Neuer KrimiWie sich J.K. Rowling 1360 Seiten lang als Opfer inszeniert

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J.K. Rowling  

London – Eine supertoxische Fangemeinde sei das, die sich da um die kleine Youtube-Animationsserie „Das tiefschwarze Herz“ versammelt habe, verrät eine Kollegin der Detektivin Robin Ellacott. Ihre Ex-Freundin sei von den Youtube-Clips um die seltsamen Bewohner des Londoner Highgate-Friedhofs besessen  gewesen. 

Gerade hat Ellacott einen Auftrag der Serienerfinderin Edie Ledwell abgelehnt. Die Detektei, die sie zusammen mit dem unterschenkelamputierten Kriegsveteranen Cormoran Strike betreibt, ist mit lukrativen Fällen ausgebucht. Und überhaupt erschien ihr Fedwell doch ziemlich verwirrt, und verwirrend klang auch deren Geschichte vom hasserfüllten Designer eines inoffiziellen Online-Spiels zu „Das tiefschwarze Herz“, der (oder die) ihr unter dem Pseudonym „Anomie“ das Leben zur Hölle mache, intime Details aus ihrem Leben veröffentliche und auf Twitter den Internet-Mob auf sie hetze.

Kurz darauf wird Edie Fedwell just auf dem Highgate-Friedhof, auf dem ihre Animationsserie spielt, erstochen aufgefunden. Neben ihr, schwer verletzt, ihr Ex-Freund und Mitschöpfer Josh Blay. Jetzt müssen Robin Ellacott und Cormoran Strike natürlich ermitteln und sich mitten in jene toxische Fangemeinde stürzen, in der sich mehr rachsüchtige Mordverdächtige finden als in zehn Agatha-Christie-Romanen.

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Ein Krimi über Kommentarspalten-Trolle

„Das tiefschwarze Herz“ ist bereits der sechste Roman in der „Cormoran Strike“-Reihe des Schriftstellers Robert Galbraith. Weil Galbraith aber ein Pseudonym ist, dessen  wahre Identität – die „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling – kurz nach seinem ersten Roman „Der Ruf des Kuckucks“ enthüllt wurde, liest man den durchaus genrekonformen Whodunit-Schmöker unweigerlich mit der Lupe.  Ein Krimi über Kommentarspalten-Trolle und vergiftete Fankultur? Mit der Schöpferin einer kultisch verehrten Fantasywelt als unschuldigem Opfer verquerer Ansprüche und Vorwürfe von links und rechts?

Kaum war der Roman vor einer Woche im englischen Original erschienen, schwappte die Empörung hoch. Die Vorwürfe lassen sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Eine transphobe Bestsellerautorin versteckt sich hinter einem männlichen Pseudonym, um sich als Opfer zu inszenieren, widerlich sei das.

Rowling hat sich in der Gender-Debatte gründlich verrannt 

Dass sich Rowling in den vergangenen Jahren gründlich in der Debatte um Geschlechtsidentität verrannt hat, wird kaum jemand bestreiten. Verkürzt gesagt verteidigt die Autorin – jedenfalls aus ihrer Sicht – die Errungenschaften der zweiten Welle des Feminismus gegen  diejenigen, welche die Kategorien des biologischen Geschlechts, und damit auch die Frau an sich, abschaffen wollen.

Damit hat sie nun aber ausgerechnet große Teile der Generationen gegen sich aufgebracht, die ab den 1990er Jahren mit den „Harry Potter“-Romanen  und -Filmen aufgewachsen sind – und die daraufhin einen schmerzhaften Abnabelungsprozess durchmachen mussten.  Schmerzhaft freilich auch für Autorin Rowling selbst, die von zahlreichen Morddrohungen berichtete.

Mit Geschichte der „Harry Potter“-Autorin nichts zu tun 

Dass es solche gab, glaubt man ihr unbesehen. Dass sie „Das tiefschwarze Herz“ vor ihrer großen Gender-Kontroverse geschrieben hat, ja, dass der Roman gar nichts mit ihrer persönlichen Backlash-Geschichte zu tun habe, wie sie es just dem englischen Talkshow-Moderator Graham Norton erzählte, erscheint allerdings höchst unwahrscheinlich, selbst wenn Rowling die Handlung eigens um sieben Jahre zurückdatiert hat. Denn die Krimihandlung trägt diesmal vor allem eine großangelegte Parodie (und Kritik) jener toxischen Online-Kultur, als deren Opfer sich Rowling zweifelsohne begreift.

Die abgedruckten Chat-Dialoge und die endlosen Twitter-Threads sind schwer zu lesen, sowohl vom Schriftbild her, als auch wegen des ethischen Unwohlseins, das die Keyboard-Tiefschläge erzeugen. Letzteres ist durchaus beabsichtigt: Die Parodie trifft ins Schwarze. Auch Rowlings Zauberwelt lässt sich mit ihren arglosen Muggeln, faschistischen Todessern und abwiegelnden Zaubereiministern als dunkler Zerrspiegel der Gesellschaft lesen, dieses Spiel beherrscht sie also meisterlich.

Ein transphobischer Friedhofs-Wurm

Wenn dann die Veröffentlichung von „Das tiefschwarze Herz“ prompt die erwartbaren Online-Aufschreie generiert und zudem falsche Zusammenfassungen, denen zufolge das Buch von einer transphoben Cartoonistin handele, scheint die Wirklichkeit Rowlings Fiktion eilfertig zu bestätigen. Um Transphobie geht es hier wirklich überhaupt nicht, mit Ausnahme eines eher müden bis geschmacklosen Witzes, in dem einem Zeichentrick-Wurm „transphobische Untertöne“ nachgesagt werden, weil Würmer nun mal Zwitter sind. Nein, Rowling nimmt das gesamte Gelärme des Netzes  aufs Korn, vom rechten Troll zum linken Moralisten, vom Youtube-Zyniker zum   verbitterten Frauenfeind, als Incel bekannt.

Wenn „Das tiefschwarze Herz“ eine Botschaft hat, dann diese: Sie alle sind potenzielle Mörder. Der Hass im Netz führt das Messer in der Hand.

Weil Rowling aber neben diesem satirischen Rundumschlag auch noch die Beinahe-Liebesgeschichte ihres Ermittlerduos weitererzählen muss, das den Galbraith-Fans zu Recht ans Herz gewachsen ist, weil deren gemeinsame Detektei noch einige weitere Fälle bearbeitet, deren Verlauf ebenfalls geschildert werden will, vor allem jedoch, weil sich weltweit wohl kein Lektor mehr findet, der sich traut, mäßigend auf die erfolgreichste Autorin der Welt einzuwirken, ist der Roman auf unfassbare 1360 Seiten angewachsen. Das gebundene Buch taugt selbst als Tatwaffe.

Einige Kritiker haben „Das tiefschwarze Herz“ deshalb als unlesbar bezeichnet. Tatsächlich entwickelt es zuverlässig den Sog, den Rowling auch in ihren anderen Romanen herzustellen versteht: Der Stil ist unauffällig, die Details bestechend, und der Plot nimmt so zuverlässig mit kochendem Kessel Fahrt auf wie der Hogwarts-Express.

Nur wo die Fahrt hingeht, das bleibt unklar. Am Ende kreist sie wohl nur um J.K. Rowlings blinden Fleck: Die berühmteste und mächtigste Autorin unserer Zeit ist einfach keine unschuldige Indie-Animatorin.

Robert Galbraith: „Das tiefschwarze Herz. Ein Fall für Cormoran Strike“, aus dem Englischen von Christoph Göhler, Kristof Kurz, Wulf Bergner, Blanvalet, 1360 Seiten, 26 Euro.

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