Nachruf auf Larry KingEin Achterbahn-Leben und acht Ehen mit sieben Frauen

Larry King und seine letzte Frau Shawn Southwick King.
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In einer kalten Februarnacht des Jahres 1987, draußen toben die Ausläufer des heftigsten Wintersturms der Saison und bedecken die Hauptstadt mit einer 28 Zentimeter dicken Schneeschicht, liegt Larry King sterbend in der Notaufnahme eines Washingtoner Krankenhauses. Er ist 53 Jahre alt, und trägt schon diese schwarzumrandete Flaschenboden-Brille, die sonst nur alten Gangstern oder ihren Großmüttern steht. Aber noch erkennt ihn nicht jeder auf der Straße. Trotz erblicher Vorbelastung raucht Larry King drei Schachteln Zigaretten am Tag und treibt nie Sport. Sein Vater, ein aus Weißrussland emigrierter Barbetreiber, ist mit 43 an einem Herzinfarkt gestorben.
Der Tod hatte den damals neunjährigen Lawrence Harvey Zeiger aus der Bahn geworfen, er vernachlässigte die Schule und flüchtete sich in die Welt des Äthers, lauschte den Football-Spielen der Brooklyn Dodgers, fieberte mit den Abenteuern des „Lone Rangers“. Und träumte davon, eines Tages selbst die Stimme aus dem Radio zu sein.
Gar nicht so einfach, wenn man kaum den High-School-Abschluss geschafft hat. Der junge Lawrence hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Irgendwann setzte er sich in einen Bus nach Florida, heuerte bei einem kleinen Radiosender in Miami Beach als Hausmeister an. Als einer der Discjockeys nicht zur Arbeit erschien, durfte er endlich ans Mikrofon. Er hielt es bis zu seinem Tod fest umklammert.
„Lawrence Zeiger“ – zu jüdisch, zu wenig einprägsam
Drei Minuten vor Beginn seines ersten Programms eröffnete ihm sein Boss, dass er unmöglich als „Lawrence Zeiger“ auf Sendung gehen kann, zu jüdisch, zu wenig einprägsam. Eine Anzeige für „King’s Wholesale Liquors“ im „Miami Herald“ wurde zum Taufpaten: eine Schnapsidee.
„Larry Zeiger“, wird Larry King viele Jahre später der „Washington Post“ erzählen, „war ein übergewichtiges, pickelgesichtiges jüdisches Kind mit einem toten Vater und einer überfürsorglichen Mutter, das von der Sozialhilfe lebte.“ Seine Antwort auf die Nachfrage, wer dann Larry King sei?, fällt lakonisch aus: „All die Dinge, die Larry Zeiger nie war.“
In jener Februarnacht des Jahres 1987 springt Larry King dem Tod mit etwas Glück und fünf Bypässen von der Klinge. Anderthalb Jahre vor seinem Herzinfarkt hatte Ted Turner den Radiomann als Talkshow-Host für seinen Nachrichtensender CNN engagiert, der damals von den etablierten Medien wegen seiner ärmlichen Anmutung noch als „Chicken Noodle Network“ verspottet wurde.
King behielt fürs Fernsehen das Format seiner Radio-Talkshow bei, setzte sich seitlich statt frontal ins Bild, überließ den prominentesten Platz einem alten Bändchenmikrofon von RCA.
Haltung nach Fernsehmaßstäben unmöglich
Statt korrekt Jackett zu tragen, krempelte er die Ärmel seiner einfarbigen Hemden hoch, breite Hosenbänder hielten seine Beinkleider am Platz, als hätte er eben noch auf dem Börsenparkett Gebote abgegeben. Seine Haltung, der Kopf geiergleich vor die Schultern gesetzt, war nach Fernsehmaßstäben unmöglich, sein Interviewstil ignorierte die Regeln des investigativen Journalismus.
„Warum?“ lautete seine liebste Frage und er rühmte sich damit, sich niemals auf seinen Gesprächspartner vorzubereiten. Was unter anderem dazu führte, dass er Ringo Starr als George Harrison ansprach und den Dalai Lama für einen Muslim hielt.
Doch der einzige Prominente, der den Talker in all den Jahren wegen seines schulschwänzerhaften Improvisierens schalt, war der Comedian Jerry Seinfeld, der sich darüber erregte, dass ihn Larry King fragte, ob ihn sein Sender gefeuert habe, nachdem 75 Millionen Amerikaner das Finale seiner Sitcom „Seinfeld“ gesehen hatten.
Acht Ehen mit sieben Frauen
King bekümmerte das nicht, er sah sich wohl weniger als Journalist, denn als liebenswerten Gauner aus Brooklyn, der sich mit Beharrlichkeit und Chuzpe bis in die höchsten Kreise geschwindelt hatte. So hatte er es bereits vor seinem Durchbruch gehalten, hatte Frauen erobert, geheiratet, betrogen und sich wieder scheiden lassen, als wäre das ein Leistungssport (am Ende wurden es acht Ehen mit sieben Frauen). Hatte sich mit Schlagfertigkeit und Leutseligkeit ein mediales Netzwerk geschaffen, und wieder verloren, als er wegen Spielschulden und einer angeblichen Unterschlagung ins gesellschaftliche Abseits geriet.
Ein Achterbahn-Leben wie im Frank-Sinatra-Song: „You’re riding high in April, shot down in May.“ Auch „Larry King Live“, seiner CNN-Show, half letztlich der Zufall zum Erfolg, als der texanische Milliardär Ross Perot 1992 in der Sendung seine Präsidentschaftskandidatur als unabhängiger Mitbewerber bekannt gab, was fortan zu einer inoffiziellen Tradition unter den Kandidaten von Republikanern und Demokraten wurde.
Nicht, weil Larry King beharrlich nachgebohrt hätte, eher, weil er seinen Gästen ein freundliches Plauderumfeld schuf, in dem sich Geisterjäger und Muppets ebenso sicher fühlen konnten wie Staatenlenker und Entertainmentgiganten. Und zuhören, das konnte er besser als seine seriöseren Kollegen.
50 000 Gesprächspartner sollen es gewesen sein
Es gab eigentlich niemanden, mit dem King nicht so freundlich wie – scheinbar – ahnungslos getalkt hätte, von Muammar al-Gaddafi bis Lady Gaga, von Barack Obama bis O.J. Simpson, den King nach dessen fragwürdigem Freispruch mit einem geräusperten „How are you?“ begrüßte.
Das wirkte so, als wäre King 1987 in der Washingtoner Notaufnahme in einen Medienhimmel entschwebt, in dem man mit Jedermann und -frau einen Schwatz halten kann, weil ja alle längst gerichtet sind.
Am Ende sollen es an die 50 000 Gesprächspartner gewesen sein, das war jedenfalls die Zahl, die Larry King gerne öffentlich wiederholte. Was dazu führte, dass ausgerechnet der Nicht-Journalist und Fabulant King in der Öffentlichkeit zum Gewährsmann des Realen wurde: Wollte ein Hollywood-Film seine Zuschauer davon überzeugen, dass seine Geschichte in der Wirklichkeit wurzelte, setzte er seine jeweilige Hauptfigur in einer fiktiven Ausgabe von „Larry King Live“ dem „Warum“-Frager gegenüber: von „Ghostbusters“ bis „Dave“, von „Staatsfeind Nummer Eins“ bis „Contact“.
Auf diese Weise wurde Larry King weltberühmt, als Vorzeichen der Prominenz, wer nicht wenigstens einmal von ihm mit freundlichen Eulenaugen angestarrt worden war, den konnte es doch eigentlich gar nicht geben.
Am Samstag ist Larry King im Alter von 87 Jahren nach einer Covid-19-Infektion in Los Angeles gestorben.