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Kölner PhilharmonieSo mitreißend verabschiedet sich Cristian Măcelaru vom WDR Sinfonieorchester

Lesezeit 4 Minuten
Cristian Măcelaru steht, die Hand aufs Herz gelegt, vor den Musikern des WDR Sinfonieorchesters.

Cristian Măcelaru verabschiedete sich in der Kölner Philharmonie vom WDR Sinfonieorchester

Der scheidende Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters begeisterte in der Philharmonie noch einmal mit Pracht, Fülle, Leichtigkeit und Transparenz.

Im Abschiedskonzert mit dem WDR Sinfonieorchester blieb Cristian Măcelaru seinen – zuletzt noch im Interview mit dieser Zeitung geäußerten – Maximen bis in die Zugabe hinein treu: An Michail Glinkas Ouvertüre zur Oper „Ruslan und Ludmilla“ ließ er nicht nur sein auch in die Extreme gehendes Klangideal Wirklichkeit werden: die kontrastive Verbindung von Pracht, Fülle, Leichtigkeit und Transparenz. Vielmehr zeigte die Wahl eines Werkes aus der Feder des ersten russischen Nationalkomponisten, dass kein Putin die Größe und Weltbedeutung der Landeskultur beschädigen und ihre Pflege verhindern kann.

Herz, Haltung, Leidenschaft, ein immer offener Blick; Menschen berühren und begeistern – „das wird bleiben und nachwirken“. Diese Laudatio, in die der ausverkaufte Saal immer wieder applaudierend einstimmte, hatte WDR-Intendantin Katrin Vernau vor Konzertbeginn auf dem Podium der Kölner Philharmonie angestimmt. Was das konkret bedeutet, war beim Hauptwerk des Abends, Brahms' Violinkonzert mit der fabelhaften Solistin Julia Fischer, noch einmal zu bewundern. Auch hier konnte man sich an eine Interview-Äußerung des scheidenden Chefs erinnert fühlen, der sich nach eigener Darstellung die kritische Anmerkung eines Konzertbesuchers, das Orchester dürfe die Solisten nicht an die Wand drücken, nicht zweimal sagen ließ.

Julia Fischers Geigenton ist auch im ganz Leisen immer vital und beseelt

Nun muss man bei Fischer, deren herrlicher Geigenton auch im ganz Leisen immer vital und beseelt, durchdringend und präsent ist, um ihre Hörbarkeit eigentlich keine Sorgen haben. Indes kann die Begleitung da trotzdem, weil der Brahms'sche Orchesterpart sehr sinfonisch angelegt ist, einigen Schaden anrichten. Das aber geschah mitnichten. Măcelaru ließ seine – hörbar um eine tadellose Goodbye-Vorstellung bemühten – Musiker vielmehr auf weite Strecken Kammermusik machen. Das merklich reduzierte Tempo gerade des Eröffnungssatzes führte dabei in keinem Augenblick zu Spannungsabfall, sondern ließ die Melodien in ihrer ganzen Süße und lyrischen Intensität aufblühen. Da konnte sich die Solistin quasi in ein gemachtes Bett legen.

Eigentlich hätte die Philharmonie nach Fischers Interpretationsleistung, der noch die rundum erfüllt gespielte Sarabande aus Bachs d-Moll-Partita folgte, geschlossen aufspringen müssen – für die redensartlichen „standing ovations“. Indes erhoben sich da, bei durchaus lebhaftem Beifall, nur wenige Zuhörer von ihren Sitzen. Das ist bezeichnend: Fischers nach innen gewandte Kunst triggert nicht den überschwänglichen Applaus, sie ist aller selbstverständlichen Virtuosität zum Trotz selbstverliebten Zirkusaffekten rundum abhold. Und ihr käme sie nicht über die Lippen, jene bekannte Bemerkung eines Stargeigers vergangener Tage, er möge das Brahms-Konzert nicht, weil er da, im zweiten Satz, der Oboe zuhören müsse, die die einzige schöne Melodie des Stücks habe. Abgesehen davon, dass die Violine das Oboenthema dann sehr wohl variierend spielen darf – Fischer gönnte dem Orchesterkollegen souverän seinen Auftritt. Und feierte sympathisch nach dem Konzert noch eigens ihn.

Dann nach der Pause ein weiterer Russe, der mit einem Kremlherrscher des 20. Jahrhunderts – Stalin sein Name – immerhin seine schweren Probleme hatte: Schostakowitsch mit seiner just nach dem Tod des Diktators entstandenen zehnten Sinfonie. Das Werk bekommt man relativ selten zu hören – vielleicht, weil sich seine Aussage allen Eindeutigkeiten entzieht. Jubel über das Ableben des tyrannischen Quälgeistes? Von wegen! Die Sinfonie changiert zwielichtig und unheimlich zwischen brillantem Spiel und einer universellen Zerstörung anzeigenden Katastrophe. Da kriechen im ersten Satz die Streicher in kleinen Intervallen gleichsam am Boden, und wenn später das Blech das Personal-Signet des Komponisten, das „D-Es-C-H“ intoniert, dann gemahnt das weniger an ein auftrumpfendes Ich als vielmehr an das „Dies irae“. Măcelaru konnte und wollte das Rätsel nicht definitiv auflösen – weil es wohl auch nicht aufzulösen ist. Eine großartige orchestrale Darstellung voller Gewalt und Energie, die die Frage nach Sinn und Bedeutung ans Publikum weiterreichte.

Dieses erhob sich am Schluss dann doch noch einhellig. Indes, dieser Abschied ist eh relativ. Als „Artist Partner“ bleibt Măcelaru der Kölner Formation einstweilen erhalten – mit nicht weniger als fünf Auftritten in der kommenden Saison.