Nachruf auf Astrud GilbertoFür ihren größten Hit erhielt sie nur 120 Dollar

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Die brasilianische Sängerin Astrud Gilberto posiert für ein Foto in New York am 20. August 1981. Astrud Gilberto, die brasilianische Sängerin, Songwriterin und Entertainerin, die durch ihren unbedachten, englischsprachigen Auftritt in „The Girl from Ipanema“ zur weltweiten Stimme des Bossa Nova wurde, ist im Alter von 83 Jahren gestorben.

Sängerin Astrud Gilberto ist mit 83 Jahren gestorben

Mit „The Girl from Ipanema“ wurde die brasilianische Sängerin Astrud Gilberto zum Weltstar. Jetzt starb sie mit 83 Jahren in Philadelphia.

„Flieg mich zum Mond“, singt Frank Sinatra und träumt vom Frühling auf dem Jupiter oder Mars. Vor „Jupiter“ fügt er noch ein Extra-„A“ ein: „A-Jupiter“. Ein Swing-by-Manöver, wie es die Russen bereits für ihre Mondsonde Luna 3 verwendet hatten. Kein Wunder, dass Sinatras 1964er-Aufnahme von „Fly Me to the Moon“ mit dem Apollo-Programm der Nasa in Verbindung gebracht und später noch an Bord von Apollo 11 gespielt wurde, der selbstgewisse Sänger beschleunigt die romantische Ballade auf Fluchtgeschwindigkeit.

Ich bevorzuge trotzdem die Version von Astrud Gilberto, die im Jahr darauf erschien. Mit dem Stimmumfang und der schieren Kraft des Mannes aus Hoboken kann die Brasilianerin selbstredend nicht mithalten. Ja, sie singt nachgerade träge und flach, fast flüstert sie. Raketenstufen werden hier keine gezündet. Aber wie unschuldig und wehmütig und in ihrem mädchenhaften Weltschmerz auch sehr sexy sie klingt! Als wüsste sie schon, dass selbst der höchste Flug wieder auf dem Boden endet.

Astrud Gilberto starb bereits am Montag im Alter von 83 Jahren in ihrer US-amerikanischen Wahlheimat Philadelphia, was zuerst ihre siebenjährige Enkeltochter Sofia auf Instagram vermeldete.

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Astrud Gilberto war die Tochter eines deutschen Sprachprofessors

Geboren wurde die Sängerin als Astrud Evangelina Weinert, Tochter einer brasilianischen Mutter und eines deutschen Vaters, in Salvador de Bahia, verbrachte ihre Teenie-Jahre aber in Rio de Janeiro. Fritz Weinert war Professor für Linguistik, und auch seine jüngste Tochter beherrschte bald mehrere Sprachen fließend, das würde sich noch auszahlen.

In ihrer Freizeit sang sie mit einer Gruppe von jungen Musikern, die später Stars der brasilianischen Popszene werden sollten. Einen davon, den Bossa-Nova-Miterfinder João Gilberto, heiratete sie, da war sie gerade erst 19. Ein anderer, Vinícius de Moraes, sollte zusammen mit Antônio Carlos Jobim den Song komponieren, der sie weltberühmt machte: „Garota de Ipanema“.

Ein paar Jahre nach ihrer Heirat reiste João Gilberto mit seiner Frau nach New York City, um dort ein Album mit dem Jazz-Saxofonisten Stan Getz aufzunehmen. Wer die Idee hatte, Astrud Gilberto eine englische Strophe des Liedes singen zu lassen, das jetzt „The Girl from Ipanema“ hieß, darüber gehen die Meinungen auseinander. Hatte sich Ms Gilberto, deren Stimme nie zuvor aufgenommen worden war, selbst ins Spiel gebracht, oder war es ein Vorschlag des Produzenten Creed Taylor? Astrud Gilberto erzählte später in Interviews, dass es ihr Mann war, der sie mit der Bitte, den Refrain auf Englisch einzusingen, überrascht hatte. Er selbst sprach nur Portugiesisch.

Später veröffentlichte das Label Verve „The Girl From Ipanema“ in einer komplett von Astrud Gilberto auf Englisch eingesungenen Version und diese wurde zum Welthit, der Stan Getz und João Gilberto reich machte und sie zum Star. Sie selbst erhielt freilich nur einen Tageslohn von 120 Dollar. Ihre Ehe scheiterte kurz darauf, es lag wohl auch am Neid des Profimusikers auf den unerwarteten Ruhm seiner Frau. Für die Öffentlichkeit war sie das Mädchen vom Ipanemastrand, das mit aufreizend leidenschaftsloser Stimme davon sang, seine Bewunderer mit offenen Mündern hinter sich zu lassen.

Dass Astrud Gilberto eine unbedarfte Hausfrau sei, die zufällig vor ein Mikrofon geschubst wurde, wie es Stan Getz der Presse erzählte, war allerdings eine glatte Lüge. Getz nahm sie mit auf Tour, begann eine unglückliche Affäre mit ihr, und bezahlte sie kläglich. Auch ihr Label Verve, klagte Gilberto später, hielt Tantiemen zurück. Ab Ende der 1960er zog sie sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück.

Da hatte sie allerdings bereits etliche berühmte Fans gefunden, sang unter anderem für James Last, Ennio Morricone und George Michael. Die hörten in ihrer Stimme, wie so viele andere auch, nicht heroische Aufschwünge in Richtung Jupiter und Mars, sondern den Strand und den Sommerwind und das süße Leben im Schatten junger Mädchenblüte.

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