Konzert in KölnUS-Rockstar Lucinda Williams trotzt dem Schlaganfall

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Lucinda Williams im Kölner Carlswerk Victoria.

Lucinda Williams am 8. März 2024 im Carlswerk Victoria.

Die große Singer-Songwriterin trat im Carlswerk Victoria in Köln-Mülheim auf. Unsere Kritik.

Lucinda Williams erinnert sich an alles. An die Landschaften des tiefen Südens der USA, die an ihr, dem fünfjährigen Kind, am Autofenster vorbeizogen. An das Geräusch von Reifen auf Kiesstraßen. An die Verwandten in der Nähe von Baton Rouge, die ihre Einfahrt mit kleinen weißen Muscheln dekoriert hatten.

Vom Bluessänger Blind Pearly Brown singt sie im bestuhlten Carlswerk Victoria, der den Bürgersteig zu seiner Kirche gemacht hatte und den sie mit ihrem Vater, dem rastlosen Dichter, eines Nachmittags im Jahr 1961 besucht hatte. Vom Trost einer Jukebox, die endlich spielt, was sie hören will, Muddy Waters und Patsy Cline, weil sie mal wieder als letzte in der Bar geblieben ist.

„Time“ nannte Lucinda Williams Amerikas beste Songschreiberin

„Time“ nannte sie einst Amerikas beste Songschreiberin, jetzt gehört auch „Time“ der Vergangenheit an, über die niemand so singen kann wie Williams. Nämlich ohne Nostalgie, sondern mit einem Elefantengedächtnis, das keine Verletzung vergisst.

Jahrzehntelang musste sie sich mit Jobs in Naturkost- und Plattenläden über Wasser halten, während Label um Label ihre Musik ablehnte, mal weil sie zu rau, mal weil sie zu rockig, mal weil sie zu Country klang. Sie war schon 35 Jahre alt, als sie mit ihrem dritten, schlicht „Lucinda Williams“ betitelten Album endlich   die Aufmerksamkeit der Kritiker gewann.

Lucinda Williams im Kölner Carlswerk Victoria.

Lucinda Williams im Kölner Carlswerk Victoria.

Das breite Publikum aber folgte erst zehn Jahre später, mit ihrem Meisterwerk „Car Wheels on a Gravel Road“. Man kannte Williams also immer schon als Singer-Songwriterin, die schon ein Leben gelebt hatte, von dem sie mit angegriffener Stimme – „ein bisschen Staub, gemischt mit Tränen“, wie sie in „Car Wheels ...“ singt – berichten konnte.

Nach einem Blutgerinnsel in der rechten Gehirnhälfte im Jahr 2020 musste sie sich ihre motorischen Fähigkeiten erst wieder zurückerobern, mit dem Gitarre spielen ist es seitdem leider vorbei. Auch in Köln wird sie auf die Bühne geführt, wirkt zerbrechlich. Allerdings nur so lange sie ihre Stimme nicht erhebt, für den toten Freund Tom Petty, für die zu Unrecht verurteilten West Memphis Three, für die Geister der Opfer von Vergewaltigungen und Morden entlang des Highway 20.

Das nennt man wohl Südstaaten-Gotik. Doch Musik ihrer vierköpfigen Backing-Band – kein Keyboard, dafür gelegentlich Pedal Steel Guitar – verspricht Trost, Wärme und Widerstand, wenn sich die beiden Gitarristen alternierend am Ende eines Songs zu himmelhoch jauchzenden Soli aufschwingen. Oder wenn Williams zur letzten Zugabe nach knapp zwei Stunden Konzert von einem Verflossenen ihr Recht auf Lebensfreude einklagt: „You took my joy, I want it back!“

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