Mick Jagger wird 80Warum der Rolling-Stones-Frontmann noch immer der größte Rockstar ist

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Die Rolling Stones während ihres Konzerts in Gelsenkirchen im Jahr 2022: Ron Wood trägt eine rote Glitzerjacke, Mick Jagger eine schwarze Hose und eine blaue Jacke, Keith Richards eine Lederjacke und Sonnenbrille

Ron Wood (l-r), Mick Jagger und Keith Richards im Juli 2022 in Gelsenkirchen

Der Rolling-Stones-Frontmann hat dem Alter ein Schnippchen geschlagen und wirbelt noch immer wie ein hyperaktives Kinder über die Bühnen dieser Welt. 

Eine Freundin arbeitete als Krankenpflegerin in einer Londoner Privatklinik. Vor einigen Jahren hatte sie einen jungen Patienten, der irgendwann ankündigte, sein Vater komme gleich zu Besuch. Der Tonfall war etwas genervt, so wie man das eben manchmal von seinen Eltern ist, wenn man jung ist. Umso größer war ihre Überraschung, als plötzlich Mick Jagger das Zimmer betrat.

Es ist doch ein tröstlicher Gedanke, dass sogar Mick Jagger seinen Kindern offensichtlich manchmal ein kleines bisschen peinlich ist. Er wird es verschmerzen, denn in einem Alter, in dem andere Bingo im Seniorenheim spielen, zieht der Brite immer noch über die Bühnen dieser Welt. 80 Jahre alt wird er am 26. Juli, sein Bandkollege und kongenialer „Glimmer Twin“ Keith Richards folgt ihm im Dezember.

Wie lange er den Job denn eigentlich noch machen wolle, sei er zum ersten Mal gefragt worden, als er 33 Jahre alt war, erzählte er im vergangenen Jahr der „Zeit“: „Ganz ehrlich: Ich hatte damals keine Ahnung und weiß es heute immer noch nicht. Ganz offensichtlich nicht ewig. Aber solange man es genießt und immer noch in der Lage ist, es zu tun, machen wir eben weiter.“

Mick Jagger: Bis zu 19 Kilometer auf der Bühne unterwegs

Und warum denn auch nicht? Die Rolling Stones füllen immer noch die ganz großen Arenen. Und wer erlebt hat, wie er vor einem Jahr in Gelsenkirchen über die Bühne stürmte, als gäbe es kein Morgen, stellt sich die Frage nach einem Ende nicht. Wie eine dieser aufblasbaren Wackelfiguren reckt er die Hände in die Luft und wirkt eher wie ein hyperaktives Kind denn wie ein Greis. Bis zu 19 Kilometer ist er laut Berechnungen von Fans pro Konzert unterwegs. Da sage noch einer, das Rockstar-Leben halte nicht jung. 

Hätte man in den 1960ern, als der Stern der Stones aufging, Geld darauf gewettet, dass sie 60 Jahre später immer noch auf der Bühne stehen, wäre man heute vermutlich sehr reich. Das Rockstar-Leben hat die Band zelebriert, es war Teil des Konzepts, der Abgrenzung von den Beatles, die Stones-Fans brav und spießig fanden. 

Sie müssen niemandem mehr etwas beweisen, haben rund 240 Millionen Alben verkauft im Laufe ihrer Karriere. Und 52 Jahre nach „Jumpin' Jack Flash“ standen sie im Pandemie-Jahr 2020 mit "Living in a Ghost Town" wieder auf Platz 1 deutschen Single-Hitparade. Das war die längste Spanne zwischen zwei Nummer-1-Hits, die es in Deutschland jemals gab – und damit waren sie zugleich die bislang ältesten Spitzenreiter. Der Song bewies, dass sie immer noch etwas zu sagen haben und viel mehr sind als ihre eigene Tribute-Band.

Krieg war das beherrschende Thema seiner Kindheit

Am Londoner Bahnhof King's Cross mag es das für Harry-Potter-Fans wichtige Gleis 9 3/4 geben. Für Stones-Fans ist hingegen Gleis 2 am Bahnhof Dartford der wahre Inbegriff einer magischen Begegnung. Am 17. Oktober 1961 trafen dort Mick Jagger und Keith Richards aufeinander, die sich schon aus der Schule kannten. Die beiden Teenager begründeten eines der erfolgreichsten Songschreiber-Duos der Musikgeschichte. Daran erinnert heute eine Plakette.

Die beiden verband, mit Eltern aufzuwachsen, die vom Zweiten Weltkrieg traumatisiert waren. „I was born in a crossfire hurricane“ - Mit dieser Zeile beginnt „Jumpin’ Jack Flash“, einer der bekanntesten Songs der Stones. Der Krieg sei das beherrschende Thema seiner Kindheit und Jugend gewesen, sagte Jagger mal.

Vor einem Jahr in Gelsenkirchen trug Ron Wood zu „Gimme Shelter“ ein gelbes Shirt, Jagger ein blaues Sakko und die LED-Wand zeigte zerbombte Häuser in der Ukraine. Auch das ist Jagger, der achtfache Vater bezieht Stellung, engagiert sich für Klimaschutz, ist auch in den sozialen Medien aktiv.  

Ich lebe im Hier und Jetzt, nicht in irgendeinem Paralleluniversum, in dem die Sechzigerjahre niemals aufgehört haben
Mick Jagger

Das einzige Beständige ist bekanntlich der Wandel und obwohl die Stones für Kontinuität wie keine andere Rockband stehen, hat Jagger das verstanden. „Brown Sugar“, einen ihrer größten Hits, spielen sie nicht mehr, weil Kritiker dem Song vorwerfen, rassistisch und sexistisch zu sein. Er würde ihn heute so nicht mehr schreiben, so Jagger.

Im Gespräch mit der „Zeit“ betonte er, der Song sei 50 Jahre alt, die Dinge veränderten sich von Generation zu Generation: „Ich bin offen für diese Veränderungen, einige gefallen mir, andere nicht, aber ich akzeptiere sie und lasse mich voll und ganz auf sie ein. Ich lebe im Hier und Jetzt, nicht in irgendeinem Paralleluniversum, in dem die Sechzigerjahre niemals aufgehört haben.“

Als Schlagzeuger Charlie Watts im August 2021 starb, was für die Band ein echter Schock war, dachten manche, das sei das Ende der Stones. Doch die Band machte weiter. Bei ihrer Tour im vergangenen Jahr spielten sie „Out of Time“ aus dem Jahr 1966 zum ersten Mal live. Sind sie aus der Zeit gefallen? Die Frage hat sich seit Jahren erübrigt. Die Stones sind ihr eigenes Denkmal geworden, da gelten solch profane Kategorien nicht mehr. 

Die Rockmusik hat viele ihre Helden jung verloren, ihr eigenes Ex-Bandmitglied Brian Jones ist das beste Beispiel. Doch echte Helden sterben eben nicht jung, das kann - zynisch gesprochen - jeder. Wahrhaft heroisch ist es doch, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen. Mick Jagger ist das meisterhaft gelungen. Er mag mit dem Teufel im Bunde sein, aber dieser muss dennoch hoffentlich noch eine ganze Weile auf ihn warten. 

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