paul die Vergangenheit vergöttert, huldigt der junge Komponist weiterhin der Wagner’schen Harmonik und Instrumentationskunst von Mahler und Strauss.

Typisch moderner Antimodernismus

Dieser typisch moderne Antimodernismus drückt mehr als nur den Zwiespalt des Witwers aus. Das Zwischenspiel zum zweiten Akt wirkt euphorisierend, doch ohne belastbaren Grund. Die Musik will auftrumpfen und zu Neuem aufbrechen, mündet aber in Glockenschlägen, die, im Staatenhaus verteilt, das gesamte Publikum der Suggestion dieser „Kirche des Vergangenen“ unterziehen.

Auf höchstem Niveau

Die sängerischen und schauspielerischen Leistungen sind packend. Chor und Kinderchor sowie Nebenfiguren und vor allem die beiden Hauptrollen agieren auf höchstem Niveau. Tenor Stefan Vinke gestaltet Pauls Zerrissenheit zwischen Gattentreue, sexueller Lust und religiösem Läuterungswahn ebenso kraftvoll wie expressiv, freilich mit zu viel Vibrato.

Sopranistin Aušrine Stundyte verkörpert ergreifend den Lebens- und Emanzipationswillen einer selbstbewussten Frau, die die schmierigen Männerprojektionen als Heilige und Hure der vorvorigen Jahrhundertwende abzustreifen sucht. In beiden Personen spitzt sich der Konflikt von „heiß atmend Leben gegen Tod“ immer weiter zu, bis sich im dramatischen Schluss der Kreis schließt. Plötzlich erscheint das Ende wie der Anfang. Wie konnte das geschehen? – Das muss man unbedingt selber hören und sehen!

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