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Paul-Georg Dittrich mit Wagners Ring-Zyklus„Rheingold“, diesmal ohne Gold

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6 min
Köln: Staatenhaus: Opernregisseur Paul-Georg Dittrich

Opernregisseur Paul-Georg Dittrich vor dem Staatenhaus. Hier spricht er über seine Kölner „Ring“-Produktion, die am 26. Oktober mit dem 'Rheingold' startet. 

Paul-Georg Dittrichs Version von Wagners „Rheingold“ ist auch angesichts der Fülle verschiedenster Interpretation ein völlig neuer Ansatz. Zu sehen ab Sonntag an der Oper Köln.

Diesmal wird Wagners Rheingold kein als solches sichtbares Edelmetall auf einem Flussgrund sein, das dann infolge von Alberichs Raub zum unheilbringenden Ring geschmiedet wird. Vielmehr ist es ein Kollektiv von die Aufführung stumm bespielenden – Kindern. Kinder, wie bitte? Paul-Georg Dittrich, der Regisseur des neuen Kölner „Ring“, der mit der „Rheingold“-Premiere am kommenden Sonntag startet, weiß, dass er seine zentrale Inszenierungsidee erläutern muss.

Das verbindende Motiv ist, so tut er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ dar, der hier in nordische Mythologie übersetzte biblische Sündenfall: Das Rheingold, am Anfang aller Dinge naturbelassen im Rhein, verliert durch die Schmiede zum geschlossenen Ring eben diese Natürlichkeit. Ebenso repräsentieren, so Dittrich, Kinder „einen absoluten Beginn, ein Unbedarftes, ein Urvertrauen“ – ehe auch sie „geschmiedet“ werden, zivilisatorisch manipuliert und ihrer Fantasie beraubt. Erwachsenwerden vielleicht nicht durchweg als Unheils-, wohl aber als schmerzliche Verlustgeschichte.

Wagners Rheingold als Verlust kindlicher Fantasie?

Der Opernbesucher, der die bedeutend-spektakulären „Ring“-Inszenierungen der vergangenen Jahrzehnte – von Chéreau über Berghaus bis zu Castorf und Konwitschny – vor seinem geistigen Auge vorüber flanieren lässt, wird die Originalität von Dittrichs Einfall kaum in Abrede stellen können – was umso mehr hervorzuheben ist, als der Becher der Einbildungskraft in den besagten und vielen anderen Produktionen, wie es scheint, bis zur Neige geleert wurde.

Alles zum Thema Oper Köln

Geschichtsphilosophie, Mythologie, Religionskritik, Historie (der „Ring“ als Allegorie des 19. Jahrhunderts), Kapitalismuskritik (in deren Zuge das Gold dann etwa als Öl zeitgemäß gemacht wurde), dann, in Robert Carsens Kölner „Ring“ (2000 bis 2004, in der Ära von Markus Stenz als GMD wieder aufgelegt), das Riesenwerk als Ökothriller – der aktualisierenden regietheaterlichen Bemühungen (oder soll man besser sagen: Vereinnahmungen?) war kein Ende. Besonders erstaunlich ist das angesichts der vielen Leerstellen der Tetralogie freilich nicht – sie triggern die in der Tat kaum abweisbare Intuition, dass mehr und anderes in ihr steckt, als was sich da eins zu eins begibt. Dass das Bühnengeschehen vielmehr in seinem Parabelcharakter entschlüsselt werden muss.

Paul-Georg Dittrich ist an der Kölner Oper kein Unbekannter

Dittrich geht seine Arbeit – den kompletten „Ring“ mit „Rheingold“ und „Walküre“ in dieser, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in den nächsten Spielzeiten – durchaus mit Demut an, spricht von einem „riesengroßen Geschenk“ und zugleich, gerade angesichts der mittlerweile zur Werksubstanz selbst gehörenden Rezeptionsgeschichte, von einer herkulischen Aufgabe: „Die Anfrage kam recht früh, sodass mein Team und ich Zeit genug hatten, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Wir wollten uns mit dem Stoff aufladen und dann eine eigene Lesart entwickeln.“

Dittrich, 1983 im brandenburgischen Königs Wusterhausen geboren, von 2007 bis 2011 an der Hamburger Musikhochschule als Regisseur ausgebildet und seither als Schauspiel- und Opernregisseur vor allem an deutschen Bühnen vielfältig beschäftigt, dürfte mit dem ihm anvertrauten „Ring“ an der hiesigen Oper den bisherigen Gipfel seiner Karriere erklimmen. Am Haus ist er kein Unbekannter, vor drei Jahren führte er sich hier – im Kontext eines Doppelabends – nachdrücklich mit einer gedankenreich-gelungenen Inszenierung von Zemlinskys „Zwerg“ ein.

Ich vermute, dass sich mein Nihilismus durchsetzen wird.
Paul-Georg Dittrich

Dass Intendant Hein Mulders ihm die Tetralogie überantwortete, zeugt auch insofern von erheblicher Wertschätzung, als mit ihr eigentlich das Haus am Offenbachplatz hatte wiedereröffnet werden sollen. Das klappte bekanntlich nicht, und die Perspektive, ihn jetzt im Staatenhaus inszenieren und auch die darob notwendigen technischen Anpassungsleistungen erbringen zu müssen, erfüllte Dittrich, wie er zugibt, mit durchaus limitierter Freude: „Es gibt keinen Schnürboden, man kann vieles einfach nicht machen.“ Die „Ring“-Handlung auf die Kölner Operntragödie herunterzubrechen – dieser Gedanke ging ihm zwischenzeitig durchaus durch den Kopf: „Aber so etwas wurde schon anderwärtig durchgekaut, es wäre einfach zu platt gewesen.“

Rheingold Oper Köln, Wotan und Fricka

Durch die Augen eines Kindes: Die Mythologie- und Märchenaspekte des „Rheingold“-Stoffes werden besonders nachdrücklich herausgestellt. Hier: Wotan und Fricka.

Unabhängig von all dem muss Dittrich muss eine Herausforderung besonderer Art schultern – die eines langen konzeptionellen Atems: Tatsächlich geht „Das Rheingold“ jetzt in Szene, ohne dass die „Götterdämmerung“ zu mehr als 50 Prozent „steht“. Bekanntlich kehrt das Gold bei Wagner am Ende in den Rhein zurück, und Alberich überlebt das große Götter-Aus. Aber wie könnte es weitergehen? Die dem Komponisten vertraute Schopenhauer'sche Geschichtsmetaphysik legt eine zyklische Geschichtsbewegung nahe – alles geht wieder von vorne los. Dittrich kann sich einstweilen zwischen den utopischen und den dystopischen Aspekten des Tetralogie-Schlusses nicht entscheiden: „Ich vermute aber“, meint er mit einem Anflug von Ironie, „dass sich mein Nihilismus durchsetzen wird.“

Dittrich will kein „Statement-Theater“ machen

Das Ganze soll jedenfalls unter einen großen Bogen gebracht werden, der – gleichsam als Pendant der Wagner'schen Leitmotivik – die im „Rheingold“ exponierten Inszenierungsmotive wiederkehren lässt. Der Regisseur begreift den „Ring“ als „eine gesellschaftspolitisch zeitlose Parabel um Hybris, Macht, Egoismen, Intrigen – dem, was Wagner unter Politik verstand“. Aber all das stellt er, wie bereits dargetan, unter den Generalaspekt einer Fantasie beraubten, manipulierten und instrumentalisierten Kindheit. Auf dieser Linie werden die Mythologie- und Märchenaspekte des Stoffes samt ihrer Ingredienzien – Zwerg, Kröte, Tarnkappe etc. – besonders nachdrücklich herausgestellt. Auch auf die Kostüme greift diese Akzentuierung über: „Die Kreateure sind eigentlich Kinder, die den Erwachsenen das Sterben der Fantasie, das Requiem für die Fantasie erzählen.“ Und es ist ein kindliches Auge, das im „Rheingold“ als Loch in der Bühnenwand die Verbindung mit dem Zuschauerraum sucht. Das Prinzip Kinderoper – Erwachsene machen Oper für Kinder – wird hier gleichsam umgedreht: Kinder machen, fiktiv, Oper für Erwachsene.

Eine Auseinandersetzung mit dem – ideologisch hochbelasteten – „politischen“ Wagner im engeren Sinn sucht Dittrich nicht, obwohl die einschlägigen Dispositionen des Komponisten auf seine dezidierte Ablehnung stoßen. Aber er will eben kein „Statement-Theater“ machen. Die Möglichkeit, Wagner sozusagen gegen Wagner zu inszenieren, schlägt er gleichfalls aus, sie hätte, sagt er, die Aussagekapazität seiner Inszenierung hoffnungslos überlastet. Ihm schwebt vielmehr eine visuell berührende Bilderreise vor, die der Zuschauer unmittelbar versteht, in ihm aber auch eigene Assoziationen auszulösen vermag.

Ich will der Stadt eine Chance geben, und die Stadt will mir eine Chance geben.
Paul-Georg Dittrich

Adornos Interpretation von Alberich und Mime als antisemitische Judenkarikaturen greift er ebenfalls nicht auf. Insofern er Alberich als verachteten und schikanierten Außenseiter darstellt, zieht dieser vielmehr Mitleid und Sympathie auf sich. Gebrochene Gestalten sind auch Wotan, der im Abgang und Abgesang zur tragischen Figur wird, und Siegfried – auch er ein Kind, das instrumentalisiert und manipuliert wird.

Von der Stadt hat Dittrich naheliegend in den vergangenen Wochen und Monaten wenig mitbekommen. Dabei hat er seinen festen Wohnsitz – infolge der Festanstellung seiner Ehefrau am Schauspielhaus – jetzt in Köln, genauer: in Ehrenfeld. Vorangegangen war der Umzug von Wien an den Rhein. Die Gegenbewegung würden viele vermutlich attraktiver finden – wozu sich der Regisseur allerdings nicht äußern will: „Es lässt sich alles hier sehr positiv an. Ich will der Stadt eine Chance geben, und die Stadt will mir eine Chance geben.“


Der neue Kölner „Ring“ unter der Regie von Paul-Georg Dittrich mit der Bühne von Pia Dederichs und Lena Schmid startet am Sonntag im Staatenhaus mit dem „Rheingold“. Es singen unter anderem Jordan Shanahan, Mauro Peter, Daniel Schmutzhard, Karl-Heinz Lehner, Lucas Singer, Emily Hindrichs und Adriana Bastidas-Gamboa. Marc Albrecht dirigiert das Gürzenich-Orchester.

Die Premiere ist bereits ausverkauft, Tickets gibt es unter anderem für den 29.10., 31.10., 2.11. und 6.11.