Lavinia Wilson über „Andere Eltern“„Beim Kinderkriegen drehen die Leute durch“

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Lavinia Wilson (Mitte) mit Fernsehpartner Jasin Challah in „Andere Eltern

Lavinia Wilson (Mitte) mit Fernsehpartner Jasin Challah in „Andere Eltern

Köln – Frau Wilson, Sie spielen in der Mockumentary „Andere Eltern“ Nina, die in Nippes mit anderen Eltern eine Kita gründen will. Für die Serie gab es kein Drehbuch, Sie mussten improvisieren. Wie lief das ab, woher wussten sie, wie sich die Geschichte entwickelt?

Lavinia Wilson: Es gab nur grobe Vorgaben: Nina hat zwei Kinder, ist schwanger, ist die Initiatorin, geht immer vorne weg, aber was mit der Figur passiert, wussten nur die Autoren. Wir haben alle paar Wochen einen Zettel bekommen, auf dem stand, wie es weitergeht. Man muss sich viel besser vorbereiten als bei einem „normalen“ Film, weil man viel spontaner reagieren muss. Improvisation funktioniert nur, wenn man die Kontrolle abgibt. Ich habe aber eine Figur gespielt, die zwar so tut, als wäre sie entspannt, aber letztlich total kontrollsüchtig ist. Das war schon ein schizophrenes Unterfangen.

Wie kann das funktionieren? Improvisation ist nur lustig, wenn sich alle gemeinsam aufs Glatteis begeben. Das heißt, dass man auch mal über das Ziel hinausschießt und Sachen sagt, die man lieber zurücknehmen würde. Zunächst war es daher wichtig, in Vorgesprächen mit den Autoren und dem Regisseur Lutz Heineking Vertrauen zu fassen. Man muss einen geschützten Raum schaffen, wo man sicher sein kann, dass die Figuren zwar vorgeführt werden, aber am Ende nicht ihre Würde verlieren.

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Man verzeiht Frauen weniger Fehler als Männern

Man merkt der Serie an, dass es Ihnen Spaß gemacht hat, sich ein wenig lustig über Nina zu machen. Aber man hat ja trotzdem eine Verantwortung für die Figur, oder?

Natürlich, total. Ich glaube, dass eine gute Komödie immer nur dann funktioniert, wenn man die Figuren in ihrer Not ernst nimmt. Ich weiß, wie anstrengend Nina wirken kann. Aber ich habe auch einen liebevollen Blick auf sie, weil sie nur das Beste für sich und ihre Kinder will. Sie hat auch ein unglaubliches Bedürfnis, gesehen zu werden. Und das kann ich als Schauspielerin durchaus verstehen.

Wie haben Sie sich vorbereitet auf diese Rolle?

Ich habe vorher viele Mama-Blogs gelesen und war total geplättet von dieser ziemlich absurden Mischung aus Achtsamkeitsrhetorik und Konsumanreiz. Diesen Widerspruch habe ich versucht in Nina anzulegen, weil das einfach viel über unsere Gesellschaft aussagt. Man will eigentlich alles richtig machen, aber letztendlich geht alles schief – aus welchen Gründen auch immer. Nina schwankt ständig. Mal bricht bei ihr der Egoismus durch, dann will sie wieder etwas Gutes tun. Ich hatte die Figur in einem Moment, in dem ich nicht mehr nachgedacht habe und ein Satz rauskam, der sie toll beschreibt: „Ich will mich ja gar nicht in den Vordergrund drängen, aber ich kann’s einfach am besten“. Da wusste ich: Ja, so ist die drauf.

Lavinia Wilson

Lavinia Wilson

Glauben Sie, dass diese Mama-Blogs und -Influencerinnen den Druck auf Eltern erhöhen, weil bei denen scheinbar alles perfekt ist? Das Perverse ist ja, dass sogar das Unperfekte glorifiziert wird. Es gibt mittlerweile eine eigene Ästhetik für Schwangerschaftsstreifenbäuche. Wenn es heißt, wir sind alle nicht perfekt, dann ist das auch schon wieder perfektioniert. Es ist eine Fake-Spirale, aus der man nicht rauskommt. Entweder man ist von Natur aus resilient oder man hält sich so weit wie möglich fern, sonst macht es einen verrückt.

Haben wir ein überhöhtes Elternbild, das keine Fehler erlaubt?

Ich glaube, die erste Regel zum entspannten Elternsein ist zuzugeben, dass man keine Ahnung hat. Es gibt ja auch keine Schule dafür, man kann es nicht lernen. Aber diese übertriebene Sorge ums Kind ist ein Phänomen, das letztlich für viel mehr steht. Kinderkriegen ist ein massiver Einbruch in unsere von Optimierungswahn und Perfektionismus durchdrungene Welt. Das Leben wendet sich um 180 Grad. Man ist gepolt auf Selbstverwirklichung und Individualisierung, und dann kommt etwas, dass dich 24/7 fremdbestimmt. In einer Welt, in der wir uns alle Optionen offenhalten wollen, ist es eine Entscheidung, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Da drehen manche Leute durch. Kinderkriegen wird zum Brennglas, das gesamtgesellschaftliche Tendenzen sichtbar macht.

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Sind die Erwartungen, die an Mütter gestellt werden, heutzutage besonders hoch?

Ja, die Erwartungen an Frauen sind höher als an Männer. Man verzeiht Frauen auch weniger Fehler. Das haben wir auch in der Pandemie gesehen. Die krasse multiple Belastung durch Homeoffice, geschlossene Kitas und Schulen und Haushalt ist meist an den Frauen hängengeblieben. Deshalb brauchen jetzt auch mehr Frauen als Männer eine Burnout-Behandlung. Da ist schon noch was zu tun für die Gleichberechtigung.

Die Serie zeigt sehr schön, in welchen Blasen wir leben und dass wir uns und unsere Probleme manchmal ganz schön wichtig nehmen, oder?

Natürlich sind die Probleme, die wir haben, oft Luxusprobleme. Wir leben unseren Konsum und unsere Lebensqualität auf Kosten des Rests der Welt. Deswegen hilft es, ab und zu aus der Blase rauszukommen, die eigenen Probleme zu relativieren und sich vielleicht mal zu überlegen, ob man anderen helfen kann. Man sieht das auch bei Nina. Sie will, dass in die Kita auch Kinder aus Chorweiler kommen, sagt dann aber: „Sie sollen so wie wir sein, nur einfach ärmer.“ Das zeigt ja sehr schön diese Hybris.

Aber immerhin versucht sie, etwas zu ändern.

Genau, deshalb ist es auch kein Grund, sie zu verurteilen. Ich kann auch dieses Grünen-Bashing nicht mehr hören, das nervt mich unsäglich. Sie probieren es wenigstens. Es wird halt schwierig an dem hakeligen Punkt, wie man andere überzeugt. Ich setze mich zum Beispiel gerade in Berlin für eine Bürgerinitiative ein, die ein autofreies Berlin will. Ich finde das Konzept überzeugend, aber was mir da auch im eigenen Bekanntenkreis für ein Unwillen entgegenschlägt, ist erstaunlich. Wenn es an die eigene Bequemlichkeit geht, wird es für viele Leute schwierig. Ich nehme mich da gar nicht aus. Aber geht es denn ohne Verzicht?

Köln ist sehr viel heimeliger als Berlin

„Andere Eltern“ spielt in Nippes, Sie leben in Berlin. Wie groß sind da die Unterschiede, wenn es ums Elternsein geht?

Die grüne Wohlstandblase zwischen Kindererziehung, Yogamatte und Hafermilch ist schon sehr ähnlich. Aber natürlich sind das auch völlig unterschiedliche Orte. Es ist nicht austauschbar. Köln hat einfach etwas sehr viel Heimeligeres. Köln ist die einzige Stadt, in der mir ein Taxifahrer mal die Fahrt geschenkt hat, weil wir im Stau standen. Das würde einem in Berlin nie passieren.

Sie haben ebenfalls mit Lutz Heineking und der Kölner Produktionsfirma btf die Miniserie „Drinnen“ gedreht, in der Sie eine Mutter spielen, die vor dem Computer im Homeoffice versucht, ihr Leben irgendwie zu regeln. Das war tatsächlich eine der wenigen guten Erfahrungen der Pandemie. Das hat nur deshalb so gut funktioniert, weil ich Lutz schon kannte. Ich will auf Dauer nicht so arbeiten, aber in der Situation war es das Beste, was mir passieren konnte, weil ich festhalten und überhöhen und auf den Punkt bringen konnte, was so vielen Menschen gerade passiert. Ich konnte sie da abholen, wo sie sind. Es gab keine Recherche und keine Vorbereitung. Ich habe mich einfach drauf eingelassen und gedacht, das ist ein Experiment, wenn es nach hinten losgeht, haben wir Pech gehabt, aber es hilft nichts, man muss es ausprobieren. Und zum Glück hat es funktioniert. 

„Andere Eltern“, ZDFneo, ab 10. August, 23.15 Uhr. Alle Folgen sind abrufbar in der ZDF Mediathek.

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