Neue Single „Demokratie“Dass Die Ärzte über ihren neuen Song streiten, ist das Beste an ihm

Ein Kommentar von
Lesezeit 2 Minuten
26.08.2016, Mecklenburg-Vorpommern, Jamel: Farin Urlaub (l-r), Bela B. und Rodrigo Gonzalez von der Band Die Ärzte stehen auf der Bühne des Open-Air-Musikfestivals «Jamel rockt den Förster» - Rock gegen Rechts.

Farin Urlaub (l-r), Bela B. und Rodrigo Gonzalez von der Band Die Ärzte auf der Bühne eines Rock-gegen-Rechts-Festivals in Mecklenburg-Vorpommern.

Vor der Europawahl mahnen Die Ärzte dazu, wählen zu gehen. Ist das noch Punk? Unser Kommentar.  

Selten klangen die Ärzte so staatstragend: „Sie ist vielleicht die mächtigste Idee der Galaxie/ Geboren in Griechenland/ Millionen gibt sie Hoffnung, Diktatoren fürchten sie“, reimt das Berliner Trio auf seiner neuen Single „Demokratie“. Der Song stammt von ihrem bislang letzten Album „Dunkel“ aus dem Jahr 2021, so neu ist er also nicht mehr. Aber brandaktuell.

Weshalb die Band den Song jetzt verspätet ausgekoppelt und mit einem KI-generierten Animationsvideo versehen hat. Neutralität sei keine Option mehr, glaubt Farin Urlaub. Deutschland, moniert der Sänger im dpa-Interview zur Single, werde den USA immer ähnlicher: „Alle schreien, niemand hört mehr zu; alle haben recht, Fehler machen immer die Anderen; und Kompromisse gelten schon als eine Niederlage“.

Und sein Bandkollege Bela B. fragt sich, warum nur gerade so viele Leute an der Demokratie zweifeln, wo sie doch ein besonders zu schützendes Gut sei. Wer wollte da widersprechen? Dennoch denkt man mit Wehmut an die Zeit zurück, als die Ärzte noch spätpubertären Blödsinn veröffentlichten, der dann prompt als „jugendgefährdend“ indiziert wurde – was bekanntlich dazu geführt hat, dass mehrere Generationen von Ex-Jugendlichen „Claudia hat 'nen Schäferhund“ noch auf dem Sterbebett auswendig singen können werden.

Aber da waren Urlaub und B. ja selbst noch jung und dumm und stolz darauf, heute haben die beiden Musiker die 60 überschritten, da bleiben Lernprozesse nicht aus und man kann nicht ernsthaft verlangen, dass sie weiterhin mit albernen Poesiealbums-Reimen die „Geschwisterliebe“ feiern.

Eher noch könnte man einwenden, dass die Ärzte ihr ewig gültiges Lied gegen die Gefahr von rechts längst veröffentlicht haben: „Schrei nach Liebe“ feierte vergangenes Jahr sein 30-Jähriges und auch das werden noch viele freudig mitgrölen können. Zudem jeder seiner Verse ätzender, treffender und lustiger sind, als irgendeine der arg didaktisch geratenen Zeilen von „Demokratie“: „Und falls du dich jetzt fragst, wie man die Welt verbessern kann/ Wie wär's mir wählen gehen?/ Dein Kreuz gegen Hakenkreuze, damit fängt es an/ Dem Hass zu widerstehen.“ Voll korrekt, gerade auch im Hinblick auf die Europawahl im Juni. Aber auch unangenehm pädagogisch.

Die beste Lektion hat die Band indes im Untertitel der Single versteckt: „Our Bass Player Hates This Song“ lautet der. Auf Nachfrage bestätigt Rodrigo González, dass sich daran bis heute nichts geändert hat: Mit so einem „Sendung mit der Maus“-Text entzaubere man sich ein bisschen. Prompt wurde sein Widerspruch von der Zweidrittelmehrheit des Trios dem Stück vorangestellt. So lebt man also Demokratie, Ärzte sei Dank.

KStA abonnieren