Star-Regisseur Herbert Fritsch kehrt nach 13 Jahren endlich zurück ans Schauspiel Köln, doch sein wortloser Abend kann nicht völlig überzeugen.
Kölner Schauspiel-PremiereWo bleibt denn der versprochene Rabatz?

Szene aus Herbert Fritschs „Rabatz!“ am Schauspiel Köln
Copyright: Marcel Urlaub
Fast unmerklich ruckelt das schwarze Rechteck im roten Raum, zieht zögerlich ein wenig nach links, dann nach rechts, gleitet schließlich, entschlossener, den Rampenlichtern entgegen. Als wäre ein suprematistisches Bild von Kasimir Malewitsch plötzlich zum Leben erwacht. Was gar nicht mal so abwegig ist, wenn man bedenkt, dass der Ursprung des Suprematismus nicht auf der Leinwand, sondern auf der Bühne liegt: Malewitsch datiert in auf den 5. Dezember 1913, auf die Premiere der futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ im Sankt Petersburger Lunapark-Theater.
Den Bühnenvorhang zierte damals das allererste schwarze Quadrat des Malers, die erste wahrhaft ungegenständliche Kunst, eine Form gewordenes Nichts, dass alles Althergebrachte und Überlieferte gierig verschluckte, Lenins große gesellschaftliche Umwälzung künstlerisch um knapp fünf Jahre vorwegnehmend.
Wie aus einem Clownauto purzeln sieben seltsame Subjekte
Herbert Fritschs Kölner Rechteck besitzt noch zwei Dimensionen mehr, entpuppt sich in der Bewegung als Zelt mit leichter Dachschräge. Dann rappelt es im Karton und das Zelt spuckt – wie ein Clownauto in der Zirkusmanege – ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben seltsame Subjekte aus, rot uniformiert, mit wild frisierten schwarzen Perücken und weiß geschminkten, zur Fratze verzerrten Gesichtern. Schwarz, rot, weiß. Es sind die Farben der russischen Avantgarde, die Farben von El Lissitzkys Konstruktivismus, eine neue Kunst für eine neue Welt.
Zur Revolutionstruppe taugen die sieben Schlafwandler aber nicht, zögerlich erkunden sie den Bühnenraum, folgen dabei ängstlich trippelnd den Lichtkegeln und -pfaden, die der einfallsreiche Lightdesigner Voxi Bärenklau auf den Boden und an die Wände wirft. Man denkt an den Somnambulen Cesare aus Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ oder an die grotesken Figuren seines Hollywood-Epigonen Tim Burton, etwas schief ins Leben gebaute Gestalten, denen alles rätselhaft und fremd ist.

Julia Schubert in Herbert Fritschs „Rabatz!“ am Schauspiel Köln
Copyright: Marcel Urlaub
„Rabatz!“ hat Herbert Fritsch – neben der Regie zeichnet er auch für Bühne und Kostüm verantwortlich – seinen ungegenständlichen „komischen Abend“ im Depot 1 getauft, den er zusammen mit dem Ensemble und seiner langjährigen Dramaturgin Sabrina Zwach erarbeitet hat.
Das Ausrufezeichen bleibt Behauptung, die „kraftvolle, chaotische, anarchische Energie“, die Zwach in ihrem Programmheft-Essay beschwört und für die Fritsch in der deutschsprachigen Theaterlandschaft berühmt ist, man sucht sie vergebens. Die Sieben bleiben nicht stumm, aber ihre Laute wollen sich nicht zu Worten fügen, ihre kuriose Verkrampfungen nicht in jenen Rumpelstilzeleien entladen, mit denen Fritsch zuerst als Schauspieler und dann als spätberufener Regisseur für Furore sorgte.
Ein mobiler Scheinwerfer erinnert an Pixars Roboter Wall-E
Als er 2011 gleich zweimal auf dem Berliner Theatertreffen vertreten war, mit seiner Oberhausener „Nora“ und einem „Biberpelz“ aus Schwerin, wirkten diese Arbeiten aus der Provinz wie Befreiungsschläge. Fritsch stachelte seine Schauspieler zu allem an, was im Regietheater verpönt war, die große Geste, das rücksichtslos entfesselte Spiel, die sinnzersetzende Blödelei. Später spezialisierte er sich auf das Wiederbeleben vergessener Klamotten und auf fast sprachlose Abende, am bekanntesten wohl „Murmel, Murmel“ an der Berliner Volksbühne.
Im Schauspiel Köln durfte er sich zuletzt 2012 mit Brechts „Puntila“ austoben, nicht seine beste Arbeit, aber allemal ein wilder Ritt. „Rabatz!“ reiht sich nun in seine freieren Inszenierungen ein, aber bei aller Losgelöstheit von den Zwängen der Literatur, vermisst man hier entschieden die Spannkraft. Zum unbarmherzigen Takt eines Metronoms wackeln die sieben Abstrahierten durch den suprematistischen Raum, verfolgt von einem mobilen Scheinwerfer, der so menschlich wirkt wie Pixars einsamer Roboter Wall-E.
Das Publikum kann sich zurücklehnen, die vielen kleinen Gags, Clownerien und findigen Einzelaktionen genießen. Aber wirklich mitgerissen wird es nie. Wo der Abend pulsieren sollte wie ein Sharon-Eyal-Tanz, verläppert er, der große Knall bleibt aus.
Wie immer hat Fritsch auch die Applausordnung streng choreografiert, tritt selbst als Teil der Truppe aus dem schwarzen Zelt. Nur will der Beifall leider nicht ganz so lange anhalten wie die einstudierten Verbeugungen.

