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„Rheingold“ in der Kölner OperDieser Kinderwelt ist nicht zu trauen

5 min
Tuomas Katajala (Froh), Emily Hindrichs (Freia), KS Miljenko Turk (Donner)

Tuomas Katajala (Froh), Emily Hindrichs (Freia), KS Miljenko Turk (Donner)

Die zentrale Idee des Regisseurs geht nicht auf, aber die Inszenierung bietet dennoch viele gelungenen Momente. 

Am Schluss der Premiere setzte es im Saal I des Deutzer Staatenhauses für das Inszenierungsteam und also auch für den etwas bedröppelt dreinblickenden Regisseur Paul-Georg Dittrich etliche Buhs im Umfeld allgemeiner Zustimmung. In die muss man nicht vorbehaltlos einstimmen, um sie doch nachvollziehen zu können. Dittrich verpasst Wagners „Rheingold“ – und damit dem kompletten „Ring“, den er in dieser und den beiden kommenden Spielzeiten in Köln herausbringt – eine Lesart, an der gewöhnungsbedürftige Sperrigkeit wohl kaum zu bestreiten ist (wenngleich sich einige oberflächliche Parallelen zu Valentin Schwarz' Bayreuther „Ring“ ergeben mögen).

Nun sollte gerade im Wagner-Metier Sperrigkeit für sich genommen kein Gegenargument sein – zumal das Publikum diesbezüglich seit jeher einiges ertragen muss. Die Frage ist freilich immer, inwieweit die dramaturgisch und sinnlich-visuell überzeugende und nachvollziehbare Umsetzung einer Idee auf der Bühne gelingt.

Dittrichs zentraler Einfall: Es gibt bei ihm – zunächst – kein Rheingold, keinen Ring als solchen. Repräsentiert bei Wagner das Gold im Rhein einen Urzustand vor Sündenfall und Geschichte, so ersetzt Dittrich es durch eine Kinderschar, die gleich in der ersten Szene als stumme, wenngleich zum Gesang ihre Münder bewegende Komparsen, die in gediegener Festkleidung erscheinenden Rheintöchter und Alberich begleiten. Die Regie etabliert dabei zwei parallele Handlungsebenen: Wie die Rheintöchter ihren befrackten Alberich piesacken und mit einem Blutkuss quälen, so vollziehen auch die Kinder an einem der ihren ein brutales Ausgrenzungsritual. Von wegen unschuldiger Urzustand der Menschheit.

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Die Götterwelt ist bunt-naiv

Das ist zweifellos ein nachdrücklicher Effekt, und doch zeigt die Inszenierung hier einen konzeptionellen Riss, der auch im Fortgang nicht ganz behoben wird. Rheingold und Kinder haben in der Sache letztlich wenig miteinander zu tun. Später, in der kerkerartigen Nibelheim-Szene, erscheinen diese erneut, jetzt als von Alberich malträtierte Sklaven. Dazu gibt es freilich auf der Bühne (Pia Dederichs, Lena Schmid) einen als Klettergerüst fungierenden überdimensionierten Metallring, und auch Alberich trägt sehr wohl am Finger den aus dem Rheingold geschmiedeten Ring, der ihm von seinen „Besuchern“ Wotan und Loge unter härtester Gewaltanwendung entwunden wird. Irgendwie wirkt die Kinderschar darüber als überflüssige Verdoppelung. Und die „Rheingold“-Handlung als fortschreitende Zerstörung und Manipulation kindlicher Fantasie – auch dieses Regiemotiv wird in der Umsetzung nicht recht einsichtig, da hat Dittrich einmal zu viel um die Ecke gedacht.

Wahrzunehmen und nachzuvollziehen ist immerhin die von Bild zu Bild fortschreitende „Versachlichung“ und zugleich Verdüsterung der Szene. Die Göttersphäre im zweiten Bild erscheint als eine puppig-poppige, bunt-naive und zugleich kitschige Märchenwelt mit Wotan auf einer Mondsichel und Freia als affektiert-aufgedrehter Barbie-Puppe mit Smartphone. Farblich dominieren Rosa und Hellblau.

Die Riesen firmieren als geldgierige Bauunternehmer. Ist das alles irgendwie blöd und abgeschmackt? Nein, denn Dittrich zieht hier unübersehbar den Doppelboden der Ironie ein. Dieser Kinderwelt, die sich durch ein großes ausgeschnittenes Auge in der Bühnenwand in den Zuschauerraum hinein vermittelt, ist, wie der Fortgang zeigt, nicht zu trauen.

Danach, im dritten und vierten Bild, verschwindet dann auch alles Märchenhafte und Poppig-Bunte. Die Auslösung Freias zeigt die schwarzgewandeten Götter nicht als hochgemute Festgesellschaft, sondern eher als bedrückte Versammlung eines Mafia-Clans, der seine lästigen Klienten (die Riesen) abfertigen muss. In Videosequenzen auf vier schlanken Stelen scheinen Katastrophen und Untergänge auf.

Hier bedarf es eigentlich keiner „Götterdämmerung“, diese Welt hat schon jetzt keine Zukunft mehr. Die zerstörerische wechselseitige Instrumentalisierung der Akteure im Zeichen von Manipulation und Betrug – zumal Loge ist ihr Meister – macht eine geschmeidige, abwechslungsreiche Personenführung zwingend sichtbar. Ihr können die finalen Buhs eigentlich nicht gegolten haben.

Die Sangesleistungen überzeugen

Bleibt der Eindruck der Inszenierung zwiespältig, so überzeugen die Sangesleistungen (in Abstufungen) weithin. Insgesamt erfreulich ist, dass hier nirgendwo die Wagner-Dröhnung von ehedem kultiviert wird, sondern durchweg schlanke, agile, auch in der Artikulation gewinnende, dabei der lyrischen Ausformung durchaus nicht abholde Stimmen zum Einsatz kommen. Das gilt sogar für die Riesen Christoph Seidl (Fasolt) und Lucas Singer (Fafner). Vielleicht wäre sogar zuweilen etwas mehr Power angezeigt, aber der Gewinn, den der Verzicht zeitigt, ist allemal erheblich.

Sängerisch und darstellerisch schießt womöglich Mauro Peter als Loge den Vogel ab – seiner zynisch-leichtfüßigen Grandezza, seinem geschmeidigen Parlieren wird sich der Zuschauer und -hörer so schnell nicht entziehen können. Jordan Shanahan als Wotan wartet demgegenüber mit einer rollenangemessenen seriös-bedrückten Würde auf. Daniel Schmutzhard als Alberich inszeniert mit sägender Vokalisierung gekonnt den bösen Geist des Ganzen. Sehr schön gibt Emily Hindrichs die Freia als zickiges Girlie. Bettina Ranch als launisch-preziöse Fricka gefällt genauso wie Adriana Bastidas-Gamboa als mythendunkle Erda. Miljenko Turk als Donner macht am Schluss aus einer Nebenrolle einen glanzvollen Auftritt, und als Rheintöchter imponieren Giulia Montanari (Woglinde), Regina Richter (Wellgunde) und Johanna Thomasen (Flosshilde) durch jugendlich-inspirierten Schöngesang.

Angesichts der widrigen Raum- und Akustik-Verhältnisse – die Orchesterzone ist schmal, dafür aber wie ein Kaugummi in die Breite gezogen – verbringen Marc Albrecht am Pult und das von ihm dirigierte Gürzenich-Orchester Großes. Nicht nur funktioniert die Koordination mit der Bühne bemerkenswert gut, sondern auch der Orchesterklang in sich wird in seiner Durchhörbarkeit und kammermusikalischen Transparenz Anlass zu beträchtlichem Hörvergnügen. Albrecht zieht die dramatischen Umschwünge mit großer Präzision durch, justiert auch immer wieder geschmeidig die Klang- und Stimmgruppenverhältnisse.

Dass die Leitmotive und ihre Schichtung mitunter didaktisch-aufdringlich ertönen und der Sound insgesamt von den auratischen Mischverhältnissen im Bayreuther Graben sternenweit entfernt ist – wer will es unter den gegebenen Umständen irgendwem verübeln? Gerade mit Blick auf Wagner haben die Kölner Opernfreunde allen Grund, sich auf das sanierte Haus am Offenbachplatz zu freuen.


Stückbrief

Musikalische Leitung: Marc Albrecht

Inszenierung: Paul-Georg Dittrich

Bühne: Pia Dederichs, Lena Schmid

Kostüme: Mona Ulrich

Mit: Jordan Shanahan, Miljenko Turk, Tuomas Katajala, Mauro Peter, Daniel Schmutzhard, Martin Koch, Christoph Seidl, Lucas Singer, Bettina Ranch, Emily Hindrichs, Adriana Bastidas-Gamboa, Giulia Montanari, Regina Richter, Johanna Thomsen

Dauer: 2 ½ Stunden ohne Pause

Weitere Aufführungen: 29., 31. Oktober, 2., 6., 8., 14., 16. November