Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Abschiedskonzert für Louwrens Langevoort„Wählt Vernunft als Führerin“

Lesezeit 4 Minuten
Abschiedskonzert Langevoort

Louwrens Langevoort (Mitte) bei seiner offiziellen Verabschiedung in der Kölner Philharmonie

Mit einem Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin wurde der langjährige Intendant der Kölner Philharmonie Louwrens Langevoort gebührend verabschiedet.

„Er heißt zwar so, aber wirklich lange fort war er nie.“ – „No jokes with names“ ist eigentlich ein Grundsatz des fairen kommunikativen Miteinanders. Als Patrick Hahn, WDR-Redakteur und früherer Dramaturg beim Gürzenich-Orchester, ihn jetzt anlässlich seiner Laudatio auf Louwrens Langevoort missachtete, regte sich indes im philharmonischen Publikum kein Unmut, sondern amüsiertes Behagen. Tatsächlich hätte sich der scheidende Intendant kein schöneres Geschenk wünschen können als Hahns Rede, die man üblicherweise als „launig“ bezeichnen würde, die tatsächlich aber ein Feuerwerk humoristisch-ironischer Pointen war, grundiert von einer großen Portion übrigens völlig unsentimentalen Respekts vor einem zwanzig Jahre währenden erfolgreichen Einsatz für das Kölner Konzerthaus. Hahn beschrieb auch genüsslich, dass und wie der Gefeierte dabei zu unkonventionell-rabiaten Mitteln greifen konnte. „Wenn Sie mal wieder richtige Oper hören wollen, dann gehen Sie in die Philharmonie“ – so eine Eigenwerbung ausgerechnet in einer Programmbroschüre der Kölner Oper zu platzieren, dazu gehört schon was.

Man kann auch ohne Gürzenich-Biografie prima Karriere machen

Platziert war Hahns Laudatio am Start der zweiten Hälfte eines gleichfalls Langevoort gewidmeten und programmhalber von ihm initiierten Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin unter Cornelius Meister. Meister, Stuttgarter Generalmusikdirektor (GMD) und Langevoort-Proxy noch aus frühen Hamburger Tagen, hatte übrigens weiland mit François-Xavier Paul Roth um den Posten des Kölner GMD konkurriert, war aber vom Gürzenich-Orchester, das unbedingt Roth wollte, bei einer Aufführung von Beethovens Neunter brutal hängengelassen worden – und zog darob seine Bewerbung aus eigenen Stücken zurück. Nun ja, sein Beispiel lehrt eindrucksvoll, dass man auch ohne Gürzenich-Biografie prima Karriere machen kann.

Aufgrund der annoncierten Reden war die Konzertdauer auf gut zweieinhalb Stunden taxiert worden – es wurden dann über drei Stunden, bevor die dazu geladenen Gäste sich zur Abschiedsfeier ins höheretagige „Ludwig im Museum“ verfügen konnten. Ein langer Abend, der aber – philharmoniebezogen – nicht oder doch kaum langweilig wurde. Vor Hahn hatten sich Langevoort selbst – „Sie, liebes Publikum, werde ich am meisten vermissen“ –, Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Wilhelm Kemper, der Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums KölnMusik, zu Wort gemeldet. Letzterer löckte dabei vor Rekers unbewegtem Antlitz bemerkenswert schonungslos gegen den Stachel. Der erste Tiefschlag: „Unter Langevoort hatte die Philharmonie Weltstadtniveau – das haben wir ja sonst nicht so viel in Köln.“ Der zweite galt, irgendwie natürlich absehbar, dem Aus von Acht Brücken: „Die Stadt war nicht willens oder in der Lage, das international hochrenommierte Festival zu erhalten oder fortzuentwickeln.“

Sich mit Langevoort „den Blumenkohl aus den Ohren holen“

Die Agenda des Konzerts bezeugte noch einmal Langevoorts von den Lobrednern übereinstimmend gerühmten Einsatz für die musikalische Moderne – in seiner Adresse ans Publikum noch einmal in die Aufforderung gefasst, sich „den Blumenkohl aus den Ohren zu holen“: Schönbergs erste Kammersymphonie in ihrer Fassung für großes Orchester, Unsuk Chins „Puzzles and Games from Alice in Wonderland“ (2017 bei Acht Brücken uraufgeführt) und Mahlers vierte Sinfonie gleichsam als Tor zum 20. Jahrhundert – dieses Statement ist eindeutig. Ließen Meister und die Seinen bereits bei Schönberg eine eindrucksvolle Balance von expressiver Glut und struktureller Verdeutlichung walten, so gerieten Unsuk Chins (die Komponistin war anwesend) Wonderland-Fragmente wohl zum Höhepunkt des Abends.

„Puzzles and Games from Alice in Wonderland“ wurde zum Höhepunkt des Abends

Das war vor allem das Verdienst der Sopransolistin Hanna-Elisabeth Müller, die die hier vorgegebenen extremen Anforderungen an die Stimme mit bemerkenswert lässiger Souveränität, ja mit dem Appeal einer frechen Göre erfüllte. Die Sängerin muss in dieser englischsprachigen „Lyrik“ vieles jenseits des Singens leisten und auch die parodistisch-subversiven Züge der Musik stets im Blick und Ohr haben, kurzum: jene grausige Lustigkeit, die etwa in der Perversion eines Wiegenlieds durchbricht („Sleep tight, my ugly baby“).

„Seriöser“ und genauso eindringlich gelang Müllers zweiter (outfitgewechselter) Auftritt im Finale der Mahler-Sinfonie. Das dort geschilderte „himmlische Leben“ ist ja – siehe das Lämmlein-Massaker in der zweiten Strophe – gleichfalls nicht so idyllisch, wie es auf Anhieb scheint. Ganz abgesehen davon, dass das werkübergreifende (Narren-)Schellenmotiv die himmlische Aussage in abgrundtiefe Ambivalenz taucht. Meister stellte diese durch die Musik strukturell vermittelte Ambivalenz allemal wirkungsvoll heraus. Trotzdem konnte von einer rundum gelungenen Interpretation nur im ersten und letzten Satz die Rede sein. Die Binnensätze verloren sich – auch spielerisch auf gutem bis exzellentem Niveau – in einer etwas spannungslosen Aufreihung schöner Details, die einer gezielt steuernden Dramaturgie entbehrten und eine gepflegte Langweile aufkommen ließen. Das hat man gerade in Köln – erwähnt seien die Namen Markus Stenz und Cristian Măcelaru – schon besser gehört.

Die Zugabe zu später Stunde, das finale Sextett aus Mozarts „Cosi fan tutte“ unter Beteiligung von sechs Langevoort eng verbundenen Gesangsstars, lieferte dann noch einmal eine auf Person und Amtsführung bezogene Langevoort-Charakteristik: „Glücklich preis ich, wer erfasset/ alles von der rechten Seite, / der bei Stürmen niemals erblasset, / wählt Vernunft als Führerin.“