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Oper Köln mit Puccinis „Manon Lescaut“Mit Schicksal hat diese Demütigung wenig zu tun

5 min
Opernpremiere: Manon Lescaut

Regisseur Carlos Wagner taucht die Bühne der Oper Köln für „Manon Lescaut“ in Schwarz-Weiß-Grau. 

Die Premiere von Puccinis „Manon Lescaut“ an der Kölner Oper hinterlässt gemischte Gefühle. Kölns neuer GMD, Andrés Orozco-Estrada, glänzte mit einem gelungenem Einstand. Unsere Kritik.

Als italienische Version von „Tristan und Isolde“ firmiert „Manon Lescaut“, Puccinis erste Erfolgsoper, immer wieder in der Wirkungsgeschichte. Da ist sogar materiell etwas dran, im großen Liebesduett des zweiten Aktes mit Manon und Des Grieux klingt mehrfach der Tristanakkord auf. Andere Interpreten freilich konzentrieren sich weniger auf die Paarbeziehung als vielmehr auf Manon, die sie in eine Reihe mit Carmen und Lulu stellen. Und tatsächlich dürfte die Frage „Wer eigentlich ist Manon?“ ins Zentrum des Werkes führen. Es geht hier de facto um das tragische Scheitern einer Ich-Werdung: Bevor die Titelfigur selbst Zeit und Möglichkeit hat, sich zwischen auseinanderdriftenden Imperativen wie Liebe und Reichtum als Individuum zu definieren, wird sie von sozialen – und vor allem männlichen – Projektionen okkupiert, die besagte Ich-Werdung im Keim ersticken.

Das tragische Scheitern einer Ich-Werdung

Wie bringt man all das auf die Bühne? Wie ist es in eine Bildersprache zu übersetzen, die auf geschmäcklerischen Historismus verzichtet und, im besten Fall, die unabgegoltene Aktualität des Konflikts herausstellt? Die Oper spielt, wie ihre Vorlage, Prévosts Roman, im vorrevolutionären französischen 18. Jahrhundert – worauf Puccini mit Madrigal und Menuett ironisch anspielt. Weil Puder und Perücke immer irgendwie peinlich zu wirken drohen, scheut ein Regietheater, das auf sich hält, diese historische Situierung. Als Alternative bietet sich, im Sinne einer mitlaufenden Reflexion über das geschichtliche Staffelverhältnis von Handlung, Komponist und Musik, eine Verpflanzung in die Zeit der Opernentstehung an. Oder gleich die radikale Adaption auf die Gegenwart hin – eine zeitgenössische Manon wäre, will man es leugnen, unter verschobenen Bedingungen ohne weiteres möglich.

Carlos Wagners Interpretation kann nicht recht überzeugen

Carlos Wagner, der venezolanische Regisseur der neuen, in Koproduktion mit dem Madrider Teatro Real entstandenen „Manon Lescaut“, geht im Saisonauftakt der Kölner Oper einen mittleren Weg: Die bildmotivischen Anleihen bei Visconti – bis hin zum verbreiteten Grau-Weiß-Schwarz der Bühne, das dann durch Manons flammendes Rot im zweiten Akt beziehungsreich aufgebrochen wird – befördern die Oper in die Zeit des neorealistischen italienischen Films in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das funktioniert zweifellos irgendwie, Musik und Szene greifen im Rahmen einer konventionellen Personenführung und Choreografie mit Neigung zum Tableau schlüssig und nachvollziehbar ineinander. Trotzdem will sich der Mehrwert dieses Einfalls nicht recht erschließen.

Zentrales Karussell weckt falsche Glücksrad-Assoziationen

Das tut auch nicht das zentrale, die in ihrer sozialen Definition extrem unterschiedlichen Bühnenräume (Frank Schlößmann) der vier Akte im Saal 2 des Staatenhauses unterfütternde Karussell, das für Manon und Grieux zusehends zum Gefängnis wird. Die Barockmetapher des Glücksrads trifft nämlich keineswegs die zentrale Thematik des Werkes. Zweifellos gleicht Manons Leben einer Achterbahnfahrt: Posiert die fürs Kloster Bestimmte im ersten (dem Amiens-) Akt als herziges Hascherl vom Lande, so hat sie im in Paris angesiedelten zweiten umstandslos die Entwicklung zur gelangweilt-blasierten Kokotte mit Sugar Daddy (Geronte) hingelegt. Die letzten beiden Akte wiederum, von Wagner auf entleerter Bühne als ausgeprägte Loci Tristes mit Pfützen und grauem Himmel entworfen, zeigen Manon dann gleichsam unter ihre Herkunftssphäre zurückgeworfen.

Nachdrücklich gerät die Einschiffung der verurteilten weiblichen Straftäter auf ihrem Weg in die Verbannung nach Amerika. In ihrer grabschenden Entkleidung durch die Hände uniformierter Männer zeigt sich die quasi institutionalisierte Demütigung der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft. Hier werden die Mechanismen erkennbar, die Manons Weg in die Katastrophe steuern – mit Glück oder Unglück in einem trivialen Sinn hat das alles nichts zu tun. Diesbezüglich springt die Inszenierung einfach zu kurz. Ist es unfair, in solchem Zusammenhang auf Barrie Koskys Zürcher „Manon“-Deutung zu verweisen – ein Vergleich, der sich freilich wegen der unmittelbaren zeitlichen Nachbarschaft der Produktionen anbietet?

Kölner „Manon“ nur bedingt ein Sängerfest

Leider ist die Kölner „Manon“ auch nur bedingt ein Sängerfest. Carolina López Moreno singt die fordernde Titelpartie mit schönem Timbre, großem Atem und konziser Phrasierung, füllig bis in die Mezzolage. Doch wird sie bis zum Schluss eine Portion neutralisierender Restkälte nicht los, eine leichte Gleichgültigkeit auch gegenüber den unterschiedlichen situativen Anforderungen an Gestik und Rollenprofilierung. Wenig Vergnügen macht zu Beginn Gaston Rivero als Des Grieux mit einem übersteuernd-angestrengten Stentor-Tenor. Die Anlaufprobleme geben sich dann aber, ihre kammerspielartigen Duett-Szenen gestalten López Moreno und Rivero mit gut abgestimmter Farbgebung und Interaktion.

Mit agilem Parlando erfreut Insik Choi als Lescaut, auch Cristian Saitta als verbitterter und gar nicht einmal würdeloser Geronte überzeugt weithin. Die Besetzungen der Nebenrollen geben ebenfalls keinen Anlass zu Klagen. Der Opernchor agiert gewohnt durchsetzungsstark, lässt es allerdings immer wieder an Feinschliff und Homogenität mangeln. Unzureichende Stütze der Stimmen schädigt zuweilen die Intonation.

Neuer GMD Andrés Orozco-Estrada mit rundum gelungenem Einstand

Am Pult des groß besetzten Gürzenich-Orchesters debütiert Kölns neuer Generalmusikdirektor (GMD) Andrés Orozco-Estrada, dem man dank seiner Sichtbarkeit beim Dirigieren gut zuschauen kann. Im Ergebnis ist von einem rundum gelungenen Einstand zu berichten. Orozco-Estrada schlägt, auf der Basis einer offensichtlich weitreichenden Verinnerlichung der Partitur und eines engen Kontakts zur Bühne, so hochenergisch wie kleinteilig, verzettelt sich aber auch nicht ans Detail. Von einer schlüssigen Dirigierdramaturgie zeugt gleich das Vorspiel zum ersten Akt, wenn dem, irgendwie noch komödiennahen, Getriller und Geplapper völlig organisch die große emphatische Melodie entwächst. Und wie Orozco-Estrada das Intermezzo sinfonico am Eingang des vierten Aktes zu einer psychologisch schlüssigen Parade der Leitthemen macht, das hat große Leuchtkraft und Intensität. Keine Frage: Der Dirigent wie das in seinen instrumentalen Farben opulent aufglühende Orchester sind das Kraftzentrum, die Seele der Produktion.

Freundlicher, buhfreier, wenngleich abgestufter Beifall des Premierenpublikums nach zweidreiviertel Stunden Aufführungsdauer.