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Musik, die verbindetKölner Karinettenmusik-Festival Multiphonics

4 min
Gina Schwarz

Annette Maye ist Klarinettistin und Musikwissenschaftlerin - und seit der ersten Ausgabe 2013 künstlerische Leiterin des Multiphonics Festivals.

Das Programm von Multiphonics #12 präsentiert in Köln weltoffene Musik und lädt ein zu Verständnis und Verständigung.

Als der Klarinettist Rolf Kühn einmal mit der gefeierten Cellistin Asja Valčić spielte, schwärmte er: „Mit ihr kann man zusammen atmen.“ Womit er darauf anspielte, dass es jenseits der instrumentellen Virtuosität etwas gibt, das weniger mit Intonation, Dynamik und Tonlänge zu tun hat als eher mit gegenseitigem Verständnis und vorbehaltlosem Vertrauen. In diesem Sinne hätte sich Kühn auf dem diesjährigen Multiphonics Festival sehr wohlgefühlt: So profund wie vielfältig, so emphatisch wie sinnlich, so weltoffen wie neugierig taucht das Festival mit seiner zwölften Ausgabe in multiphonische Klangbereiche von Jazz, Weltmusik und Avantgarde ein und lädt dazu ein, „Musik zu atmen“.

Sieben Tage Jazz- & World-Konzerte

Sieben Tage lang präsentiert das Festival verheißungsvolle Jazz- und World-Konzerte, in denen einmal mehr die Klarinette im Mittelpunkt steht. Im wahren Wortsinn spielerisch rankt sich alles um die große, traditionsreiche Klarinetten-Familie, ergänzt um nah- und fernverwandte Holzbläser wie Flöten, Klarinetten und Saxofone. Dahinter steht seit Festivalbeginn die ambitionierte kulturpolitische Idee eines grenzüberschreitenden Miteinanders im (welt-)musikalischen wie auch menschlichen Sinne.

Prototypisch steht dafür das 15-köpfige Beyond the Roots Large Ensemble, das Annette Maye, selbst Klarinettistin und seit der ersten Festivalausgabe 2013 künstlerische Leiterin von Multiphonics, vor drei Jahren angestoßen hat: „Das Projekt geht jetzt in seine dritte Runde, wobei es jedes Mal einen anderen Schwerpunkt hat. Was die Ausgaben miteinander verbindet, ist ihr transkultureller Background: Immer geht es um den Dialog über kulturelle Grenzen hinaus, also keine Folklore, auch keine ‚Weltmusik‘, eben ‚beyond the roots‘. Wir öffnen uns dabei ebenso für den Jazz wie für zeitgenössische Musik, zugleich verbindet das Beyond the Roots Large Ensemble die vorderasiatische, indische und japanische Musikkultur mit mitteleuropäischen Kunstsprachen.“

Dialog über Grenzen hinweg

In der diesjährigen Ausgabe folgt das Large Ensemble Kompositionen von Mahan Mirarab und Golnar Shahyar. Beide wuchsen in Teheran auf und kommen aus Wien, wo sie seit Jahren leben, zu Multiphonics. Neben Annette Maye selbst sind unter anderem Sängerin Filippa Gojo, Daniel Manrique Smith (Flöten), Shannon Barnett (Posaune), Eva Zöllner (Akkordeon), Hindol Deb (Sitar), Albrecht Maurer (Violine) und Jörg Brinkmann (Cello) zu hören. Einen besonderen Klang steuert der ebenfalls im Iran aufgewachsene Musiker Misagh Joolaae auf der „Stachelgeige“ Kamancheh bei.

Gina Schwarz nebst Instrument in einem babyblauen Auto

Dem Festival seit langem eng verbunden: Bassistin und Komponistin Gina Schwarz. Ihr Bass weist wohl den „Way to Blue“.

Seit langem eng mit dem Festival verbunden ist die österreichische Bassistin und Komponistin Gina Schwarz, die mit dem Ensemble Multiphonics 8 ihr Werk „Way to Blue“ aufführen wird. „Das Projekt ist aus dem Festival heraus entstanden“, sagt Annette Maye. „Die gemeinsame Ausgangsidee war, als Blasinstrumente ausschließlich einen fünfköpfigen Klarinettensatz einzusetzen. Ansonsten ließ sich Gina Schwarz vom britischen Singer-Songwriter Nick Drake und seinen Songs inspirieren, schrieb aber doch ihre ganz eigenen Stücke: keine wiedererkennbaren Bearbeitungen, sondern sehr persönliche, autobiografische Geschichten.“ „Way to Blue“ ist ein musikalisch abwechslungsreiches Werk, mitunter nachdenklich und introspektiv, immer wieder aber voller positiver Energie.

Musikalische Reflexion über die Stille

Nick Drake fragte in seinem Song „Way to Blue“: „Have you seen the land living by the breeze?”, und auch da klingt von Ferne jenes Motiv des (wehenden) Atmens an. Auf gänzlich andere Weise ist es dem betörenden Projekt „Souffles“ der Flötistin, Nay-Spielerin und Sängerin Naïssam Jalal eingeschrieben: Tatsächlich atmet auch sie mit ihren hochkarätigen Duo-Partnern, darunter Émile Parisien, Louis Sclavis und Arche Shepp. Nach Köln kommt sie nun mit dem wesensverwandten, spirituellen Ensemble „Landscapes of Eternity“, das Jazz mit nordindischer Musiktraditionen verbindet. Naïssam Jalal wurde als Tochter syrischer Eltern in Paris geboren, hörte auf der Suche nach ihren Wurzeln intensiv hindustanische Musik und reiste schließlich zu deren Ursprüngen nach Indien. Daraus entstand „Landscape of Eternity“ als tiefgründige, klangintensive Reflexion über die Stille.

Naisam Jalal

Flötistin Naïssam Jalal

Was bei aller Vielfalt und stilistischen Verschiedenheit die Musizierenden der diesjährigen Multiphonics-Ausgabe eint, ist ihre Suche nach den Möglichkeiten einer Musik, die Menschen miteinander verbindet. Sie zelebrieren nicht nur Traditionen und kulturelle Wurzeln, öffnen vielmehr weit Fenster in die Welt. Das gilt für das brillante Multiphonics Improvisers Orchestra ebenso wie für das Duo Thomas Savy (Klarinetten) und Pierre-Francois Blanchard (Klavier), nicht zuletzt auch für Markus Stockhausen (Trompete), Florian Weber und Claudio Puntin (Klarinetten), ein Trio, das exklusiv vom Festival zusammengerufen wurde. Auch diese drei Ausnahmekünstler sind seit vielen Jahren miteinander vertraut und spielen nicht im Voraus planbare Musik als betont gewagten Sprung ins Ungewisse.

Auf sinnliche und zugleich risikofreudige Weise löst das Festival erneut seinen Anspruch ein, über die Aufführung weltoffener Musik hinauszuwirken. Dabei schärft der „fremde“ Blick auf die eigene musikalische Kultur auch das Verständnis der eigenen musikalischen Prägung. Was für den musikalischen Austausch gilt, gilt auch für eine multikulturelle Gesellschaft: Verständnis ermöglicht Verständigung, und umgekehrt. Eben: Zusammen atmen.


Multiphonics Festival, Jazz- und World-Konzerte rund um die Klarinette. 12. – 18.10., an mehreren Spielstätten in Köln.

Alle Infos stehen unter: multiphonics-festival.com