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Abschied von Louwrens Langevoort„Es gibt einfach Menschen, die man nicht erreicht“

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Louwrens Langevoort

Louwrens Langevoort

Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort spricht in seinem Abschiedsinterview über die Jahre in Köln, bittere Einsparungen und eine moderne Publikumsansprache.

Herr Langevoort, zum 1. August endet Ihre Zeit als Intendant der Kölner Philharmonie. Wissen Sie schon, was Sie vom 2. August an machen?

Louwrens Langevoort: Ganz genau noch nicht, aber in Umrissen schon. Man hat so seine Gremienarbeit in den Niederlanden und Deutschland – ich sitze im Stiftungsrat der Berliner Opernhäuser und im Hochschulrat in Lübeck. Ich habe eine Honorarprofessur in Karlsruhe, wo ich Coaching und allgemeine Sachen wie Theaterrecht mache. Und anderes ist noch im Gespräch. Auf jeden Fall werde ich demnächst drei Monate durch Japan reisen – da war ich nämlich noch nie.

Das klingt nicht nach verdrossenem Rentnerdasein. Aber in Köln ist definitiv Schluss?

Erst mal ja – aber wenn Köln etwas Interessantes für mich hat, würde ich das sicher gerne machen. Ich habe hier noch meine Wohnung – und bin auch in Paris und Berlin zu Hause – und werde natürlich nach wie vor gerne in Opernvorstellungen und Konzerte gehen.

Aber Sie hätten doch, wie man hört, von sich aus gerne noch das eine oder andere Kölner Intendantenjährchen weitergemacht, oder nicht?

Doch, ja. Auf der anderen Seite habe ich jetzt die Gelegenheit, mich von Verpflichtungen unbehelligt neu zu erfinden und abseits vom gewohnten Programm – Kölner Philharmonie und Acht Brücken – zu agieren. Die Chance möchte ich auch nicht verpassen.

Die Stadt Köln fand ich immer schon herrlich, gerade in ihren Besonderheiten
Louwrens Langevoort

Sie sind seit 2005 in Köln. Wie haben Sie die Stadt damals wahrgenommen, und haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ich hatte auch dank meiner Eltern seit den 70er Jahren einen guten Kontakt nach Köln, später dann ja auch beruflich – von 1993 bis 1995 als Betriebsdirektor der Oper in der Hampe-Ära. Die Stadt fand ich immer schon herrlich, gerade in ihren Besonderheiten. Wissen Sie: Bei Hamburger Politikern ist ein „Ja“ ein „Ja“ und ein „Nein“ ein „Nein“. Der Kölner Politiker sagt immer „Ja“, aber das „Ja“ kann genauso gut ein „Nein“ sein. Daran muss man sich gewöhnen.

Wie oft sind Sie denn verzweifelt an der Stadt und ihrer Kulturpolitik?

Nie, aufgeben war nie eine Option. Man muss sich den Herausforderungen stellen. Es gibt auch immer einen Weg, wie man weiterkommt. Klar, irgendwann kippt die Sache dann auch. Das ist der Fall, wenn eine Stadt ohne vorhergehende Kommunikation sagt: Dafür gibt es keine Subvention mehr.

Sie meinen das plötzliche Ende des Acht-Brücken-Festivals…

Ja, aber nicht nur, sondern auch andere Sparmaßnahmen, etwa im Sozialen und bei der Bildung. Da fehlte total die Kommunikation, da wurde überhaupt nicht gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Das wurde einfach von oben oktroyiert. Wir leben aber nicht mehr im Jahr 1913, sondern 2025. Acht Brücken hatte, das muss man wohl so hinnehmen, nicht genügend Fürsprecher bei den Dezernenten und wenn man, wie ich, vor dem Abschied steht, kann man auch nicht mehr so viel bewirken. Andernfalls hätte ich ganz anders kämpfen können. Der Aufsichtsrat – mitsamt dem amtierenden Kulturdezernenten – hat übrigens auch nichts für das Festival getan, wiewohl man in einer Sondersitzung im Dezember einstimmig gesagt hat, dass das Festival weiterexistieren sollte. So geht Vertrauen kaputt.

Spricht sich so etwas überregional und international herum?

Ja, die Opernbaustelle ist schon schädlich für das Kulturrenommee der Stadt. Und das Aus für Acht Brücken auch – das Festival hatte sich als Plattform für Neue Musik weit über Köln hinaus etabliert.

Wenn Sie Ihre Kölner Intendantenzeit Revue passieren lassen – was bleibt Ihnen als besonders positiv, was als besonders negativ in Erinnerung?

Glücksmomente waren immer wieder tolle Konzerte, die auch vom Publikum bejubelt wurden – ich kann da schlecht eines herausgreifen. Oder der Blick in die neue Saisonbroschüre, die einem mitteilt: Alles, was Rang und Namen in der Szene hat, kommt in die Kölner Philharmonie.

Und negativ?

Die Momente vergisst man am besten immer schnell.

Wir nennen mal ein Stichwort: Corona.

Das traf ja nicht ausschließlich den Kulturbereich, sondern die komplette Gesellschaft. Aber damals kam die Red von der „Systemrelevanz“ auf. Plötzlich musste man einfach sehen, dass Kunst und Kultur viele eben überhaupt nicht interessiert.

Hinzu kommt, dass der Publikumsschwund von damals bis heute nicht komplett aufgeholt ist. Schauen Sie mal, wie oft bei Philharmonie-Konzerten der Block Z gar nicht mehr aufgemacht wird?

Unterbrochen wurde damals ein lange etablierter Kreislauf: Ein bestimmter Prozentsatz des Publikums bricht „oben“ weg, und „unten“ kommen „Neue“ nach und gleichen den Verlust aus. In den drei Corona-Jahren brach es oben weg, aber es kam unten nichts selbstverständlich nach. Das war ein Verlust von etwa 20 Prozent, und an dieser Front kämpfen wir immer noch. Aber die Philharmonie ist auch oft komplett voll. Darüber hinaus ist durch die Inflation nach Corona alles teurer geworden – da muss man sich nicht groß wundern, dass das Publikum eventuell auch an Konzertkarten spart.

Wie wird der klassische Konzertbetrieb in 15 Jahren aussehen? Kommt in genug „von unten“ nach?

Also, wenn man genug Leute erreichen will, muss man vielmehr in die Bildung –  – investieren gemeinsam mit Schulen die Zukunft vorbereiten Von nichts kommt nichts.

Was muss man heute anders machen als früher?

Man muss heute wohl stärker als früher den Eventcharakter von Konzerten betonen. Das tun wir auch. Die Gesellschaft ändert sich schließlich andauernd, das Publikum ist zum Beispiel viel lockerer geworden, entscheidet sich viel später. Das ist nicht gut oder schlecht, sondern es ist einfach so. Und das ist auch für einen Intendanten eine interessante Herausforderung. Er muss sich auch dauernd fragen: Mache ich vielleicht was falsch? Denn er ist fürs Publikum da, nicht das Publikum für den Intendanten. Letztendlich bin ich Dienstleister. Trotzdem behalte ich die Freiheit, um auch dasjenige zu programmieren, woran das Publikum sich reiben kann und das es erstmal kennenlernen muss, sonst hätte man immer die gleichen Konzertstile.

Hat Musik – sagen wir in diesem Fall global einmal: E-Musik – es besonders schwer, die Leute zu erreichen?

Ja. Der Vergleich gilt der modernen Literatur, neuen Kunst und modernen Kunstmusik. Jene rezipieren die Leute, die moderne E-Musik weit weniger. Und ein Buch können Sie zuklappen, aus einer Ausstellung können Sie herausgehen, aber in einer Aufführung mit moderner Musik müssen Sie bestenfalls sitzen bleiben – egal, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Hinzu kommt, dass viele Menschen einfach nicht mehr über die Konzentrationsfähigkeit verfügen, sich auf etwas wirklich einzulassen. Für sie ist Musik halt etwas, womit man sich aus dem Lautsprecher berieseln lässt.

Was könnte da denn helfen?

Sicherlich Persönlichkeiten, die etwas über die Musik im engeren Sinne hinaus ausstrahlen – wie zum Beispiel Igor Levit. Nach wie vor ist die Heldenverehrung in der Musik so groß wie beim Fußball

Was ist mit neuen Formaten?

Das haben wir ja schon viel gemacht. Sehen Sie mal „Philharmonie Lunch“ und die Veedelskonzerte – diese Formate sind wahnsinnig erfolgreich. Auch Philharmonie.7 haben wir eingeführt. Und alles muss mit Social Media und allen anderen modernen digitalen Möglichkeiten verlängert werden, denn da erreichen wir das Publikum von heute. Bei einem Teil der Leute wird das allerdings nicht verfangen. Das muss aber ja auch nicht sein, es gibt einfach Menschen, die man nicht erreicht. Da können sie so niederschwellig sein, wie Sie wollen – und wir sind ja nun wirklich oft niederschwellig.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Nachfolgerin Ewa Bogusz-Moore?

Wir kennen uns gut, sind eng befreundet. Wenn Sie Rat braucht, helfe ich gerne, aber ich dränge mich damit nicht auf. Sie muss die Freiheit haben, neue Sachen und ihren eigenen Stil zu entwickeln.

In der Causa François-Xavier Roth, in die Sie ja nicht involviert waren, haben Sie eindeutig zugunsten des früheren Gürzenich-Chefs Stellung genommen. Ein Fehlverhalten könne nicht, sagten Sie, Grund dafür sein, jemanden gleichsam lebenslang zu ächten. Wie sehen Sie das alles im Rückblick?

Keine Frage, Roth hat bestimmte Grenzen unzulässig überschritten. Fachlich ist er für mich weiter ein außergewöhnlicher Dirigent, wovon es nur wenige gibt.

Es ging ja auch konkret um – institutionell offensichtlich möglichen – Machtmissbrauch.

Es gibt die christliche Maxime des Verzeihen-Könnens. Jeder sollte eine zweite Chance bekommen, und Fehler macht schließlich auch jeder. Juristisch ist die Sache klar: Roth wurde nicht angeklagt, geschweige denn verurteilt. Wir haben Roth und das SWR-Symphonieorchester übrigens für die kommende Spielzeit eingeladen. Und er kommt.   

Die Philharmonie muss irgendwann saniert werden – auch damit es hier nicht so läuft wie bei der Oper. Nun hat Köln keine Ausweichspielstätte für sein Konzerthaus. Wie soll das also gehen?

Wenn man für die Philharmonie eine gute kontinuierliche Instandhaltung betreibt, kann man dort noch Jahre lang, sagen wir mal bis 2040, sitzen – ohne dass etwas einstürzt. Das muss man aber auch wollen und darf nicht sagen: Wir haben nicht das Geld und das Personal dafür. Die kontinuierliche Pflege kostet übrigens weniger, als wenn man auf einmal eine Milliardensumme zur Sanierung auf den Tisch legen müsste.

Und wenn man sich doch zu einer Generalsanierung entschließt?

Dann muss es ein geeignetes Ersatzgebäude geben, bevor man anfängt. So eine Ausweichspielstätte braucht man zwingend, und da gibt es ja durchaus Optionen. Man könnte eine Location etablieren, die einer Weiternutzung zugeführt wird, wenn die Philharmonie an ihren Stammplatz zurückkehrt. Andere Länder machen es uns vor: Man kann auch billiger bauen und fristgerecht fertigwerden.


Louwrens Langevoort wurde 1957 im niederländischen Groningen geboren. Er ist seit 2005 Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH, zuvor war er Intendant der Hamburger Staatsoper. Zur neuen Saison gibt er das Amt ab. Am Sonntag, 29.6., 18 Uhr, wurde er in der Philharmonie mit einem Konzert verabschiedet.