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Oper KölnEin fast vollendeter Striptease

Lesezeit 5 Minuten
Die Sängerin Annette Dasch inmitten von Tänzern und Pfauenfedern

Annette Dasch in der Operette „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Die Kölner Oper hat die vergessene Operette „Eine Frau von Format“ wiederentdeckt: Feminismus nach Weimarer Art.  

Kurz vor der Pause zieht sich Annette Dasch dann auch noch während ihrer Gesangsnummer aus – weitgehend. Ein vollendeter Striptease wird das nicht, denn die Oberkörperblöße wird rasch durch die von ihrer – männlichen – Tanz-Entourage zum Einsatz gebrachten Pfauenfedern-Fächer verhüllt. So oder so lässt sich die Salzburg-erprobte Starsängerin, die mit Bach, Mozart und Wagner Karriere gemacht hat, aber in jüngerer Zeit auch immer wieder Ausflüge ins frivole leichte Fach unternimmt, nicht lange bitten.

In der Neuproduktion der Kölner Oper, Michael Krasznay-Krausz' 1927er und damals überaus erfolgreicher Operette „Eine Frau von Format“, die am Sonntag im Saal I des Deutzer Staatenhauses Premiere hatte, singt sie die Titelpartie der Dschilli Bey. Die ist Botschafterin der Türkei, die mit dem fiktiven Fürstentum Silistrien einen Handelsvertrag arrangieren soll und dabei dieses und seinen Hofstaat kräftig aufmischt. Seinerzeit wurde die Rolle der legendären Fritzi Massary auf die Stimmbänder geschrieben. Die und ihren Wiener-Mädel-Charme versucht Dasch zum Glück nicht zu imitieren. Bei ihr kommt immer wieder herzerfrischend die Berliner Göre durch, die sie mit Glanz, Lust und raumgreifender Sinnlichkeit hinstellt. Tatsächlich merkt man es in jedem Augenblick: Die Gaudi mit dieser Partie erfasst noch ihre letzte Muskelfaser, und die tsunamigleiche Präsenz, mit der sie die Bühne füllt, verdankt sich keineswegs nur der Gesangsleistung.

Annette Dasch zieht die Inszenierung mit tsunamigleicher Präsenz nach oben

Freilich hat die Produktion diese Protagonistin auch dringend nötig: Sie hält über eine reine Spieldauer von rund zweieinhalb Stunden zusammen, zieht immer wieder nach oben, was sonst womöglich trotz des investierten Overkills an Farbe, Licht, Kostüm und Bewegung über eine von Durchhängern nicht freie mittlere Attraktionsstufe kaum hinauskäme.

Regisseur Christian von Götz, der Wiederentdecker des verschollenen Werkes, der ihm zusammen mit Svenja Gottsmann auch eine aktualisierende Textfassung verpasste, kündigt im Programmheft eine „feministische Operette“ an. Nach der feministischen Außenpolitik also die feministische Operette! Spott und Häme darüber verbieten sich zunächst einmal, denn Götz schreibt tatsächlich nur fort und aus, was in dem hundert Jahre alten Werk bereits ausweislich des Titels drinsteckt. Dschilli Bey vertritt jenen auch skandalisierten Typus der „neuen Frau“ mit Bubikopf und Zigarette, wie er für die Gesellschaftskultur der Weimarer Republik stilbildend wurde.

Szene aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Szene aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Götz weitet den von Krasznay-Krausz gelieferten Ansatz allerdings radikal aus: Seine Inszenierung ist ein Festival der Verflüssigung von Geschlechteridentitäten, in dem Frauen zu Männern und Männer zu Frauen werden, sich jedenfalls sozusagen überkreuz kostümieren, und alles queer durcheinandergeht. Das ist freilich in der Tat – und dies wird dem Zuschauer am Schluss gleichsam mit dem Holzknüppel nahegebracht – eine Operettenutopie, die als mögliche gesellschaftliche Wirklichkeit in diesen Tagen zusehends unter den Druck einer offensiven autoritären Rechten gerät. Eine Botschafterin aus der Türkei? Das wird unter Erdogan zusehends unwahrscheinlich. Gender-Diversität in Ungarn, aus dem Dschillis Gegenspieler, der Botschafter Géza Graf von Tököli stammt (mit dem sie sich am Ende einer einigermaßen läppischen und hier nicht weiter zu referierenden Intrigenhandlung in Liebe verbindet)? Trotzdem: Hier gleitet das Ganze in ein wohlfeiles Belehrungstheater ab; und wer die beherzte Maxime „Die Zukunft ist weiblich“ nicht goutiert, muss auch nicht unbedingt ein verbohrter Macho sein. Ist das Matriarchat etwa in jedem Fall besser als das Patriarchat?

Kontrastiv zur kritisch-emanzipatorischen Grundlinie greift Götz – und da wird es wirklich ärgerlich – tief in die karnevalistische Klamaukkiste und das Repertoire ihrer plumpen Zwerchfellattacken. Dass der zuhälterhafte Generalkonsul Zuntz (Stefan Sevenich) aus Köln kommt und auch so redet, ist in jeder Hinsicht entbehrlich (anderweitig gelingen auch hessische und sächsische Dialekteinlassungen nicht sonderlich gut). Und viele neue Dialogpartien sind schwerfällig und mit bemühtem Witz geschlagen – was vor allem dem ersten Teil einige Durststrecken beschert.

Am besten wird es, wenn die Bühne jenseits des Handlungsfortschritts nicht nur revueartig, sondern auch orgiastisch „entgleist“. Das beschert immer wieder ein unwiderstehliches Fest nicht nur für die Ohren, sondern auch für die Augen. Viel Gutes tut dabei Dieter Richters Bühne mit einem zweigeschossigen und drehbaren Rundbau in der Mitte, in dem sich andauernd Türen öffnen und schließen. Hinter den Türen tut sich Anzügliches – sozusagen „nebenbei“, um den ohrwurmträchtigen Zentralhit der Operette zu zitieren. Apropos Hit: Ob das Werk an sich und als solches auf der gegenwärtigen Opernbühne repertoire- oder überhaupt überlebensfähig ist, lässt sich angesichts der aktuellen Produktion schwer sagen – weil eben in diesem Kölner Krasznay-Krausz auch eine dicke Portion Götz steckt.

Annette Dasch gebührt unter den Sänger-Darstellern die Krone, aber das zahlreiche Personal erfreut insgesamt durch Agilität, Beweglichkeit und einen hohen Spaßkoeffizienten: Wolfgang Stefan Schwaiger als Graf Tököli sei hier genauso hervorgehoben wie Claudia Rohrbach als silistrische Fürstin Petra, Richard Glöckner als Báron Pista und Giulia Montanari als Zuntz-Tochter. Als Gender-Tauschpartner agieren teils amüsant Dalia Schaechter (Kanzler Negrutzky) und Tobias Hieronimi (Baronin Manulescu). Der Opernchor bringt sich wiederholt mit schlagkräftigen Pointen ein.

Der Operettenfachmann Adam Benzwi am Pult des Gürzenich-Orchesters – er lieferte auch das musikalische Arrangement und glänzt selbst mit vorzüglichen Klaviereinlagen – lässt dieses ziemlich erfolgreich zur Bigband mutieren, in der Ragtime, Tango und Shimmy aufklingen. Da schmachtet es sentimental oder pulsiert in vitalen Synkopen – eine bemerkenswerte Metamorphose eines Klangkörpers, der in der deutsch-romantischen Sphäre zu Hause ist. Freundlicher, nicht überschwänglicher Premierenbeifall.