Kaija Saariahos Oratorium an der Oper Köln erzählt die Lebens- und Leidensgeschichte der Philosophin Simone Weil.
„La Passion de Simone“ an der Oper KölnEs geht um alles und nichts

Vokalensemble, Lavinia Dames
Copyright: Matthias Jung
Gleich einer der ersten Sätze in Schrift und Gesang ist ein existentielles Bekenntnis, das nach pausenlosen achtzig Minuten noch einmal bekräftigt wird: „Nichts, was existiert, ist der Liebe vollkommen würdig. Darum muss man lieben, was nicht existiert.“ Die Folgen dieses weltverachtenden Utopismus sind fatal. Sie bedingen sowohl das Schicksal der Hauptfigur als auch die Musik von Kaija Saariahos „La Passion de Simone“ und deren Neuinszenierung an der Oper Köln durch Friederike Blum im Bühnenbild von Lisa Kruse. Das „Oratorium in 15 Stationen“ erzählt vom Leben und Denken der französischen Jüdin, Denkerin, Katholikin und Mystikerin Simone Weil.
Sopranistin Lavinia Dames verkörpert „Eine Frau“. Mit großem Monolog tritt sie in Zwiesprache mit der Titelfigur. Diese erscheint jedoch nur als Büste wie im Museum und macht so von vorneherein klar, dass sich die bis zur Identifikation reichende Kontaktaufnahme auf eine nicht mehr existente Verstorbene richtet. Abwesend sind auch Gürzenich-Orchester, achtstimmiges Vokalensemble und Dirigent Christian Karlsen, die allesamt hinter Vorhängen agieren als seien es Stimmen aus imaginären Welten oder dem Totenreich. Zuweilen finden einzelne Töne der Sopranistin zauberhafte Echos in verborgenen Frauen- und Geisterstimmen.
Ereignisarm ist auch die konsequent undramatische Musik
Mit dem Jenseitsdrang ist es jedoch vorbei, als sich eine Seite des Vorhangs öffnet und nach verzogenem Kunstnebel vierzehn weitere Büsten der Simonie Weil zeigt. In der Summe sind es genauso viele wie die erzählten Stationen der Lebens- und Leidensgeschichte der Philosophin. Hinter dem Orchester hängen weitere 15 unbehauene Marmorquader als noch unentfaltete Facetten ihres Lebens und Denkens. Die Vervielfachung bleibt jedoch redundant und letztlich nichtssagend. Zudem wirkt die Aufführung eher halbszenisch. Zum Spiel des Orchesters sitzen oder stehen Solistin und Vokalensemble lange untätig herum, um wie das Publikum zu lauschen. Und tatsächlich läuft auch kurz eingewiesenes Publikum wie Museumsbesucher über die Bühne.
Alles zum Thema Oper Köln
- Nach 13 Jahren Erstmals gibt es einen Fertigstellungstermin für Kölner Oper
- Oper Köln Ein fast vollendeter Striptease
- Festival Acht Brücken „Musik ist eines der Weltwunder“
- Oper Köln Warum Hein Mulders am Montag durchgewunken wird
- Kölner Top-Personalie Hein Mulders soll weitere fünf Jahre Opernintendant bleiben
- Kinderchor durfte nicht auftreten Wie barrierefrei sind Kölns Bühnen?
- Erster Einblick So sieht es in der neuen Kölner Oper aus

La Passion de Simone
Copyright: Matthias Jung
Ereignisarm ist auch die atmosphärische und konsequent undramatische Musik der beim soeben zu Ende gegangenen Festival Acht Brücken umfassend porträtierten finnischen Komponistin. Dunkle Akkorde, weiche Klangflächen, matte Pendelfiguren, kleine Drei- und Viertonmotive treten mit endlosen Wiederholungen auf der Stelle und verlieren dadurch ihre Magie.
Immerhin gibt es punktuelle Rückkoppelungen von Text und Musik. Nach Weils Satz „Der Stille zuhören können“ geschieht weder hör- noch sichtbar lange nichts. Als Simone Weil die Härten von Fabrikarbeit kennenlernt, scheppern Bleche, Schlagwerk und maschinelle Repetitionen. Zu ihrem Zweifel an der Möglichkeit menschlicher Gemeinschaft erklingt eine einsame Oboe ganz romantisch wie die traurige Hirtenweise in Wagners „Tristan“.
Weils Beschreibung der menschlichen Existenz zwischen „Licht und Schwerkraft“ ist ein Leitmotiv von Saariahos „La Passion“ und Œuvre insgesamt. Immer wieder werden Akkorde in silberhelle Spitzenlagen und schwer lastende Bässe aufgespalten. Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit, Geist und Leib, Erlösung und Leid stehen sich antagonistisch gegenüber. Am Ende führt das Geschehen wie bei Richard Straussʼ Frühwerk zu „Tod und Verklärung“. Statisterie und Vokalensemble gruppieren sich als zwölf Apostel zum Abendmahl und Simone Weil wird zu Jesus Christus stilisiert, weil sie sich 1943 im Alter von 34 Jahren im Exil in London als Selbstopfer zu Tode hungerte.
Wie Musik und Szene ist Amin Maaloufs Libretto frei von Dramatik. Der narrative und deskriptive Text lieferte die Vorlage zum 2006 in Wien uraufgeführten Werk, das eben ein „Oratorium“ und nicht wirklich eine Oper ist. Zitiert werden Philosopheme aus Weils Schriften über Liebe, Leid, Tod, Gewalt, Arbeit, Glauben, Wahrheit, Gott, Welt, Menschsein, Einsamkeit, Selbstaufgabe … Es geht um alles und nichts. Das ist einfach zu viel beziehungsweise zu wenig. Am Ende liegt die Botschaft von „La Passion de Simone“ vielleicht gerade in der Umkehrung des zu Beginn und Schluss geäußerten Bekenntnisses: Nichts, was existiert, ist vollkommen, aber manches davon gerade deswegen der Liebe wert.